Hamburg. Hamburgs Justizsenator stellt bundesweit einzigartiges Gesetz zur Resozialisierung vor. Kritik kommt von der Opposition.

Wenn sich das Gefängnistor öffnet, kommen auf viele ehemalige Häftlinge neue Probleme zu: Wollen Freunde und Verwandte noch Kontakt haben? Wo kann ich wohnen? Wovon leben? An wen muss ich mich mit welchem Anliegen wenden? Viele Ex-Knackis sind mit dieser Situation überfordert und landen schnell wieder auf der schiefen Bahn. Bundesweit wurden rund 35 Prozent der im Jahr 2010 Haftentlassenen innerhalb von drei Jahren wieder straffällig, wobei diese Rückfallquote vor allem in den ersten sechs Monaten hoch ist. Reine Hamburger Zahlen gibt es dazu zwar nicht, aber die Situation in der Hansestadt dürfte vergleichbar sein.

Wie das Abendblatt berichtet hatte, reagiert der rot-grüne Senat darauf jetzt mit einem neuen Resozialisierungs- und Opferschutzgesetz, das bundesweit „einzigartig“ sei, wie Justizsenator Till Steffen (Grüne) am Dienstag sagte. Im Kern geht es darum, die Arbeit mit den Gefangenen in den Haftanstalten und die sich an die Entlassung anschließende Sozialarbeit, etwa die Straffälligenhilfe, zu verzahnen. Dieses „Übergangsmanagement“ soll sich über zwölf Monate erstrecken – je sechs Monate vor und nach der Entlassung. Jeder Gefangene soll einen Rechtsanspruch auf so einen Hilfeplan zur Wiedereingliederung erhalten. Der Gesetzentwurf des Senats soll 2018 von der Bürgerschaft verabschiedet werden. In Kraft treten könnten die Neuregelungen Anfang 2019.

„Resozialisierung ist der beste Opferschutz“

„Unser Gesetz wird zu mehr Sicherheit in Hamburg führen, denn erfolgreiche Resozialisierung ist der beste Opferschutz“, sagte Steffen bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs im Rathaus. Als erstes Bundesland hebe Hamburg die klassische Trennung von Strafvollzug und ambulanter Straffälligenhilfe auf. „Das Gesetz zwingt dazu, sich auf gemeinsame Ziele zu einigen“, hob der Justizsenator hervor und sprach von einem „Netzwerk unterstützender und aufeinander abgestimmter Hilfeangebote“.

In den sechs Hamburger Gefängnissen saßen Anfang November 1967 Menschen ein. Rund 1400 werden pro Jahr entlassen – wobei insbesondere diejenigen von dem neuen Gesetz profitieren könnten, die nicht auf Bewährung freikommen und daher auch keine Bewährungshilfe erhalten.

Zusätzliche Stellen

Steffen, der bereits in seiner ersten Amtszeit als Justizsenator 2008 bis 2010 Pläne für ein Resozialisierungsgesetz hatte, räumte ein, dass bis zum nun vorgelegten Gesetzentwurf „ein Bohren dicker Bretter“ nötig gewesen sei. Mit Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) sei ihm aber nun ein „echtes Gemeinschaftsprodukt“ gelungen. „Unser gemeinschaftliches Ziel ist die Stabilisierung der Lebenslage von Haftentlassenen, damit sie ein Leben abseits von Kriminalität führen“, sagte Leonhard, in deren Zuständigkeit die Resozialisierung außerhalb der Gefängnismauern fällt. Wohnen und Arbeiten seien dafür besonders wichtig. Die Sozialsenatorin betonte allerdings auch, dass die Annahme der Hilfe auf freiwilliger Basis erfolge und es keine Mitwirkungspflicht für Gefangene oder Entlassene gebe.

Die Federführung für das Übergangsmanagement hat wiederum das Fachamt für Straffälligenhilfe im Bezirksamt Eimsbüttel. Es erstellt in Abstimmung mit den „Klienten“ und mit den Justizvollzugsanstalten die Eingliederungspläne und kann freie Träger beauftragen, die die Ex-Häftlinge betreuen. Dafür bekommt das Fachamt vier zusätzliche Stellen. Insgesamt hat der Senat für die verstärkten Resozialisierungsbemühungen zusätzliche Ausgaben von 2,4 Millionen Euro pro Jahr eingeplant.

Personalmangel ist ein Problem

SPD-Justizexperte Urs Tabbert begrüßte, dass das seit 2014 in der JVA Billwerder erprobte Übergangsmanagement nun zum Regelfall in allen Haftanstalten werden soll: „Dass der verfassungsrechtliche Anspruch auf Resozialisierung derart ausbuchstabiert wird, zeigt, wie ernst wir das Thema nehmen.“

Oppositionspolitiker wie Richard Seelmaecker (CDU) teilten zwar die Sichtweise, dass Resozialisierung von Straftätern der beste Opferschutz ist. „Aber in Anbetracht des massiven Personalmangels in Hamburgs Justizvollzugsanstalten fallen bereits heute ständig Maßnahmen aus, die der Resozialisierung der Gefangenen dienen“, so der CDU-Justizexperte. „Manche Stationen werden nur noch mit Anwärtern besetzt, die Relation zwischen Bediensteten und Gefangenen hat sich in den vergangenen zwei Jahren weiterhin erheblich verschlechtert, und in den nächsten Jahren werden Hunderte Justizvollzugsbeamte pensioniert. Vor diesem Hintergrund ist es grob fahr­lässig, weitere Ansprüche gesetzlich festschreiben zu wollen, wenn wegen fehlender Beamter nicht einmal die jetzigen Maßnahmen vernünftig durchgeführt werden können.“

FDP fordert Resozialisierung aus einer Hand

FDP-Justizexpertin Anna von Treuenfels-Frowein sagte, das Gesetz sei „kein großer Wurf“. Sie kritisierte die aufgesplitterten Zuständigkeiten: „Die tragenden Säulen der Resozialisierung – Vollzug, Soziale Dienste und Freie Straffälligenhilfe – bleiben immer noch aufgeteilt zwischen Sozial- und Justizbehörde. Um die Resozialisierung aus einer Hand zu gewährleisten, müsste die Bewährungshilfe aber dringend unter das Dach der Justizbehörde.“ Dass der Senat keine eigene Hamburger Rückfallstatistik erstelle, sei ein weiterer Makel: „Dabei sind gerade diese Zahlen enorm wichtig, um erfassen zu können, welche Art von Verurteilten wie und wann rückfällig werden. Nur so sind zielgerichtete Maßnahmen und eine Senkung der Rückfallquoten möglich.“

Martin Dolzer, Justizexperte der Linkspartei in der Bürgerschaft, sagte, der Gesetzentwurf gehe zwar in die richtige Richtung, es fehle aber an konkreten Maßnahmen: „Der Senat sieht zwar die Spitze des Eisbergs, die mangelnde Begleitung der Gefangenen im Übergang von der Haft in die Freiheit. Das Schiff droht aber trotzdem mit dem Eisberg zu kollidieren, weil ein Großteil der Probleme nicht angegangen wird.“

So fehle es sowohl in der Haft als auch danach unter anderem an Therapieangeboten, Ausbildungsplätzen, Wohngruppen, bezahlbarem Wohnraum und sozialkompetentem Personal mit ausreichenden Zeitressourcen.