Hamburg . Angela Titzrath, als „Landratte“ auf dem HHLA-Chefsessel, ließ ihre Kritiker aus der maritimen Männerwelt ziemlich rasch verstummen.

Morgens 8.30 Uhr im Hauptquartier der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) in der Speicherstadt. Im repräsentativen Hamburg-Zimmer der HHLA ist groß gedeckt: Wurstplatte, Konfitüre, Schälchen mit Salaten und eine große Portion Rührei mit Krabben. Angela Titzrath lädt zum Frühstück. Kurzer Händedruck, dann geht es zu Tisch. „Ich liebe Rührei mit Krabben“, eröffnet die Frau, über die im Hafen derzeit viel geredet wird, das Gespräch. Seitdem sie gehört habe, dass ihre Mitarbeiter nicht nur gut Container verladen, sondern auch gut kochen können, lade sie wichtige Gäste ab und zu zum Frühstück ein.

Für mehr als 5000 Mitarbeiter verantwortlich

Angela Titzrath ist die wichtigste Person im Hamburger Hafen. Seit knapp einem Jahr leitet die gebürtige Essenerin Deutschlands größten Umschlagsbetrieb und ist als dessen Vorstandsvorsitzende für mehr als 5000 Mitarbeiter verantwortlich, somit zugleich größte Arbeitgeberin im Hafen. Dass eine Frau, noch dazu ohne nennenswerte Erfahrung im maritimen Sektor, einen so wichtigen Posten bekommen hat, stieß in der Branche anfangs nicht nur auf Zustimmung.

Wortreich erläutert die 51-Jährige zwischen zwei Gabelportionen, mit welchen Ideen sie den Hafenkonzern voranbringen will. Die HHLA ist für Titzrath nicht ein Unternehmen unter vielen, sondern hat aus ihrer Sicht eine Vorbildfunktion für den ganzen Hafen: „Größe verpflichtet. Historie verpflichtet. Und Zukunft verpflichtet“, sagt sie. Deshalb arbeite sie mit ihrem Team an einem modernen, lebendigen und produktiven Hafen, der auch in Zukunft einen großen Beitrag zum Wohlstand der Stadt leisten soll. „Wenn Hamburgs Hafen das Tor zur Zukunft öffnen kann, möchte die HHLA der Türöffner sein“, sagte sie unlängst.

Tough in einer Männerwelt

Gilt es, Titzrath kurz zu charakterisieren, so fällt einem als Erstes das Wort „tough“ ein. Es wirkt tough, wie sie da sitzt – im Hosenanzug, die langen blonden Haare zu einem Pferdeschwanz streng zurückgebunden – und über Hamburg und den Hafen redet, als wäre sie seit Ewigkeiten hier zu Hause. Tough muss sie auch sein, will sie sich in einer rauen Männerwelt durchsetzen. Die Kundenunternehmen weltweit werden ausschließlich von Männern geleitet.

Noch mehr als draußen in der Welt wird Titzrath in der eigenen Stadt kritisch beäugt. Denn der verschworene Männerklüngel der Hafenunternehmer reagierte sehr skeptisch, als er erfuhr, wer künftig die HHLA führen soll: eine Frau, irgendwo aus dem Süden, die von Schifffahrt nichts versteht. Titzrath widersteht solchen Vorwürfen wie Teflon dem Wasser: Sie perlen an ihr ab. „Es wäre ja schlimm, wenn ich nicht als Frau wahrgenommen würde, weil ich tatsächlich eine bin. Als Vorstandsvorsitzende möchte ich aber an meiner Erfahrung und Leistung gemessen werden.“ Und die stimmen – das müssen selbst die einstigen Kritiker inzwischen einräumen.

Vorstand der EvoBus AG

Titzrath, die fünf Fremdsprachen beherrscht, stieg nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften und romanischen Philologie an der Uni Bochum als Leiterin des operativen und strategischen Controllings bei Mercedes in Rom ein. Von 1991 bis 2012 war sie in unterschiedlichen Topmanagement-Funktionen und Produktionsbereichen des Daimler-Konzerns an verschiedenen Standorten auf der Welt tätig. Sie leitete zudem den DaimlerChrysler-Merger für alle Dienstleistungen und Beteiligungen und verantwortete die Konzernstrategie. Zuletzt war sie Vorstand der EvoBus AG. Von 2012 bis 2014 war Titzrath Personalvorstand der Deutschen Post.

Und auch ihre Leistung bei der HHLA wird inzwischen positiv bewertet: Seitdem Titzrath an Bord ist, haben Containerumschlag, Umsatz und Gewinn deutlich zugelegt. Und auch die Aktionäre haben wieder mehr Vertrauen in die HHLA: Das Wertpapier hat seinen Kurswert um 30 Prozent steigern können. „Die Titzrath? Die ist gut“, hört man seitdem aus Hafenkreisen.

Herausforderungen erkennen

Fragt man sie selbst nach dem Erfolg, verfällt sie schnell in typisches Manager-Sprech: Sie habe ein Talent, Herausforderungen zu erkennen und sie lösen zu wollen, sagt sie beim Müsli. Ist sie entscheidungsfreudig? Sie schweigt, dafür antwortet ihr Pressesprecher: „Oh, ja“! Es klingt, als habe er damit schon leidvolle Erfahrungen gemacht.

Titzrath scheut auch Auseinandersetzungen nicht. Für ziemliche Überraschung bei Hamburgs Politik sorgte sie bei ihrem ersten Auftritt im Ausschuss Öffentliche Unternehmen der Bürgerschaft, kurz nach ihrer Amtsübernahme Anfang des Jahres: Normalerweise sind Ausschussanhörungen eine haarige Angelegenheit. Insbesondere Abgeordnete der Opposition neigen dazu, unbequeme Fragen zu stellen, die schon bei manchen Befragten Schweißausbrüche hervorgerufen haben.

Die neue HHLA-Chefin drehte den Spieß einfach um. Bevor sie mit ihrer Präsentation beginne, wolle sie ihre Erwartungen deutlich machen, sagte sie den etwas irritiert schauenden Abgeordneten. „Ich erwarte, dass unsere Eigentümer, insbesondere der Mehrheitseigentümer, unsere Arbeit kons­truktiv begleiten.“ Die HHLA und ihr Vorstand sollten nicht zu parteipolitischen Zwecken missbraucht werden. Sie habe kürzlich eine Asienreise zu den Kunden unternommen. Die wüssten sehr genau, was in Hamburg gesprochen und geschrieben werde. „Mit jeder öffentlichen Äußerung, die die HHLA in ein schlechtes Licht rückt, beschädigen Sie letztlich Ihr Eigentum“, stellte Titzrath fest. Wohlwissend, dass die Stadt 63 Prozent an der HHLA hält.

Vergleich mit einem Start-up-Unternehmen

Hamburgs versammelte Wirtschaft überraschte Titzrath vor wenigen Wochen bei ihrem ersten großen Auftritt im traditionsreichen Hafen-Klub. Dort verglich sie die HHLA mit einem Start-up-Unternehmen. Wie geht das bei einem Unternehmen, das seit 1885 existiert? „Na ja, die HHLA hat sich immer wieder neu erfunden“, sagt Titzrath und zählt auf: als die Speicherstadt gebaut wurde, als 1968 das erste Containerschiff am Burchardkai gelöscht wurde, als die HHLA 1991 anfing, nicht nur Schiffe zu entladen, sondern die Waren selbst ins Hinterland weiterzutransportieren, und 2002, als das weltweit erste automatische Containerterminal in Altenwerder in Betrieb genommen wurde.

„Hier sind tolle Ideen geboren worden“, sagt sie und macht eine ausholende Geste, mit der deutlich wird, dass sie nicht nur ihr eigenes Unternehmen meint. „Hamburg geht viel lebendiger und offener mit seiner Geschichte um als viele andere Städte.“ Diese verpackten ihre historischen Errungenschaften museal. „In Hamburg sind sie Teil von Handel und Wandel, und es wird immer etwas Neues daraus, wie aus dem alten Kaispeicher, der zur Grundlage für die neue Elbphilharmonie geworden ist.“

Musik als Beruf?

Überhaupt, die Elbphilharmonie: Das Konzerthaus ist so etwas wie ihr Refugium zum Abschalten vom harten Managerjob geworden. Sie liebt klassische Musik. Dazu muss man wissen, dass sie eigentlich nicht Managerin werden wollte, sondern Musikerin. „Ich habe in meiner Jugend bis zu sechs Stunden am Tag Querflöte gespielt“, sagt sie. Titzrath organisierte damals schon die adventlichen Konzerte in ihrer katholischen Kirchengemeinde, und eigentlich war der Weg in die Musik vorgezeichnet. Dass sie die Tonkunst nicht zum Beruf machte, lag an ihren vielseitigen Interessen. „Ich merkte irgendwann: Wenn ich Musikerin werden will, gibt es nichts anderes mehr neben der Musik.“ Titzrath liebte aber auch den Balletttanz und war nordrhein-westfälische Landesmeisterin im Rudern. Also was tun? Ihr Vater gab ihr einen weisen Rat: „Die Musik kann auch ein wunderschönes Hobby sein.“

Wer ihr Wirtschaftsverständnis hinterfragt, merkt schnell, dass Titzrath in einigen Fragen anders tickt als klassische Manager. Und das liegt, wie sie selbst zugibt, an ihrer philologischen Ausbildung. „Man kann die Wirtschaft eines Landes nicht verstehen, wenn man nicht auch dessen Kultur und Geschichte kennt“, sagt sie. Wenn Titzrath also zu Gesprächen mit Kunden in der Welt aufbricht, was sie im Gegensatz zu ihrem Vorgänger regelmäßig macht, dann hat sie sich vorher mit der jeweiligen Mentalität befasst.

Teller und Schüsseln sind leer. Es folgt ein kurzer Händedruck, dann geht sie wieder in ihr Büro in der Speicherstadt, von dem sie sagt, es sei der „schönste Arbeitsplatz der Welt“. Warum? „Wegen der Historie natürlich.“

Drei Fragen:

Was ist Ihr wichtigstes persönliches Ziel für die nächsten drei Jahre? Ich möchte gern in einen Hamburger Ruderclub aufgenommen werden.

Was wollen Sie mit Ihren Mitarbeitern in den nächsten drei Jahren erreichen? Die HHLA als Motor des digitalen Wandels im Hafen weiter voranbringen.

Was wünschen Sie sich für Hamburg in den nächsten drei Jahren? Ich wünsche mir, dass die Stadt das Tor zur Welt ganz weit aufmacht.

Nächste Folge: Michy Reincke, Musiker und Talentförderer