Hamburg. Informationspolitik und Kommunikationsstrategie der Kirche stehen in der Kritik. Das Abendblatt zeichnet die Entwicklung nach.
Der Brief datiert aus dem September 2017. Er geht an Eltern, deren Kinder ins Vorschulalter kommen – und der Absender ist kein Geringerer als der Erzbischof von Hamburg. Stefan Heße macht Werbung für seine, für die katholischen Schulen. Wörtlich schreibt er: „Auf unseren insgesamt 17 Grundschulen im gesamten Stadtgebiet wird der Schulalltag ganz selbstverständlich aus christlicher Überzeugung gestaltet. (…) Zudem sind alle katholischen Schulen staatlich anerkannt. (…) Nach Abschluss der Grundschule stehen dann neun katholische Stadtteilschulen und Gymnasien für den weiteren Weg Ihres Kindes zur Auswahl.“
Was sich vor fünf Monaten wie ein normales Schreiben des größten privaten Schulträgers der Stadt las, wirkt aus heutiger Sicht seltsam. Denn wenn man den eigenen Angaben des Erzbistums glaubt, muss der Erzbischof damals mindestens geahnt, eher gewusst haben, dass es einen Teil der „17 Grundschulen“ und „neun katholischen Stadtteilschulen und Gymnasien“ an den 21 Schulstandorten bald nicht mehr geben wird.
Informationsblatt mit allen Adressen
Trotzdem verschickt Heße nicht nur den Brief, sondern auch ein Informationsblatt mit allen Adressen und Informationen. Wie gesagt: im September 2017. Dabei hatte das Erzbistum angeblich bereits im Januar damit begonnen, „das Schulsystem regelrecht auf den Kopf zu stellen“, wie Generalvikar Ansgar Thim in einer „Klarstellung des Erzbistums“ auf dessen Internetseite schreibt. Am 26. Juli 2017 sei ein Vertreter der Schulbehörde zum ersten Mal über „mögliche Standortszenarien“ informiert worden. „Einzelne Standorte sind sogar namentlich genannt und konkrete Einschnitte in den Bezirken Harburg und Altona gemeinsam erörtert worden“, schreibt Thim.
Die Schulbehörde bestreitet diese Darstellung energisch. Laut Sprecher Peter Albrecht sei es in dem Gespräch um allgemeine Fragen zur Schulentwicklung und die Zusage der Behörde gegangen, einen Kontakt zu Schulbau Hamburg herzustellen. Albrecht: „Fragen einer konkreten oder möglichen Standortschließung wurden nicht angesprochen.“
Deutliche Einschnitte
Laut Erzbistum sollen auch die Eltern rechtzeitig informiert worden sein: „Der Abteilungsleiter Schule und Hochschule hat seit Januar 2017 alle sechs Wochen an den Sitzungen der Gesamtelternvertretung ... teilgenommen, um sie im persönlichen Gespräch auf den jeweils aktuellen Stand der Überlegungen und der weiteren Schritte des Erneuerungsprozesses zu bringen.“
Wenn das Erzbistum im Sommer 2017 bereits voraussehen konnte, dass es bei seinen Schulen deutliche Einschnitte geben würde – warum hat dann der Erzbischof im Herbst das auf dieser Seite veröffentliche Schreiben verschicken lassen? Wer das Schreiben erhalten und daraufhin sein Interesse bei einer katholischen Schule gemeldet haben sollte, die jetzt geschlossen wird oder von einer Schließung bedroht ist, wird sich nicht angemessen informiert fühlen – um es vorsichtig zu sagen.
Aufschrei von Eltern, Schülern und Lehrern
Es kann bei den Szenarien zu Schulschließungen im Jahr 2017 wohl nur um eher abstrakte Überlegungen gegangen sein. Dafür spricht nicht zuletzt der Aufschrei von Eltern, Schülern und Lehrern, als Thim und Christopher Haep, der Leiter der Abteilung Schule und Hochschule des Erzbistums, die konkreten Schließungen am 18. Januar verkündeten.
In der Erklärung des Kollegiums des Niels-Stensen-Gymnasiums in Harburg heißt es zum Beispiel: „Erst am gestrigen Donnerstagabend (gemeint ist der 18. Januar 2018, die Redaktion) sind wir, das Lehrerkollegium, vom Erzbistum durch unsere Schulleitung davon in Kenntnis gesetzt worden, dass das Niels-Stensen-Gymnasium in fünf Jahren aus rein wirtschaftlichen Gründen nicht fortgeführt werden soll. Mit Entsetzen mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass das Bistum es nicht für nötig befunden hat, diejenigen, die von dieser Maßnahme besonders betroffen sind, persönlich zu informieren.“ So seien die Eltern nicht per Post informiert worden. „Letztere Aufgabe wurde ungefragt den Schülerinnen und Schülern übertragen, die heute tief betroffen von der Nachricht aus der Schule entlassen werden mussten.“
Unterschiedliche Szenarien
Noch Ende Dezember hatte das Erzbistum die Beteiligung der Eltern ausdrücklich angekündigt – und zwar vor der Entscheidung über mögliche Schließungen. „Mir ist wichtig festzuhalten, dass es bislang keine Entscheidungen über die Weiterentwicklung, Zusammenlegung oder Abwicklung mit Blick auf einzelne Schulstandorte gibt. Diese Überlegungen werden Gegenstand eines jetzt folgenden Beratungsprozesses im Zeitraum von Dezember bis Ende März sein“, schreibt Abteilungsleiter Haep am 20. Dezember 2017 „an die Erziehungsberechtigten aller Schülerinnen und Schüler der katholischen Schulen in Hamburg“. Und Haep wird noch konkreter: „In dreifacher Schrittfolge werden wir zunächst die Schulleiterinnen und Schulleiter informieren und mit ihnen intensiv unterschiedliche Szenarien erörtern. Anschließend erfolgen Gespräche mit den schulischen Gremien sowie Akteuren aus dem schulischen Umfeld.“
Gesamtelternvertretung ist „maßlos enttäuscht“
Es kam bekanntlich völlig anders. Entscheidend war vermutlich am 8. Januar die Sitzung des Kirchensteuerrats, dem auch der Erzbischof angehört. Das Gremium, das über die Ausgaben des Erzbistums befindet, soll angeblich nur noch die Freigabe der Mittel für 13 Schulen erteilt haben. Daraufhin wurde die Schließung der acht anderen Standorte abrupt in die Wege geleitet – ein Bruch der Zusage an Eltern und Schulen.
Die Gesamtelternvertretung formuliert es in einem Schreiben vom 20. Januar 2018 so: „Das Erzbistum hatte den Eltern zugesichert, dass endgültige Entscheidungen über gefährdete Schulstandorte erst dann getroffen werden, wenn die Eltern, aber auch die anderen Betroffenen beteiligt worden sind. Mit der nun kurzfristig erfolgten Entscheidung, bis zu acht katholische Schulen in Hamburg zu schließen, wurde diese Zusicherung nicht eingehalten. Wir sind hierdurch maßlos enttäuscht worden.“
Dramatische wirtschaftliche Lage
Das Erzbistum wiederum behauptet, es hätte von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr die Möglichkeit gehabt, die Elternvertreter in die Entscheidungen einzubinden. Wörtlich heißt es in der Erklärung des Generalvikars dazu: „(…) die weitere Einbindung der Elternvertreter hätte letztlich an den sich aus der dramatischen wirtschaftlichen Lage ergebenden Maßnahmen an den Standorten nichts verändert.“ Man müsse acht Schulen schließen, um „13 erhalten und weiterentwickeln zu können“. Aber wie nachvollziehbar ist das, wenn die dramatische Finanzlage doch schon Monate vorher, mindestens aber seit Anfang Dezember, bekannt war?
Die Schulbehörde, die die katholischen Schulen wie alle anderen privaten Schulen ohnehin zu 85 Prozent finanziert, wäre im Vorfeld zu Gesprächen bereit gewesen, wenn sie rechtzeitig konkret Bescheid gewusst hätte. Das Erzbistum sagt: „Ein erstes Gespräch mit Senator Ties Rabe, in dem grundlegende Aspekte des Erneuerungsprozesses sowie Restrukturierungsüberlegungen erörtert wurden, hat am 5. Dezember 2016 in der Schulbehörde stattgefunden.“ Generalvikar Thim weiter: „Um es klar zu sagen: Wir haben frühzeitig mit der Schulbehörde das Gespräch geführt und unsere Standortplanungen verdeutlicht. Ein Angebot zur Hilfestellung bei den Bauinvestitionen hat es seitens der Behörde – anders als den Medienberichten zu entnehmen – nicht gegeben.“
Generalvikar ruderte zurück
Die Ausführungen des Kirchenvertreters passen tatsächlich nicht zu den Stellungnahmen des Schulsenators. Im „Hamburger Abendblatt“ vom 22. Januar hatte Ties Rabe auf die Frage, wann und wie er von den geplanten Schließungen erfahren habe, Folgendes gesagt: „Die Schulbehörde hatte zunächst aus Medienberichten von den Schließungsplänen erfahren. Vertreter des Erzbistums haben die Spitzenbeamten der Schulbehörde dann drei Tage vor der öffentlichen Pressekonferenz über die Schließungspläne informiert.“ Dabei sei es nicht unüblich, dass sich Privatschulen mit Problemen rechtzeitig an die Behörde wenden. „Es gibt durchaus private Schulträger, die frühzeitig das Gespräch mit der Schulbehörde suchen und dann Lösungen und Varianten diskutieren“, sagte Rabe. Soll heißen: Das Erzbistums hat das nicht gemacht.
„Es gibt bislang keine Entscheidungen mit Blick auf einzelne Schulstandorte“
Am Freitag vergangener Woche ruderte Generalvikar Thim zurück. „Richtig ist, dass die Information über die Schließung der acht Schulen erst kurz vorher geschehen ist“, räumte Thim im „NDR Hamburg Journal“ ein. Allerdings sei die finanzielle Schieflage schon länger ein Gesprächsthema gewesen. In der „Klarstellung“ des Generalvikars auf der Internetseite des Erzbistums fehlt diese Relativierung jedoch noch ... Und Thim legt in dem Interview nahe, dass das Erzbistum so schnell gehandelt hat, um den Eltern wenigstens vor den Anmelderunden für die ersten und fünften Klassen reinen Wein einzuschenken.
„Versäumnisse und Fehler“
Stefan Heße hat sich am Sonntag bei einem Gottesdienst zur Eröffnung der Sankt-Ansgar-Woche erstmals ausführlich zu dem Schulärger geäußert: „Ich sehe eine Reihe von Jungen und Mädchen, Eltern und Lehrer aus unseren 21 katholischen Schulen, die heute Morgen ganz bewusst hier zu diesem Gottesdienst gekommen sind. Und ich bin dankbar, dass sie gekommen sind. Ich weiß um viele Verletzungen, ich weiß um viele Enttäuschungen, ich weiß auch um viel Wut und ich weiß um viele Tränen, die in den letzten Tagen geflossen sind. Und glauben Sie mir, auch mir tut das weh, auch mir geht das ins Herz“, sagte Heße und fuhr fort: „Wir tragen mit uns eine schwere Last, die aus der Vergangenheit zu uns herübergekommen ist und um die wir jetzt mehr als vor einiger Zeit noch wissen. Da gibt es Versäumnisse, da gibt es Fehler. Die müssen wir jetzt mutig anpacken, und meine große Hoffnung ist, dass wir in dieser schwierigen Situation, und da redet ja keiner von uns drum herum, dass wir miteinander einen Weg nach vorne in die Zukunft finden. Wir müssen das Ganze in den Griff bekommen. Wir müssen mutig handeln. Nichtstun geht nicht.“
Prompte Reaktionen
Reaktionen auf die Worte des Erzbischofs folgten prompt. Alexandra von Rehlingen, eine der bekanntesten Kommunikationsexpertinnen der Stadt, schrieb Heße einen offenen Brief, in dem es heißt: „Ihre Predigt (…) beinhaltete ja im Kern nicht nachzulassen, den Glauben im Norden zu verkünden und zu vertiefen! Durch die Schließung der Schulen können Sie Ihren Worten nicht diametraler entgegen handeln. Wenn man Ernst & Young engagiert, ist es klar, dass sie bei jeder Firma rigoros, emotionslos und teilweise an der Sache vorbei den Rotstift ansetzen. Ich kann es nicht fassen, dass man keine kreative Lösung für diese Schulen hat – ich persönlich kenne so viele wohlhabende Menschen hier in Hamburg, die mit Sicherheit bereit wären, wie ich auch persönlich, zum Beispiel Schulpatenschaften zu übernehmen und damit zumindest die laufenden Kosten der Schulen zu tragen.“