Hamburg. Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender nahmen sich Zeit, um mit Abendblatt-Mitarbeitern zu diskutieren.
Staatsbesuch am Großen Burstah: Es ist das erste Mal in der fast 70-jährigen Geschichte des Abendblatts, dass ein amtierender Bundespräsident die Redaktion besucht. Um kurz nach 10 Uhr öffnet sich die Tür, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betritt gemeinsam mit seiner Frau Elke Büdenbender in der vierten Etage des Verlagsgebäudes den Raum, in dem die Redakteurinnen und Redakteure schon warten.„Hoi“, entfährt es dem Bundespräsidenten, als er uns Journalisten erblickt, und es wird nicht ganz klar, ob er überrascht ist über die Zahl der Kollegen, oder ob es schlicht Vorfreude auf das rund einstündige Gespräch ist.
Das Paar begrüßt jeden per Handschlag, das heißt, als Erste streckt Elke Büdenbender gut gelaunt und herzlich ihre Hand aus, dann folgt ihr Mann. Eine Geste durchaus mit Signalwirkung: Es stellt sich schnell heraus, dass die Verwaltungsrichterin nicht nur lebhaft an der Diskussion teilnimmt, sondern häufig als Erste auf Fragen antwortet und damit manchmal sogar ein bisschen die Richtung vorgibt. Vielleicht ist es auch so, dass sie ihrem etwas bedächtiger und abwägender formulierenden Mann damit ein wenig Zeit lässt, seine Gedanken druckreif zu entwickeln ...
Gespräch über Zustand des Landes
Nein, über Fußball in Hamburg wird in dieser Runde nicht gesprochen, das gibt der fußballbegeisterte Bundespräsident als einzige Einschränkung vor. Man muss als Gast nicht noch in Wunden stochern. Das ist angesichts der Lage des HSV sehr verständnisvoll. Es entwickelt sich ein Gespräch, das sich, wie sollte es auch anders sein, um den Zustand des Landes dreht. Und da hat Steinmeier seit seinem Amtsantritt vor zehn Monaten diese Republik in ihren unterschiedlichen Schattierungen kennengelernt, soweit das eben möglich ist, wenn man als Staatsoberhaupt mit einem Tross von Mitarbeitern und zumeist in einer eskortierten Limousine mit getönten Scheiben unterwegs ist.
Steinmeier: Der zweite Tag in Hamburg
Frank-Walter Steinmeier: Der zweite Tag in Hamburg
Und es sind Reisen zu zweit: Seine Frau begleitet Steinmeier, so wie jetzt beim Antrittsbesuch in Hamburg – der zwölften Station seiner Tour durch die 16 Bundesländer. Beiden ist wichtig, dass sie sich Zeit nehmen für die Region oder die Stadt, die sie ansteuern. Deswegen bleiben sie immer zwei Tage – anders als frühere Bundespräsidenten –, um nicht nur die vielleicht glänzende, offizielle Seite kennenzulernen, sondern sich auch mit den Menschen zu unterhalten, die eher auf der Schattenseite leben – wie beim Besuch des Obdachlosenprojekts Herz As in St. Georg (siehe nebenstehenden Bericht).
Um ländlichen Regionen wieder mehr kümmern
Die beiden heben das ehrenamtliche Engagement vieler Bürger hervor. Besonders Büdenbender vermittelt den Eindruck, dass ihrer Ansicht nach die Stimmung in Deutschland besser sei als oft behauptet – trotz vieler Gegensätze. Aber es ist eben so: Je mehr man sieht, desto mehr ist man bereit zu differenzieren. Und Dresden ist eben mehr als nur die Pegida-Demonstrationen.
Steinmeier und Büdenbender berichten nicht nur von den Unterschieden zwischen Arm und Reich, sondern auch zwischen Stadt und Land. „Meine Frau und ich kommen auch aus Dörfern, in denen es heute keine Schule, keinen Arzt und keinen Einkaufsladen mehr gibt“, erzählt Steinmeier und setzt hinzu: „Wir müssen uns um die ländlichen Regionen wieder mehr kümmern. Da geht es nicht nur um die Frage, ob da mal ein Bus hinfährt. Man muss die örtlichen Initiativen, die das Leben dort noch tragen, unterstützen. Zwischen den urbanen Zentren und den ländlichen Regionen wächst die Distanz.“
Interesse am Gemeinwohl sei stark gesunken
Eines von Steinmeiers Themen als Präsident ist das drohende Auseinanderfallen der Gesellschaft. „Das zentrale Problem ist: Wie kommuniziert eine Gesellschaft unter den Bedingungen der Digitalisierung? Kümmert sich jeder nur noch um seine Interessen, oder schaffen wir es noch, gesamtgesellschaftlich im Gespräch zu bleiben und so auch gemeinsame Interessen zu bewahren?“ Das sind die Fragen, die ihn umtreiben.
Seine Frau wird deutlicher. „Die Gesellschaft fragmentiert immer mehr. Es gibt viel seltener das gemeinsame Lagerfeuer, wo wir uns austauschen, wo über Generationen und Schichten hinweg Menschen zusammenfinden“, sagt Elke Büdenbender. „Das Interesse am Gemeinwohl ist doch stark gesunken“, lautet ihr skeptisches Fazit – trotz allen Engagements vieler Einzelner.
Selbstverständlich spielt auch das derzeit wichtigste Thema der deutschen Politik eine Rolle: die schleppende Regierungsbildung nach der Bundestagswahl. „70 Jahre haben wir in Deutschland mit der Erfahrung gelebt, dass nach Wahlen relativ schnell eine Regierung zustande kommt. Das ist jetzt zum ersten Mal nicht so“, konstatiert der Bundespräsident gelassen.
„Das Grundgesetz macht die Auflösung des Bundestages mit dem Weg zu Neuwahlen ganz, ganz schwer“, ergänzt Steinmeier, der mit seinem dringenden Appell an Union und SPD, es gemeinsam zu versuchen, die Regelungen des Grundgesetzes umgesetzt hat. „Wir – also auch die Medien – sollten ein wenig Erwartungsmanagement betreiben: Wenn die Wahlergebnisse so sind wie jetzt, dann versteht es sich von selbst, dass sich eine Regierung nicht mehr so einfach bilden lässt wie das früher, bei klareren Wahlergebnissen, der Fall war“, sagt Steinmeier.
Drei sehr mahnende Sätze
Und dann kommen drei sehr mahnende Sätze des Staatsoberhaupts: „Demokratie kann keine Zukunft haben, wenn die Bereitschaft und die Fähigkeit zum Kompromiss verloren geht. Das Bewusstsein dafür wieder zu stärken ist die große Aufgabe. Wenn das gelingt, habe ich übrigens auch keine Angst um die Zukunft von Volksparteien.“
Nach einer Stunde des intensiven Gesprächs bleiben zwei Eindrücke haften: Steinmeier hat seine Rolle als Bundespräsident gefunden und fühlt sich in seinem Amt ausgesprochen wohl. Und: Entscheidenden Anteil daran hat offensichtlich seine Frau mit ihrem Engagement. Die beiden ergänzen sich, ja wirken bisweilen wie ein Präsidententeam.