Hamburg. Karl-Hermann Günther, der auch Gründer des Docks ist, wurde mit dem Ehrenpreis der Club Awards ausgezeichnet. Ein Porträt.
„Sturzflug auf die sündige Meile“ schrieb das Abendblatt am 18. Januar 1986 über die Große Freiheit 36. Vier Monate hatte der Kiezclub zu diesem Zeitpunkt geöffnet. Die Zeile gefällt Karl-Hermann Günther sehr, spiegelt sie doch den Sturm und Drang, mit dem er damals seinen Laden gegenüber dem ehemaligen Star-Club eröffnete. Beatles-Areal. Legenden-Adresse. Doch die Aids-Welle hatte das Amüsierviertel Mitte der 80er-Jahre heftig unterspült. Die Hamburger ließen die Jugend nicht gerne zum Feiern nach St. Pauli. Für den Kieler hingegen war die Große Freiheit 36 Liebe auf den ersten Blick.
„Ich habe sofort gedacht: geiler Raum – und mein ganzes Geld da hinein gepowert. Monate später habe ich erst richtig realisiert, wo ich gelandet war, und die Zuhälter, die Nutten und die Verrückten, die hier herumschweben, kennengelernt“, sagt Günther, der jetzt beim Club Award mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet wurde.
„Ich bin ja eigentlich schon auf Rente“
Der 68-Jährige ist der Mann im Hintergrund. Bescheiden, lässig. Er trägt Freizeit-Look. Gemustertes Hemd, Bluejeans, Sportschuhe. „Ich bin ja eigentlich schon auf Rente.“ Was ihn nicht davon abhält, zwei- bis dreimal die Woche von seiner Kieler Heimat nach Hamburg zu fahren. Gucken, ob alles läuft. Einmal Rock ’n’ Roller, immer Rock ’n’ Roller. Hut und Weste geben sanfte Hinweise auf diese Haltung.
Leicht eingesunken sitzt er da auf einem Ledersofa. Der Blick ist wach, freundlich, gewitzt und fällt nun auf seinen Club, auf die Bühne und die voluminöse Discokugel unter der holzvertäfelten Decke, von der schon bei so vielen Konzerten das Kondenswasser herabtropfte. Bei Auftritten von The Ramones, Rio Reiser, Nick Cave, R.E.M., Steppenwolf, Blur, Björk, Bon Jovi, Iggy Pop, Kylie Minogue, Fettes Brot, Bosse, Boy.
Der erste Abend lief gut
„Als Prince Anfang der 90er bei uns gespielt hat, das war der Ritterschlag“, sagt Günther stolz. Doch auch an die Premiere der Freiheit am 19. September 1985 erinnert er sich gut. „Wir haben aufgemacht, da hatten wir noch gar keine Türen, die kamen eine Woche später, also haben wir einfach Decken vor den Eingang gehängt.“ Die Sicherheitsabnahme durch die Feuerwehr erfolgte wenige Stunden bevor der irische Bluesrocker Rory Gallagher auf die Bühne treten sollte. 2000 Fans quetschten sich im Saal, viele mussten vor der Tür (beziehungsweise Wolldecke) bleiben.
„Das war eine Erlösung, dass der erste Abend direkt so gut lief“, sagt Günther. Es folgten Partys und Konzerte von Country bis Soul, mit ihnen kamen allerdings auch die Lärmbeschwerden. „Die Behörden hatten ab von der sonstigen harten Regel das Gefühl, dass sie uns fördern mussten. Der alte Chef der Davidwache, Ludwig Rielandt, der leider schon verstorben ist, hat mit uns die Nachbarn besucht, mit denen geschnackt und die befriedet.
Günther professionalisierte seinen Club
Das hat mich sehr beeindruckt.“ Günther professionalisierte seinen Club. Er ließ den Kaiserkeller ausbauen, in dem Anfang der 60er die Beatles aufgetreten waren, der aber zum zugerümpelten Bierdorf verkommen war. Und er kombinierte Live-Musik-Abende mit Disco-Nächten. Ein Konzept, dass heute für viele Clubs ein Erfolgsmodell ist. Damals war Günther damit Pionier auf dem Kiez.
Reiflich getestet hatte er diese Idee aber bereits in Kiel, im Pfefferminz und im sogenannten Hinterhof. Später kaufte er Landgasthöfe, den Lindenhof in Bad Segeberg und den Baumgarten am Aschberg, die er ebenfalls mit Konzerten und DJ-Nächten zum Brodeln brachte. Der Veranstalter Klaus Tubbesing machte den findigen Programmmacher schließlich auf das leer stehende Amüsierlokal auf der Großen Freiheit aufmerksam. Der vorige Pächter hatte in den Saal einen kleinen Club aus Rigipsplatten gebaut und davor ein Wasserbassin gesetzt, sodass Gäste auf Animierdamen blicken konnten, die darin schwammen. Günther riss sämtlichen Rotlichttand heraus, 50 Container voll.
Lehrer für Deutsch und Politik
In einem früheren Leben war er Lehrer für Deutsch und Politik gewesen. Ein Brecht-Liebhaber, der später in Schleswig-Holstein die Partei der Grünen mit begründen sollte. Eigentlich wollte er ein Kinderheim für Schwererziehbare aufmachen, was aber an der Finanzierung scheiterte. „Da habe ich mit einem Freund meinen ersten Club aufgemacht, die Pupille in Kiel – da hatte ich mein Talent entdeckt.“ Pädagoge ist er letztlich immer geblieben, schuf er doch zig Orte, an denen der süße Vogel Jugend frei fliegen kann. So kam 1988 das Docks am Spielbudenplatz dazu.
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„Ich habe gemerkt, dass ich ganz von innen heraus Freude daran habe, es Menschen schön zu machen, sie zusammenzuführen, dafür zu sorgen, dass sie sich anfreunden, miteinander ins Bett gehen und heiraten“, sagt Günther und lacht. Dieser Spirit war dem Grandseigneur der Hamburger Clubkultur stets wichtiger, als mit den Stars zu promenieren. Er ist ein Geerdeter. Seit 35 Jahren glücklich verheiratet und Vater dreier Töchter. „Ich gehöre nicht zu denjenigen, die den Künstlern unbedingt die Hand schütteln müssen“, sagt er. Mit Nina Hagen und Peter Maffay habe er sich mal länger unterhalten. Aber das habe sich eher so ergeben.
„Sensibel durch deine Räume gehen“
Diese gastgebende Haltung gibt er an seine Mitarbeiter weiter, etwa an Thomas Perzynski, der seit Herbst die Geschäfte in der Freiheit führt. Und an Susanne „Leo“ Leonhard, seit acht Jahren Geschäftsführerin im Docks. Aber was macht denn nun einen guten Clubbetreiber aus? „Du bist Gastgeber und Buchhalter. Du musst Ahnung von Tontechnik und Gastronomie haben, von Musik und Mode, vom Zeitgeist.
Wenn du Energie auf einen Punkt setzt und das mit ganzem Herzen füllst, dann kriegst du das zurück“, sagt Leo, ihre Stimme wunderbar nachtlebenangekratzt. „Seele“, wirft ihr Chef Günther dann noch ruhig ein. Leo hat ein weiteres Wort: „Feinpflege“. Das habe sie von „Karl, ihrem großen Lehrer“, gelernt. „Du musst jeden Abend sensibel durch deine Räume gehen. Ist die Musik zu laut oder zu leise? Wie ist das Licht? Ist diese Ecke gemütlich?“, erklärt sie.
Petition an Bürgermeister Olaf Scholz
Beim Gespräch ist immer wieder das Läuten der nahen St.-Joseph-Kirche zu hören. Auf dem Kiez liegen das Heilige und Wilde in Spuckweite beieinander. Ein Prinzip, das einige Zugezogene nicht verinnerlicht haben. „Die Leute wollen im Zentrum des Geschehens sein, aber gleichzeitig ihre Ruhe haben. Das ist ein Problem“, sagt Günther und erzählt von sich mehrenden Lärmbeschwerden. „Juristisch haben wir schlechte Karten. Wir sind auf den guten Willen der Behörden angewiesen.“
Um auf diese Lage und andere Hürden aufmerksam zu machen, hat Leonhard nun mit dem Clubkombinat eine Petition an Bürgermeister Olaf Scholz formuliert. Damit Menschen wie Karl-Hermann Günther ihn immer wieder neu wagen, den wilden Sturzflug auf die (noch) sündige Meile.
Mitarbeit: Tino Lange