Hamburg. Ein neues Gesetz soll die Resozialisierung von Straftätern verbessern. Sie werden bis zu sechs Monate nach Entlassung unterstützt.

Die Resozialisierung, also die Wiedereingliederung eines Straffälligen in die Gesellschaft nach Verbüßung der Haftstrafe, ist ein zen­trales Ziel des Strafvollzugs. Das Bundesverfassungsgericht hat den Anspruch eines Gefangenen auf Resozialisierung schon im Jahr 2006 in einen Verfassungsrang erhoben. Hamburg will jetzt als erstes Bundesland den individuellen Rechtsanspruch auf eine konkrete Hilfeplanung für ein straffreies Leben gesetzlich verankern.

Genau 60 Seiten umfasst der Entwurf für ein Resozialisierungsgesetz, der in der Justiz- und der Sozialbehörde erarbeitet wurde und der dem Abendblatt vorliegt. „Hauptziel des Gesetzes ist es, durch eine verbesserte Resozialisierung die Rückfallquote von Straftätern zu verringern“, heißt es gleich zu Beginn. Kernpunkt ist „ein individueller Anspruch auf Erstellung eines Eingliederungsplans“.

Hauptziel ist die Senkung der Rückfallquote

Das sogenannte Übergangsmanagement (Übergang vom Leben hinter Mauern zum Leben in Freiheit, die Red.) soll im Regelfall sechs Monate vor der Haftentlassung beginnen und sechs Monate über die Entlassung hinaus andauern. „Mit dem Übergangsmanagement werden vor allem die Gefangenen unterstützt, die nach Vollverbüßung ihrer Strafe entlassen werden und daher nicht unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers gestellt werden können“, heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs.

Konkret soll ein „Fallmanager“ oder eine „Fallmanagerin“ für jeden Gefangenen zuständig sein, damit „ein Nebeneinander paralleler Unterstützungsangebote vermieden wird“. Der Fallmanager, der bereits hinter Gittern seine Arbeit aufnimmt, koordiniert alle „Maßnahmen und Hilfen insbesondere zur Unterstützung bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche, zur schulischen und beruflichen Qualifizierung, zur Erlangung des Krankenversicherungsschutzes und zur Sucht- und Schuldnerberatung“.

Aus für die „Weihnachtsamnestie“

Das Besondere des Konzepts liegt darin, dass die klassische Trennung zwischen Strafvollzug und ambulanter Straffälligenhilfe überwunden werden soll. Das wiederum fußt auf modernen kriminologischen Erkenntnissen, nach denen eine Verbesserung der Resozialisierungsquoten nur erreicht werden kann, wenn stationäre und ambulante Hilfsmaßnahmen eng miteinander verknüpft werden. Haftentlassene sind während der ersten sechs Monate in Freiheit besonders rückfallgefährdet.

Vorbild für die neue gesetzliche Regelung ist das Pilotprojekt „Re­sozialisierung, Arbeit, Nachsorge“ (RAN), das bereits in mehreren Haft­anstalten läuft und über den Europä­ischen Sozialfonds (ESF) mitfinanziert wird. Im Jahr 2014 startete das Projekt unter dem Namen „BÜF – Begleitung Übergang in Freiheit“ und war auf die Justizvollzugsanstalt Billwerder beschränkt. Von Juli 2014 bis März 2016 nahmen 1004 von 1223 Inhaftierten an einem Erstgespräch im Rahmen von BÜF teil. Die Betreuung durch einen Fallmanager sechs Monate vor der Entlassung erhielten daraufhin 544 Gefangene.

Keine Statistik zur Rückfallquote

Allerdings: Wie viele der Inhaftierten nach der Entlassung wieder Straftaten begingen, wurde und wird weder bei BÜF noch RAN erhoben. Da es in Hamburg auch insgesamt keine Statistik zur Rückfallquote entlassener Strafgefangener gibt, fehlt der Vergleichsmaßstab für das ausgegebene Ziel, die Quote zu verringern.

Eine bundesweite Untersuchung, die das Bundesjustizministerium 2016 herausgab, kam zu dem Ergebnis, dass rund ein Drittel der erwachsenen Straftäter innerhalb von drei Jahren nach der Entlassung wieder straffällig wird. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um Taten, die nicht eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung mit der Folge einer erneuten Inhaftierung nach sich zogen. Männer haben laut der Studie höhere Rückfallraten als Frauen, jüngere Menschen höhere als ältere.

Anforderungen an Justizpersonal steigen

Der individuelle Rechtsanspruch für Gefangene auf einen Hilfeplan zur Wiedereingliederung wird zu einer Steigerung der Anforderungen an das Personal in den Justizvollzugsanstalten führen. Das gilt besonders wegen der stärkeren Vernetzung mit der Straffälligenhilfe und externen Trägern bereits während der Haftzeit eines Gefangenen. An die Einstellung von mehr Personal denkt die Justizbehörde in diesem Zusammenhang allerdings offenbar nicht. Laut Gesetzentwurf geht es vielmehr um eine bessere Dotierung einzelner Posten aufgrund der steigenden Anforderungen.

Bereits jetzt gilt die Arbeitssituation der Vollzugsbeamten als ausgesprochen angespannt. Auch außerhalb der Haftanstalten ist das Personal zur Betreuung von Straffälligen knapp. Laut der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bürgerschaftsabgeordneten Anna von Treuenfels-Frowein (FDP) muss sich ein Bewährungshelfer um 70 Klienten kümmern – etwas mehr als im Bundesdurchschnitt.

Die Kosten für RAN belaufen sich auf 2,335 Millionen Euro jährlich, von denen gut eine Million Euro bis 2020 aus dem Europäischen Sozialfonds beigesteuert wird. Nach der Übernahme des ESF-Anteils will der Senat die Ausgaben infolge des Rechtsanspruchs aus dem Resozialisierungsgesetz bis 2021 auf 2,6 Millionen Euro steigern. Der Gesetzentwurf, der jetzt in die externe Behördenabstimmung geht, wird letztlich von der Bürgerschaft beraten und muss von ihr beschlossen werden.