Hamburg. „Hamburgs Klassiker – neu entdeckt“ zeigt bekannte Attraktionen. Heute: Ein Besuch in der Eislauf-Arena in Planten un Blomen.
Sie sieht gar nicht aus wie eine Eisprinzessin. Kein Glitzer, kein Rosa. Noch nicht mal Kufen an den Füßen. Aber ihre Ausstrahlung, ihre großen braunen Augen, die Hochsteckfrisur. Ja, vorstellbar ist es schon, wie Gina Baeyens elegant in voller Prinzessinnenmontur über das Eis läuft und das Publikum für sich einnimmt. Jetzt allerdings verkauft sie Crèpes, Slush-Eis und Cappuccino. Das eine ist ihre Leidenschaft, das hier ihr Job in der Indoo Eisarena in Planten un Blomen. Das Eislaufen, sagt sie, ist ihre Passion. „Das ist wie schweben.“ Um dieses Gefühl, über das Eis zu fliegen, dreht sich in der Freiluft-Eislauf-Arena alles – ob allein, ob täglich oder alle paar Jahre, ob als Familie oder mit der Schulklasse: „Europas schönste Open-Air-Eisbahn“, wie es auf der Internetseite steht, ist ein Hamburg-Klassiker, eine Instanz. Seit mehr als 45 Jahren schon.
Das mit dem Schweben allerdings ist so eine Sache. „Meine Füße tun weh. Hingefallen bin ich auch schon“, sagt Robert, der das letzte Mal vor etwa 20 Jahren auf dem Eis stand und eher stakst als schwebt. Unbeholfen sieht das aus und lustig. Da unterscheidet sich der 33-Jährige nur wenig von dem kleinen Jungen, der mit einem Plastikpinguin als Unterstützung über das Eis schiebt. Anfänger eben. Roberts Freundin, wohl ein wenig geübter auf Kufen, umfährt ihren Liebsten, grinst ihn an, dreht mühelos ihre Runden.
Auf dem Eis zählt Technik, nicht Kraft. Aber wo, wenn nicht hier, lässt sich das Eislaufen wieder neu entdecken. Hier, wo kleine Kinder ihre ersten Eislaufschritte machen, wo die Klosterschule an diesem frühen Nachmittag gleich mit mehreren Klassen einen Ausflug macht und die Sechstklässler zur Musik aus den Lautsprechern übers Eis düsen und wo Stammläufer routiniert ihre Runden drehen. Rückwärts und versetzt – lässig und cool. Soziale Unterschiede, das Alter, Einkommen, Beruf spielen keine Rolle. Was zählt, ist, möglichst heil die Rutschpartie zu überstehen und Spaß zu haben.
Stammläufer Eddy kommt bis zu fünfmal in der Woche
Dabei ist Schlittschuhlaufen wie Fahrradfahren, „das verlernt man doch nicht“, sagt Gina Baeyens aus dem Gastronomiebereich der Eislaufbahn. Der Bereich wurde saniert und ist kaum wiederzuerkennen. Modern, gemütlich und vor allem warm ist es in den Räumen – keine Spur mehr vom alten Mief. Gina Baeyens hat mit zwölf Jahren mit dem Eislaufsport angefangen, hat hier mit ihrem Verein trainiert und hing als Kind vor dem Fernseher, um den Eiskunstläuferinnen zuzusehen. „Das sieht so leicht aus, aber es ist so anstrengend“, sagt die 25-Jährige. Am liebsten hat sie Pirouetten gedreht, das Springen war nicht so ihr Ding. Klar, hat sie sich dabei blaue Flecken geholt und einmal die Bänder gerissen. Das war es wert. „Das Schönste ist, dass man sich dabei so leicht fühlt.“
Weil sie mit 23 Jahren Mutter einer kleinen Tochter geworden ist und in der Gastronomie eine Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau gemacht hat, nun Geld verdienen muss, hat sie kaum Zeit, um aufs Eis zu gehen. Momentan bleibt ihr nur die Zuschauerrolle.
Zu sehen und zu erleben gibt es genug. Regelmäßig trainiert am Nachmittag der HSV „Eis- und Rollsport“ – im Winter auf dem Eis, in der Sommersaison auf Inlineskates. Der Kontakt zwischen einigen der rund 60 Mitarbeiter und den Stammläufern ist eng, und so ist Gina Baeyens mit Edgar „Eddy“ Verdieck per Du. Eddy kommt vier- bis fünfmal in der Woche. Für ihn ist das Schlittschuhlaufen, das Treffen mit den anderen aus seiner Gruppe – den „Hamburg Freeskatern“ – Spaß und wohl auch ein bisschen Therapie.
Fünf Mal täglich neues Eis
Der 48-Jährige erzählt von seiner Drogensucht. Seit 23 Jahren ist er clean. Seit acht Jahren ist das Schlittschuhlaufen im Winter und das Inlineskaten im Sommer seine einzige Sucht. Jeden Dienstag trifft sich die Gruppe, darunter viele Jugendliche, auch Flüchtlinge wie Joan Hasan aus Syrien, der seit zwei Jahren in Hamburg ist. „Mir gefällt die Gemeinschaft, und ich liebe das Eislaufen“, sagt er. Und Eddy, der die Gruppe ins Leben gerufen hat und sich um seine Schützlinge kümmert, erklärt, warum es gerade Eislaufen sein muss: „Es ist Sport, ohne den Titel Sport, ohne Leistungsdruck.“ Er bekommt den Kopf dabei frei und kann neue Tricks lernen.
Früher waren es an die 30 Stammläufer, heute etwa sieben, die wie Eddy fast täglich in die Eis-Arena kommen. Für diese und die durchschnittlich 130.000 anderen Läufern in den Wintermonaten muss Rainer Oprezka, technischer Leiter und einer von zehn Eismeistern, glattes, hubbelfreies Eis bereiten. Das geht bei kühlen Temperaturen um die null Grad und trockener Witterung leichter als bei typisch norddeutschem Nieselregen. Dieser Job ist also eine Herausforderung. Fünfmal am Tag müssen Oprezka und seine Kollegen mit ihren Eismaschinen hinaus, um die 4300 Quadratmeter große Eisfläche zu erneuern – es ist die größte Kunsteisbahn Deutschlands.
Dafür hat die Maschine ein Messer und hobelt die oberste Schicht des Eises ab und verteilt gleichzeitig 35 Grad erwärmtes Wasser, damit auch die letzten Unebenheiten ausgeglichen werden. Dann muss das Eis etwa zehn Minuten anziehen, bevor die neu präparierte Fläche wieder zum Eislaufen geeignet ist.
Zwangspause ist, wenn die Eismaschine kommt
Für die Besucher bedeutet das alle zwei bis zweieinhalb Stunden eine halbe Stunde Zwangspause. Wenn es regnet, „dann ist kein gutes Eis möglich“, sagt Herr Oprezka. Dann kann er lediglich „trocken“ fahren, das Besprühen mit Wasser für eine glatte Oberfläche fällt weg. 15 bis 20 Minuten brauchen zwei Eismaschinen, bis die Fläche fertig ist. Zwischendurch muss Rainer Oprezka den Behälter seiner Eismaschine immer wieder leeren: Dafür fährt er von der Eisfläche hinunter in den Park und kippt das abgetragene Eis vor einem Spielplatz ab. Das Fahren, das ist ihm anzumerken, macht im Moment besonders viel Spaß.
Der andere Teil seines Jobs spielt sich unter der Eislauffläche ab. Dort stehen die Ammoniaktanks, die Wasseraufbereitungsanlagen, dort verlaufen die Rohre unter dem Beton, die das Ammoniak in die Eispiste führen. Nur so viel zur Technik: Ein Kondensator verflüssigt das Ammoniak. „Das Gas entzieht dem Eis die Wärme“, erklärt Rainer Oprezka. Das Eis bleibt so konstant minus drei Grad kalt.
Der 63-Jährige bereite von allen Eismeistern das beste Eis zu, sagt Gina Baeyens. Selbst Schlittschuh gelaufen ist er schon seit 20 Jahren nicht mehr. Karate liegt ihm mehr. Wie schwerelos übers Eis zu schweben ist nicht seine Sache.