Hamburg. Erzbistum Hamburg bleibt trotz Protesten von Lehrern und Eltern bei Schließungsplänen. Was kann die Politik machen?
Seit Mittwochabend wissen die Eltern und Lehrer der katholischen Sophienschule in Barmbek genau, was es mit der Amtsautorität der Kirchenoberen des Erzbistums auf sich hat. Mehr als 200 Frauen und Männer waren in die Turnhalle der Schule gekommen, um mit Generalvikar Ansgar Thim und Christopher Haep, dem Leiter der Abteilung Schule und Hochschule des Erzbistums, über die drohende Schließung der Sophienschule zu diskutieren und ihren Protest deutlich zum Ausdruck zu bringen.
Auch nach zwei Stunden gab es noch viele offene Fragen und Unverständnis. Doch Thim war es genug der Information und Diskussion. „Diese Veranstaltung war auf zwei Stunden angesetzt, und die sind jetzt um. Deswegen beende ich sie jetzt. Ich bitte um Verständnis, aber das ist für uns auch eine anstrengende Woche“, sagte der Generalvikar und empörte damit nicht wenige Eltern.
Fünf Schulen sollen geschlossen werden
Fünf Schulen dürfen von sofort an keine Schüler mehr aufnehmen und sollen sukzessive geschlossen werden: St. Marien in Ottensen, Franz von Assisi in Barmbek, die Domschule in St. Georg, die katholische Schule Altona und das Niels-Stensen-Gymnasium in Harburg. Die Sophienschule hat dagegen noch eine Schonfrist.
Wenn es gelingt, bis April einen solventen neuen Schulträger zu finden, kann die Schule überleben. Doch der „Investor“, wie der Generalvikar es ausdrückte, müsste mehr als 7,6 Millionen Euro mitbringen. Das ist der von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young errechnete Sanierungs- und Modernisierungsbedarf der Schule.
Das Gutachten bleibt unter Verschluss
Viele Eltern halten diese Summe für deutlich zu hoch, sie legen vielfach auf eine aufwendige Modernisierung auch keinen sonderlichen Wert. Als ein Vater, selbst Wirtschaftsprüfer, mehr Transparenz und die Offenlegung des gesamten Gutachtens forderte und rief, das Erzbistum müsse endlich „die Hosen runterlassen“, reagierte Thim sehr ungehalten. „Nicht mit diesen Worten“, beschied der Kirchenmann den Vater. Das Gutachten wird wohl nicht zur Einsicht freigegeben.
Was hat das alles mit Senat und Bürgerschaft zu tun? Sehr viel. Zum einen: Sollten tatsächlich acht der 21 katholischen Schulen geschlossen werden, müssten perspektivisch im Laufe der nächsten vier, fünf Jahre rund 2900 Schüler in staatlichen Schulen untergebracht werden. Schon jetzt wird in der Schulbehörde geplant, wo und wie das möglich ist.
Kosten für Steuerzahler würden steigen
Zweitens: Im Grunde ist das Interesse des rot-grünen Senats und der Bürgerschaft aber, die katholischen Schulen zu erhalten. Das liegt nicht nur daran, dass die Kosten für den Steuerzahler steigen, wenn die Schüler auf staatliche Schulen wechseln. Die staatliche Finanzhilfe für Privatschulen beträgt in Hamburg 85 Prozent der Schülerjahreskosten an staatlichen Schulen.
Kritiker sagen, es seien in Wahrheit nur 65 Prozent der realen Kosten – Privatschulen sind also durchaus lukrativ für die Stadt. Hinzu kommt: Die katholischen Schulen haben einen guten Ruf, sie erfüllen (bislang) auch eine soziale Funktion, weil auch Kinder aus Familien mit geringeren Einkommen aufgenommen werden.
Verhältnis von Kirche und Schulbehörde gestört
Vor allem zwischen der Schulbehörde und dem Erzbistum als dem größten privaten Schulträger gab es über viele Jahre ein weitgehend unproblematisches Verhältnis. Das ist nun allerdings empfindlich gestört. Schulsenator Ties Rabe (SPD) hatte im Abendblatt-Interview erklärt, dass er erst drei Tage vor der Bekanntgabe der geplanten Schulschließungen vom Erzbistum über das Vorhaben informiert worden sei. Zu spät, um noch einzugreifen und ziemlich das Gegenteil eines vertrauensvollen Umgangs.
Doch in dieser Woche beharrte das Erzbistum darauf, dass Haep schon am 26. Juli 2017 Landesschulrat Torsten Altenburg-Hack „über mögliche Standortszenarien informiert“ und mit ihm „konkrete Einschnitte in den Bezirken Harburg und Altona erörtert“ habe.
Aus der Schulbehörde heißt es dagegen, dass es in dem Gespräch lediglich allgemein um die Schulentwicklung ging und Fragen einer möglichen oder konkreten Standortschließung nicht angesprochen wurden. Und noch deutlicher: Vor dem 16. Januar sei nie über geplante Schulschließungen oder gar Standorte gesprochen worden.
Schüler, Eltern und Lehrer überrascht
Eine gute Voraussetzung für vertrauensvolle Gespräche über mögliche Alternativlösungen sind die öffentlich ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten keinesfalls. Schon hier drängt sich der Eindruck auf, dass eine Rettung der Schulen möglicherweise gar nicht im Interesse des Erzbistums liegt.
Wie der Schulsenator wurden auch die Schüler, Eltern und Lehrer der betroffenen Schulen mit den Schließungsentscheidungen am 19. Januar vor den Kopf gestoßen. Dass es zu Einschnitten kommen würde, war allen Beteiligten klar, seit zentrale Ergebnisse des Ernst & Young-Gutachtens Anfang Dezember veröffentlicht worden waren.
Verschuldung in Höhe von 79 Millionen Euro
Unter anderem war nun von einer Verschuldung des Erzbistums in Höhe von 79 Millionen Euro die Rede, die in wenigen Jahren auf mehr als 350 Millionen Euro anwachsen würde. Stets hatten Haep und Thim aber den Eltern zugesichert, dass vor Ende März keine Entscheidungen getroffen würden und vorher mit den Beteiligten über Lösungen diskutiert werden würde.
Verantwortlich für die überstürzten Schulschließungen soll eine Entscheidung des Kirchensteuerrats vom 8. Januar sein. Das wichtige Gremium, dem auch Erzbischof Stefan Heße angehört und das über die Ausgaben entscheidet, hatte angeblich nur noch für 13 Schulen eine Freigabe der Mittel erteilt. Doch warum so plötzlich, wenn doch angeblich schon im Sommer Standortschließungen erörtert wurden und zumindest den Spitzen der Kirchenverwaltung das Ausmaß der Finanzmisere seit Dezember klar war?
Katholiken können Entwicklung nicht verstehen
Merkwürdig ist auch, dass im letzten Finanzbericht von 2015 noch ein Vermögen von rund 260 Millionen Euro ausgewiesen wurde. Für den Wirtschaftsbericht war allerdings noch die auf Non-Profit-Organisationen spezialisierte Unternehmensberatung Solidaris zuständig.
Das Blatt wendete sich vollkommen, als die Berater von Ernst & Young ins Haus kamen und dem Erzbistum nun plötzlich eine Überschuldung attestierten. Viele engagierte Katholiken können die Entwicklung nicht nachvollziehen und haben wiederum viele Fragen. Aus mehreren Schulen ist zu hören, dass die Annahmen für erforderliche Sanierungen oder Modernisierungen zu hoch gegriffen seien.
Kritiker zweifeln an Sanierungskurs
Wurden die Kosten gezielt in die Höhe getrieben, um einzelne Standorte als unwirtschaftlich zu kennzeichnen? Kircheninterne Kritiker dieses harten Sanierungskurses nennen die Ernst & Young-Mitarbeiter schon „Chicago Boys“ nach jenen marktradikalen Ökonomen aus Chile, die nach ihrem Studium in Chicago den chilenischen Diktator Augusto Pinochet in den 70er- und 80er-Jahren berieten.
Der Politikwissenschaftler Tomas Spahn, zugleich Elternvertreter an einer katholischen Schule, hat darauf hingewiesen, dass Ernst & Young den Immobilienbestand des Erzbistums im Gutachten „nach grober Schätzung auf eine Bruttogrundfläche von 450.000 bis 525.000 Quadratmeter“ taxiert hat. Wenn nicht einmal der genaue Bestand bekannt ist, kann es kaum eine eingehende Bewertung des Immobilienvermögens gegeben haben.
Schulsenator will nach Lösungen suchen
Bei vielen katholischen Eltern hat sich längst der Eindruck aufgedrängt, dass letztlich auch dem Erzbischof, die Schulen nicht besonders am Herzen liegen. Schulsenator Rabe will dennoch unverdrossen auf Gespräche setzen, um noch nach Lösungen für den Erhalt möglichst vieler Schulen zu suchen.
Die Eltern und Lehrer der Sophienschule in Barmbek hörten von Generalvikar Thim auch diesen Satz: „Grundlage des Glaubens ist für mich das Evangelium, nicht die Schule.“
Das klang für die meisten schon wie ein Abgesang.