Hamburg. Hoheluft-West, Eimsbüttel und südliches Stellingen: 65.000 Menschen profitieren bald von der Sozialen Erhaltungsverordnung.

Wieder eine weniger. Für die Rentnerin aus Hoheluft-West kommt jede Bemühung zu spät. Sie musste raus, nach 40 Jahren. Ihr Vermieter lässt ihr altes Zuhause, eine 80-Quadratmeter-Wohnung, sanieren. Die fällige Mieterhöhung hätte sich die ältere Dame nicht leisten können. Vorbei die Zeit in der Altbauwohnung im Generalsviertel. Sie musste umziehen.

Die Rentnerin, die anonym bleiben möchte, steht stellvertretend für einen Verdrängungsdruck, der nicht nur das Generalsviertel prägt. Horrende Mieten, Luxussanierungen, immer mehr Eigentumswohnungen: Wer nicht genügend verdient, muss beliebte Wohngegenden verlassen. Gentrifizierung ist längst zum Kampfbegriff geworden. Die Vertreibung von Bewohnern durch Aufwertung lässt sich in Ottensen, Eimsbüttel, der Schanze und anderen Quartieren beobachten.

65.000 Menschen profitieren

Um dieses nicht zu leugnende Phänomen zu bremsen, arbeitet der Senat seit 2011 verstärkt mit dem sperrig klingenden Instrument der Sozialen Erhaltungsverordnung, einer Art Milieuschutz, der für klar definierte Gebiete erlassen wird und Auflagen für Mieten, Sanierungen und Eigentumswohnungen enthält. Nun stülpt Hamburg die bisher größte Schutzglocke dieser Art über die Stadtteile Hoheluft-West, Eimsbüttel und den südlichen Teil Stellingens – 360 Hektar mit 36.000 Wohnungen. Insgesamt 65.000 Menschen profitieren von April an von dieser Sozialen Erhaltungsverordnung. „Damit schützen wir bestehende Nachbarschaften vor Luxussanierungen oder Umwandlung ihrer Mietwohnungen in Eigentumswohnungen“, sagt Bausenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD).

Was bedeutet Soziale Erhaltungsverordnung?

Seit den 1990er-Jahren wird die Soziale Erhaltungsverordnung in Hamburg eingesetzt, wurde zwischenzeitlich von den CDU-geführten Senaten kassiert und ist nun wieder en Vogue. Sie macht bestimmte Um- und Ausbauten genehmigungspflichtig, um Mieterhöhungen zu verhindern. 125.000 Haushalte stehen inzwischen unter Milieuschutz. Soziale Erhaltungsverordnungen gibt es auf St. Pauli, in St. Georg, in der Sternschanze, im Osterkirchenviertel, in Altona-Altstadt sowie in Eimsbüttel-Süd, in Ottensen, in Bahrenfeld-Süd und im Portugiesenviertel, der südlichen Neustadt. Dort gilt sie schon seit 1995. Hinzu kommen soll der Venusberg nebst nördlicher Neustadt.

Absurde Preissteigerungen verhindern

Das „stumpfe Schwert“ der sozialverträglichen Stadtentwicklung kommt in Eimsbüttel und Hoheluft allerdings zu spät, sagen Experten. Das Generalsviertel oder die Straßenzüge um den Park am Weiher gelten als „ausverkauft“, die Gentrifizierung als abgeschlossen. „Aber besser der Milieuschutz kommt spät als nie“, sagt Siegmund Chychla, Geschäftsführer des Mietervereins zu Hamburg.

Man könne damit zwar das Mietniveau, das im Generalsviertel bei 15 bis 18 Euro pro Quadratmeter liegt, nicht zurückdrehen. „Aber es werden abrupte Sprünge und absurde Preissteigerungen verhindert“, so Chychla. Abrisse oder Nutzungsänderungen müssen nun vom Bezirksamt Eimsbüttel genehmigt werden. Spekulanten würden vor allem vor der gekoppelten Umwandlungsverordnung zittern. „Sie ist ein ganz wichtiges Mittel zum Schutz der Mieter“, heißt es aus der Stadtentwicklungsbehörde. Mietwohnungen zu Eigentum zu machen werde deutlich erschwert.

Verdrängungsdruck auf Privilegierte

Dabei ist das Ende der nach oben offenen Preisspirale noch nicht erreicht. Inzwischen betrifft der Verdrängungsdruck auch vermeintlich Privilegierte, die über ein mittleres bis höheres Einkommen verfügen. Familien, in denen beide verdienen, müssen längst um ihren Wohnraum fürchten, etwa Merle Wuttke aus Eimsbüttel. „Wir sind mit drei Kindern persönlich von der Verdrängung, die hier bereits massiv stattfindet, betroffen.“ Ihre Wohnung am Moorkamp soll einer Luxusdachgeschosswohnung weichen. „Die wäre dann aber für uns zu klein und zu teuer.“

Noch gehören alte Menschen zum Straßenbild, ist die Bewohnerstruktur heterogen. Doch viele teure Geländefahrzeuge sind Boten der befürchteten Yuppisierung, von der in Eimsbüttel immer wieder die Rede ist. Rare freie Wohnungen können sich schon jetzt oft nur „DINK“-Pärchen leisten – kinderlose Paare mit hohen Einkommen, im Englischen: double income no kids. Wozu also noch ein Milieuschutz?

Schutz muss vor Gericht bestehen

Dass Mieten trotz hohen Niveaus ungebremst weiter steigen können, zeigen die Entwicklungen der letzten Jahre, sagt Stadtgeografin Anne Vogelpohl von der Universität Hamburg. „International gibt es schon das Phänomen der Supergentrification, das die Verdrängung der gut gestellten Mittelschicht beschreibt. Das könnte auch in Hamburg passieren“. Deshalb seien die drei neuen unter Milieuschutz gestellten Quartiere auf ihr Aufwertungs- und Verdrängungspotenzial in fast zweijähriger Arbeit geprüft worden, denn im Zweifel muss der Schutz vor Gericht bestehen. „Falls Eigentümer gegen die Verordnung klagen“, so Vogelpohl. Diesen Fall gab es schon in St. Georg.

Glück hat, wer vor zehn, zwölf Jahren eine Altbauwohnung im Generalsviertel gekauft hat. Heute sind Preise von 15.000 Euro pro Quadratmeter üblich. Betrug die Miete für eine 80 Qua­dratmeter große Wohnung vor vier Jahren 1000 Euro, sind es mittlerweile 1500 Euro. Im Kerngebiet Eimsbüttel ist es nicht anders. „Genau deswegen brauchen wir hier so dringend die Ausweitung der Sozialen Erhaltensverordnung. Sonst steigen die Mieten rasant weiter, und am Ende können sich weder Normalverdiener noch untere Einkommensschichten, die hier seit Jahrzehnten leben, das Viertel leisten“, sagt Merle Wuttke. Gerade diese Vielfalt mache Eimsbüttel lebenswert. Noch. Merle Wuttke hofft jedenfalls, dass die Soziale Erhaltungsverordnung für ihre Familie noch rechtzeitig kommt.

Weitere Gebiete unter Schutz?

Ihr Nachbar Constantin von Westphalen fürchtet sogar um das Miteinander: „Milieuschutz ist so wichtig, weil er dazu beitragen kann, die Verdrängung durch kapitalstarke Schichten abzubremsen.“ So bestehe die Chance, den sozialen Frieden zu erhalten, der sonst für den Profit einiger weniger geopfert werden würde. Primäres Ziel der Verordnung, sagt Wissenschaftlerin Vogelpohl, ist genau das, der Erhalt der Bevölkerungsstruktur. Weil diese durch Mieten beeinflusst wird, werde eine Form der Mietsteigerung, die Luxusmodernisierung, unterbunden. „Andere Formen der Mietsteigerung bleiben aber bestehen – an diesen Schrauben müsste gedreht werden.“

Ergänzende Maßnahmen könnten sein: den Mietspiegel anders zu berechnen, die erlaubten Mieterhöhungen zu verringern oder die Intervalle möglicher Mietsteigerungen zu verlängern. Da das Eigentumsrecht ein hohes Gut ist, sei die Soziale Erhaltungsverordnung aber immerhin eines der wenigen Mittel von Städten, überhaupt zu handeln. Eigentümerverbände kritisieren die Verordnung dagegen als „Investitionsbremse“.

Ältestes Schutzgebiet der Stadt

Das Gegenteil sei der Fall, sagt Siegmund Chychla und verweist auf das älteste Schutzgebiet der Stadt, das Portugiesenviertel. „Dort gibt es trotzdem Neubauten, auch die Mieten haben angezogen, aber eben moderat.“ Er schätzt, dass sich das Mietniveau pro Quadratmeter in der südlichen Neustadt ohne Milieuschutz längst auf Eimsbütteler Niveau befinden würde: „Ein bis zwei Euro mehr auf jeden Fall.“

Da auch die Stadt vom Nutzen des Instruments überzeugt ist, werden weitere mögliche Schutzgebiete geprüft. Altona-Nord, Eilbek, Borgfelde, Hamm, Horn, Barmbek und das Reiherstiegviertel in Wilhelmsburg werden von der Stadtentwicklungsbehörde genannt. Der Mieterverein hält auch vermeintlich überteuerte Areale wie Uhlenhorst oder Winterhude für sinnvoll. „Die Bezirke haben gelernt, die Verordnung konsequent umzusetzen“, sagt Chychla. Bevor die Stadt ausverkauft ist, muss man beim Milieuschutz Gas geben.“

Für den Schutz der Rentnerin aus dem Generalsviertel reicht es nicht mehr. Nach ihrem notgedrungenen Auszug wohnt sie jetzt am nördlichen Stadtrand, in Langenhorn. Dort ist es selbst ohne Milieuschutz günstiger.