Hamburg. Die Zahl der offenen Stellen in Hamburg ist hoch. Warum eigentlich? Miriam Opresnik will es genau wissen – und arbeitet mit.

Eine Handvoll loser Knöpfe. Damit beginnt der Tag als Küchenhilfe. Mit einer Handvoll loser Knöpfe und einer Kochjacke. Es ist kurz vor 11.00 Uhr, und Thomas Schoof, der Küchenchef im Steigenberger Hotel Treudelberg, steckt gerade mitten in den Vorbereitungen des heutigen Tages. Zusätzlich zu den Menüs für die Mittagsgäste muss Fingerfood für eine Abendveranstaltung vorbereitet werden. Tomaten-Mozzarella-Spieße, gebrannter Ziegenkäse mit Feigensenf, Caesar’s Salad mit Putenspießen und hausgemachtes Wasabi-Knäcke mit Beizlachs und Avocado für 200 Personen! Fragen über Knöpfe scheinen in so einer Situation eher unangebracht.

Eine Handvoll Deb Purebac Foam Wash. Damit beginnt die Arbeit in der Küche – am Waschbecken. Bevor es überhaupt in die Nähe von Lebensmitteln geht, müssen die Hände gereinigt, desinfiziert und mit einer Schutzcreme bearbeitet werden. Erinnert ein wenig an Ärzte vor einer Operation. Und tatsächlich wäre ich jetzt lieber in einem OP als in einer Küche. Verfüge ich doch über medizinisches Basiswissen – aber über keine Kochkenntnisse.

Putenfleisch ist die erste Herausforderung des Tages

Deswegen fühlt es sich nicht richtig an, jetzt in einer Hotelküche zu stehen. Mit Kochjacke. Die Knöpfe, das habe ich gelernt, werden jedes Mal ähnlich wie Manschettenknöpfe durch die Löcher gesteckt. Damit man die Jacke besser waschen kann. Die Sachen suggerieren einen falschen Eindruck. Täuschen etwas vor, das ich nicht bin. Zum ersten Mal wird mir klar, dass es bei Arbeitssachen nicht nur um praktische Gründe geht, um Hygiene oder Bequemlichkeit. Sondern um die Außenwirkung.

Putenfleisch, die erste Herausforderung des Tages. Fünf Kilo Putenfleisch in Streifen auf Holzspieße stecken. Zickzackartig. Thomas Schoof zeigt einmal, wie es geht, bevor er in die À-la-Carte-Küche verschwindet. Während er dort das Essen für die Restaurant- und Hotelgäste vorbereitet, soll ich die Putenspieße für das Flying Buffet am Abend fertig machen. In der sogenannten Vorbereitungs- und Bankettküche, in der das Essen für Veranstaltungen zubereitet und angerichtet wird. Ruhig ist es hier. Um diese Zeit. Keine dampfenden Kochtöpfe, keine zischenden Pfannen, keine hektischen Zurufe. Ganz anders als gedacht.

Es ist wie so oft. Alles anders als in der Vorstellung. In den Vorurteilen. Kein Heer an Küchenhilfen, die Kartoffeln schälen, Gemüse putzen und alles für die Köche vorbereiten. Stattdessen 15 Köche, die jeden Handgriff selbst machen. Selbst Zwiebeln schälen, selbst Soßen anrühren, selbst das Essen auf den Tellern anrichten.

„Man weiß die Zutaten viel mehr zu schätzen und geht sorgsamer damit um, wenn man sie selbst vorher bearbeitet hat“, sagt Thomas Schoof, kurz zurück aus der À-la-Carte-Küche. Er arbeitet am liebsten mit Profis. Die den Job gelernt haben. Bei denen die Handgriffe sitzen, denen man nicht alles zeigen muss. Küchenhilfen gibt es nur eine. Und die ist heute nicht da.

Abneigung. Damit die Arbeit beginnen kann, muss sie enden. Überwunden werden. Die Abneigung, rohes Fleisch anzufassen. Zu Hause ein Luxuspro­blem. Hier nicht zu dulden. Existenziell. Ein Küchenhelfer, der kein Fleisch verarbeitet? Undenkbar! Auch für mich. Vergessen, dass es nur ein Experiment ist. Wenn ich hier arbeite, dann richtig. Richtig, das heißt: das Fleisch mit bloßen Händen anzufassen. Nicht mit Einweghandschuhen, wie sie ein paar andere tragen. Sie verarbeiten Obst, dabei sind Handschuhe Pflicht. Da Obst nicht gekocht oder gebraten wird, Keime also nicht von der Hitze abgetötet werden. Bei Fleisch schon.

Nur der nächste Arbeitsschritt zählt

Das Fleisch liegt in einem Gastronorm-Behälter aus Edelstahl. Zurechtgeschnitten, rosig, kalt. Gerade aus dem Kühlschrank geholt. Beim ersten Spieß ist es am schlimmsten. Den Holzstab durch das kalte Fleisch zu stechen, den Widerstand zu überwinden. Dann wird es einfacher. Gedanken sind ausgeblendet. Nur der nächste Arbeitsschritt zählt. Der nächste Spieß. Und der nächste. Und der nächste. Irgendwann höre ich auf zu zählen. Nichts zählt mehr, ist von Bedeutung. Ein bisschen wie in Trance. Ab und zu zerbricht ein Holzstab, ab und zu flutscht einer der in Öl getränkten Spieße durch die Hand, sticht in die Haut. Einzige Unterbrechung der Monotonie. Eine Monotonie, die seltsam befriedigend ist. Befreiend. Die Gedanken treiben zu lassen, loszulassen. Nicht die ganze Zeit agieren zu müssen, kognitiv zu arbeiten.

Drei Bretter. Blau, Grün und Rot. Damit beginnt die Einweisung von Thomas Schoof. Es ist 11.49 Uhr, und das letzte Stück Fleisch ist gerade aufgespießt und verpackt, die Hände sind frisch gewaschen und desinfiziert, als Thomas Schoof mich in die À-la-Carte- Küche holt. Damit ich sehe, wie es wirklich ist. Wie hektisch, aber gleichzeitig ruhig es zugeht. Wie die Köche Hand in Hand agieren, jeder weiß, was zu tun ist. Blau. Grün. Rot. Das sind die Farben der Schneidebretter. Streng festgelegt, penibel eingehalten. Rot für Fleisch, grün für Gemüse, blau für Fisch. Ich bekomme den Platz an einem blauen Brett zugewiesen. Die Aufgabe: Forellen-Filets in vier Stücke zerteilen und zusammen mit Wurstsalat, Rettich, Laugengebäck, Obazda und Landjägern auf den Vorspeisentellern für die Bayrische Hütte anrichten. Immer gleich, nach einem festgelegten Schema. Alle Teller sollen identisch aussehen. Tun sie aber nicht. Nicht, wenn ich sie mache.

Mal bricht das Forellen-Filet auseinander, mal verrutschen die aufgestapelten Stückchen auf dem Teller. Nach einem Blick zu den anderen wird klar: Thomas Schoof und seine Kollegen sind keine Köche. Sondern Künstler. Bei denen jedes Detail stimmt, jede Zutat durchdacht ist. Hier werden nicht einfach Speisen zubereitet. Sondern Mahlzeiten kreiert, das Kochen zelebriert.

Keine Mittagspause – nur eine Schüssel Eintopf im Stehen

Eine Schale Bohneneintopf. Damit beginnt die Mittagszeit. Eine Mahlzeit im Stehen. Keine richtige Pause, mehr eine Arbeitsunterbrechung. Ein paar Löffel zwischen zwei Bestellungen. Das Essen für die Angestellten kochen sie selbst. 120 Portionen. Zusätzlich zu den rund 300 Essen für die Hotel-, Restaurant und Bankettgäste. Jeden Tag. Oft auch mehr. Allein 10.000 Eier, 200 Kilo Roastbeef, 300 Kilo Lachsfilet und 300 Liter Sahne werden hier jeden Monat verarbeitet. Die Mengen sind unvorstellbar. Einfach unfassbar.

Rot. Die Farbe des Brettes, das, zurück in der Vorbereitungsküche, auf mich wartet. Dabei hatte ich so auf grün gehofft. Auf Gemüse. Karotten, Erbsen. Meinetwegen auch Zwiebeln. Neben dem roten Brett auf dem Boden steht eine Kiste mit verpackten Maishähnchenbrustfilets. So schwer, dass ich sie alleine nicht auf die Arbeitsplatte gehoben bekomme. Christian Nachtweyh (36) muss helfen. Er stellt sich als Chef de Partie Saucier vor, bevor er ein Papiertuch unter fließendes Wasser hält, ausdrückt und unter dem Brett ausbreitet. Damit es nicht verrutscht, sicher ist.

Soweit man in der Küche überhaupt von sicher sprechen kann. „Schneiden tut sich jeder mal, das gehört dazu“, sagt Christian Nachtweyh, rollt seine Messertasche aus und zieht vorsichtig ein Fleischmesser heraus. Bloß vorsichtig! Das ist echt scharf! Damit lassen sich nicht nur Fleischstücke mühelos schneiden, sondern auch Finger. Also bloß keine schnellen unbedachten Bewegungen. Lieber gaaaaaanz langsam arbeiten. Nur kein Stress. Aber halt, Himmel! Bloß nicht so das Fleisch anfassen. Zu gefährlich! „Immer im Krallengriff arbeiten“, sagt Christian Nachtweyh und zeigt, wie die Finger nach innen gekrümmt werden. Dann überlässt er mir sein Messer – und rund 20 Kilogramm Fleisch. Nein, keine Sorge, nicht alles muss geschnitten werden. Nur etwa 100 bis 200 Gramm pro Person. 60 Gäste werden erwartet. Aber lieber mehr machen. Die Reste könne man für das Mitarbeiteressen verwenden, sagt er.

Messer sind in der Küche ein Heiligtum

Sofort klar, wie viel das ist. Wie lange das dauern wird. Vor allem, wenn man noch nie im Krallengriff gearbeitet hat. Wenn man immer wieder in alte Griff-Muster zurückfällt, die Haltung der Hand ständig neu ausrichten muss. Wenn jeder Handgriff Kopfsache ist, wenn es keinen Automatismus gibt. Keine Übung. Und wenn man das Geschnittene immer wieder mit dem Messer vom Brett in den Auffangbehälter schabt – und dabei jedes Mal gestoppt wird. Weil dadurch auch Teilchen vom Brett ins Essen geraten könnten. Und weil man damit die Messer schädigt. Und die Messer sind in der Küche ein Heiligtum. Eine Kostbarkeit. Etwas, das die meisten Köche nur ungern aus der Hand geben. Es gebe Köche, die besitzen ihr ganzes Berufsleben die gleichen Messer. Besitzen und behüten sie. Einige bewahren sie nachts in ihren Schließfächern auf, einige nehmen sie sogar mit nach Hause.

Undenkbar, sie anderen zu überlassen. Anfängern. Jemandem, der keine Ahnung hat, wie man damit umgeht. Jemandem wie mir! Christian Nachtweyh würde das nie so sagen. Aber ich bin mir sicher, dass er so denkt. Dass er jedes Mal zusammenzuckt, wenn ich mit seinem Messer über das Brett schabe. Auch wenn er versichert, dass es für ihn wirklich vollkommen in Ordnung sei. Weil ich mich ja sicher auskenne, zu Hause doch auch koche. Aber wenn er an diesen Azubi denkt, dem er sein Messer mal geliehen hat! Der – Himmel, kann man sich das vorstellen!? – damit die Spaghetti im Topf umgerührt hat. Also wirklich! Unfassbar! Sowieso! Azubis. Das sei so eine Sache. Viele total verweichlicht, überhaupt nicht mehr stressresistent. „Wollen mit wenig Einsatz viel erreichen – und viel verdienen“, sagt Christian Nachtweyh und schüttelt den Kopf.

Christian Nachtweyh setzt gerade die Soße für das Chicken Curry an. Soßen sind seine Spezialität. Soßen, Fisch und Fleisch. Daher sein Titel: Chef de Partie Saucier. Während er Zwiebeln, Ingwer sowie Chilischoten anschwitzt und mit Maracujasaft ablöscht, erzählt er, dass er früher Zeitsoldat war. Im Stab gearbeitet hat, auf der Poststelle. Total entspannt sei das gewesen. Bis er sich entschieden hat, Koch zu werden. Mit 23 Jahren. Weil er seiner Mutter so gerne beim Kochen zugeschaut hat.

Es ist kein Job, den man einfach so machen kann. Wenn man nicht voll dahintersteht. Nicht dafür brennt. Sonst verbrennt man. Geht kaputt. „Wenn du Koch wirst, dann nur aus Leidenschaft. Aus Herzblut“, sagt Christian Nachtweyh und schmeckt das Curry ab. Ein bisschen Weißwein fehlt noch, ein wenig Säure. „Köche kann man mit Leistungssportlern vergleichen. Weil wir auf den Punkt genau Geschwindigkeit und Leistung bringen müssen.“ Adrenalin pur.

Er hat heute Spätschicht, noch den ganzen Nachmittag vor sich, den ganzen Abend. Bis 23 Uhr. Erst in der Vorbereitungsküche, ab 17 Uhr dann drüben im À-la-Carte-Restaurant. Wo er die Kellner regelmäßig fragt, wie den Gästen das Essen geschmeckt hat. Sein Essen. Die Rückmeldung ist ihm wichtig, die Bestätigung. Die Bestätigung, dass es richtig war, Koch zu werden. Auf das ruhige Leben bei der Bundeswehr zu verzichten. Keine geregelten Arbeitszeiten zu haben, tagsüber kaum Zeit zum Essen zu haben. Erst nach Feierabend, oft gegen Mitternacht, hat er Ruhe zum Essen. Meistens macht er sich dann was Schnelles. Ein Brot, eine Pizza, einen Hamburger. Oder eine Dose Ravioli.

Stundenlang Kartoffeln pellen – und kein Ende in Sicht

Totale Erschöpfung. Damit beginnt der Nachmittag. Die vergangenen Wochen habe ich häufig in anderen Jobs drüber geschrieben. Doch nie so empfunden wie heute. Vier Stunden jetzt hier und noch keine Minute gesessen. Nur gestanden. Erst geht es auf die Knie, dann auf den Rücken. Und kein Ende in Sicht. Es ist erst 15 Uhr. Wenigstens ist das Fleisch fertig – und die Finger sind noch heil. Reines Glück. Jeder hier hat Narben an den Fingern, kann eine Geschichte dazu erzählen. Von halb abgetrennten Fingern, umherspritzendem Blut, Hauttransplantationen. Und plötzlich hat der Job in der Küche doch OP-Atmosphäre. Einen kurzen Moment lang.

Weitermachen. Weiterstehen. Diesmal kein neues Brett, keine neue Farbe. Sondern ein Gastronormbehälter. Fassungsvermögen 25 Liter. Voll mit Kartoffeln, die gepellt werden sollen. Bestimmt 15 Kilo. Unvorstellbar, das zu schaffen. Total frustrierend. Obwohl die Menge der gepellten Kartoffeln auf der einen Seite immer größer wird – sieht man auf der anderen Seite, bei den ungepellten, keine Veränderung. Keine Abnahme. Beinahe Stillstand.

Auch auf der Uhr. War es nicht gerade schon halb vier? Sind wirklich erst drei Minuten vergangen, seit ich das letzte Mal die Zeit gecheckt habe? Es ist ein Paradoxon: Je gleichmäßiger und ruhiger ich arbeite, um so unruhiger werde ich. Nervöser. Weiß einfach nicht, was ich tun soll, während die Hände Pelle abziehen, abschaben. Woran denken? Die Leere im Kopf macht mich total verrückt. Lässt die Zeit nicht vergehen, die Beine schmerzen noch mehr. Gedanken schweifen ab – und landen dann doch jedes Mal wieder bei der gleichen Frage: Wie geht es denen, die diesen Job jeden Tag machen? Woche für Woche, Jahr für Jahr. Bis zur Rente! Küchenhelfern, die acht Stunden Kartoffeln schälen und Gemüse putzen. Für rund 1616 Euro. Wenn sie nach Tarifvertrag bezahlt werden.

Weniger Köche – mehr Küchenhilfen

Sechs Stunden. Nur gestanden. Nichts geht mehr. Einmal hinsetzen, nur kurz. Thomas Schoof ist auch im Pausenraum. Er hat um 10 Uhr angefangen. Wann er Schluss hat? Schulterzucken. Wenn alles fertig ist. „Die Leute denken immer, das hier ist eine Kochshow. Ist es aber nicht“, sagt er und steht wieder auf. Er muss das Flying Buffet fertig machen. Kochshows guckt er fast nie.

Es wird fünf, dann sechs. Nichts, an dem sich die Zeit festmachen lässt. Ableiten lässt. Nur Kartoffeln, die es zu pellen gilt. Irgendwann, als der Behälter mit den fertigen Kartoffeln größer ist als der Berg mit den ungeschälten, habe ich Feierabend. Thomas Schoof richtet gerade Tomaten-Mozzarella-Spieße mit Rucola an, hebt zum Abschied kurz die Hand. Die Kochjacke lege ich in sein Büro. Daneben eine Handvoll Knöpfe.

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