Hamburg. App zu den „Hamburger Frauenbiografien“ der Landeszentrale für politische Bildung informiert über einstige Akteurinnen der Stadt.
Rutenhiebe am Pranger und ein Stadtverweis. Catharina Dieckmann hat Glück gehabt. Zumindest für die Verhältnisse im Hamburg des 17. Jahrhunderts. Schließlich wurde die junge Frau, die vor 407 Jahren in der Fronerei lebte, ursprünglich der Hexerei beschuldigt. Wie sonst hätte eine gut situierte Ehefrau die skandalöse Affäre ihres Gatten mit Catharina erklären können, die 250 Jahre später im Text eines Archivars mit den Worten „reich und gebildet nicht, aber jung und wunderschön“ beschrieben wurde? Ob sich der arg- und hilflose Ehemann von dem Zauber erholte, ist ebenso wenig bekannt wie die Antwort auf die Frage, was aus Catharina wurde.
Diese pikante Anekdote aus dem Leben der Catharina Dieckmann taucht Jahrhunderte später in der App „Hamburger Frauenbiografien“ der Landeszentrale für politische Bildung auf. „Diese Geschichte ist wichtig, weil sie zeigt, wie Frauen und ihr Verhalten stigmatisiert wurden“, sagt die Sozialhistorikerin Rita Bake. Seit über 30 Jahren hat sie sich der Aufgabe verschrieben, die Schicksale und Spuren verstorbener Frauen in Hamburg sichtbar(er) zu machen.
Bake wünscht ein Umdenken
Es habe Tradition, das Wirken von Frauen im beruflichen, sozialen oder häuslichen Bereich als nicht gleichwertig mit dem von Männern zu betrachten. Das zeigt sich auch an der Erinnerungskultur. „Leistungen von Frauen wurden und werden nicht als gesellschaftlich genauso bedeutend wahrgenommen wie die von Männern.“ Das zeige sich auch an den wenigen Denkmälern, die Frauen gewidmet wären. Bake wünscht sich ein Umdenken. Und arbeitet dafür: Bereits seit 2012 gibt es die von ihr erstellte Online-Datenbank „Hamburger Frauenbiografien“, die nun auch als kostenlose App nutzbar ist.
„Im Fokus stehen bedeutende bereits verstorbene Frauen Hamburgs“, sagt Bake. Das Wort „bedeutend“ sei dabei Auslegungssache. So geht es gleichermaßen um die Biografien von Politikerinnen, Schauspielerinnen, Wissenschaftlerinnen, Ärztinnen, Juristinnen, Künstlerinnen, Widerstandskämpferinnen, Opfern der NS-Zeit, Sozialarbeiterinnen oder Wirtinnen – eben alle, die große oder kleine Spuren in der Stadt hinterlassen haben. In den Biografien liest man von Frauen, die hier jeder kennt: Loki Schmidt, Evelyn Hamann, Inge Meysel oder Domenica Niehoff.
Übersichtliche Suchfunktion
Von anderen Frauen, die viel bewegt haben, wie Karin Wilsdorf, Mitinhaberin der Hanseatin, des ersten Frauenhotels Deutschland. Von der Gräfin Charlotte Sophie Bentinck, die im 18. Jahrhundert einen Salon am Jungfernstieg im Kreise erlesener Gäste führte. Von Hamburger Originalen wie der Wirtin „Tante Hermine“. Oder von der amerikanischen Unterhaltungskünstlerin Angie Stardust, die 1991 Angies Nightclub auf der Reeperbahn eröffnete.
All diese Geschichten findet man mit der übersichtlichen Suchfunktion der „Hamburger Frauenbiografien“-App. „Interessierte sehen zum Beispiel direkt, ob eine der Frauen früher dort gelebt hat, wo man sich gerade befindet“, sagt Bake. Je länger man die App nach Themen, Namen oder Stadtteilen durchsucht, desto mehr findet man sich in einem längst vergangenen Hamburg wieder. Mal in Geschichten, die sich vor mehreren Jahrhunderten zutrugen. Dann wieder in solchen, die erst vor wenigen Jahrzehnten stattfanden.
Mahlzeiten für Verarmte
Die Biografie von Clara Benthien gehört zu letzteren. Die gelernte Hutmacherin führte ab 1925 gemeinsam mit ihrem Mann Hans Carl Louis den Künstlerkeller Benthiens Weinprobierstube am Brandsende 13/Ecke Raboisen. Hier saßen die Gäste an Weinfässern, die als Tische dienten, Werke von lokalen Künstlern zierten die Wände der verwinkelten Kneipe. Clara Benthiens Charisma machten sie schnell zum Mittelpunkt des Geschehens, weshalb die Kneipe später den Namen Tante Clara trug.
67 Prozent aller Minijobber sind weiblich
Oft unterhielt Clara ihre Gäste mit Gesangseinlagen. Während des Krieges kamen bei Tante Clara Kritiker des NS-Regimes zusammen, es gab Mahlzeiten für Verarmte und in einem Nebenzimmer erhielten Menschen jüdischer Herkunft Beratung. 1944 traf eine Bombe das Haus des Künstlerkellers und zerstörte ihn. Clara Benthien zog sich in den Kreis ihrer Familie zurück. Jahrzehnte nach ihrem Tod 1962 stellte Benthiens Enkelin Nele Lipp 2013 die Kunstsammlung ihrer Großmutter aus.
Expressionistische Bühnenchoreografien
Es ist auch der Arbeit von Sozialhistorikerin Rita Bake zu verdanken, dass jene Geschichten, jene Frauen nicht in Vergessenheit geraten. Bake durchforstet weiterhin Zeitungen, Archive und Lexika. „Ich freue mich, wenn sich Menschen auch mit Vorschlägen bedeutender Frauen an mich wenden“, sagt sie. Manchmal sei es schwer, an entsprechende Informationen zu gelangen.
Nicht so im Fall der Tänzerin und Kostümdesignerin Lavinia Schulz. Anfang der 1920er-Jahre zog sie von Berlin nach Hamburg, in die Lübecker Straße. Mit ihrem Partner Walter Holdt entwarf sie expressionistische Bühnenchoreografien und Ganzkörpermasken. Sie arbeitete akribisch und idealistisch. So verwendete sie nur Abfall, alte Säcke und Leinen für ihre Masken und nahm kein Geld für Auftritte an. Deshalb lebten Schulz und Holdt, inzwischen verheiratet, in Armut, als die Künstlerin 1923 einen Sohn zur Welt brachte.
Nur ein Jahr später kam es zur Katastrophe. Die 28-jährige Lavinia Schulz erschoss ihren Mann und anschließend sich selbst. Ob die finanzielle Situation sie zu der Tat bewog, ist nicht bekannt. Heute erinnern die Masken, die im Lager des Museums für Kunst und Gewerbe zunächst in Vergessenheit geraten waren, an das Werk der Künstlerin – ebenso wie einer der 1200 Einträge der „Hamburger Frauenbiografien“.