Ein anstrengender Job, der aber viel Erfüllung bringen kann. Besonders die Eingewöhnung der ganz kleinen Kinder geht an die Substanz.

Ruhig ist es, fast still. Irgendwo zwitschert ein Vogel, ein Fahrrad fährt vorbei. Mehr ein Luftzug als ein Geräusch. Aus dem Kindergarten ist kein Laut zu hören. Nichts. Kein Lachen, Schreien, Streiten, Weinen. Keine Kinderlieder oder Abzählreime. Keine polternden Schritte auf der Treppe. Nichts. Noch nicht. Zu früh noch, gerade mal 7.30 Uhr. Nur eine Handvoll Kinder ist um diese Zeit schon in der Elbkinder-Kita Rabenhorst. Malt, guckt mit den Erziehern Bücher an. Einige gähnen, sind noch müde. Ich auch. Um 7 Uhr beginnt der Frühdienst, für manche Kinder sogar schon um 6. Zu früh, um schon laut zu sein.

Leer ist es, fast einsam. Mit Ausnahme des Raums mit den Frühdienst-Kindern sind die meisten Zimmer noch verlassen. Nur die Erzieher sind schon da. Planen den Tag, besprechen Besonderheiten. 136 Kinder und 28 Mitarbeiter gibt es in der Kita. Erzieher, sozialpädagogische Assistenten, Azubis, FSJler, Verwaltungskräfte, Hausarbeiterinnen – und mich. Es ist der Einsatz, auf den ich mich am meisten gefreut habe. Der Einsatz, der mich zurück zu meinen Wurzeln bringt. Sich fast wie eine Heimkehr anfühlt. Weil ich Erziehungswissenschaft studiert habe, schon immer mit Kindern arbeiten wollte. 20 Jahre sind seitdem vergangen. 20 Jahre, in denen ich einen vollkommen anderen beruflichen Weg eingeschlagen habe – und in denen ich mich immer mal wieder gefragt habe, ob ich damals die richtige Entscheidung getroffen habe.

Um acht Uhr ist es noch ruhig in der Gruppe

Ordentlich ist es in der Bärchengruppe. Die Bücher stehen im Regal, die Puppen liegen in der Kuschelecke. Die Bauklötze sind in der passenden Kiste, die Schleichtiere in einem Karton. Der Spielteppich ist leer. Ein paar Minuten noch. Bis der Bienenfresser ruft. Der Vogel an der Wanduhr, der sein heiseres „Prürr“ ausstößt. Immer zur vollen Stunde ist ein anderer Vogel zu hören. Der Bienenfresser macht den Anfang des Tages. Es ist acht Uhr.

Es ist, als ob jemand plötzlich die Lautstärke angestellt hat und langsam immer höher dreht. Die Kinder kommen. Der Räume werden mit Leben erfüllt. Und mit Lärm. Stimmen, die eben bei der morgendlichen Begrüßung kaum mehr als ein Flüstern waren, schwellen im Spiel an. Werden lebhafter, lauter. Kinderfüße, die eben noch leise die Treppe hochgeschlichen sind, fangen an zu zappeln. Hüpfen, tanzen, toben. Wie eine Welle schwappen die Kinder in die Bärchengruppe, überfluten sie. Erwachsene betreten einen Raum, Kinder nehmen ihn ein. Beleben ihn.

Es gibt Streit. Wutausbrüche. Tränen. Weltuntergang.

Klein ist sie, die Gruppe. Überschaubar. Normalerweise besteht sie aus 36 Kindern bis 5,5 Jahren, das jüngste noch nicht einmal zwei. 36 Kinder für fünf Erzieher, plus ein FSJler, der ein Freiwilliges Soziales Jahr macht. Doch heute sind es weniger. Weil Ferien sind. Weniger Erzieher, weniger Kinder. Weniger – aber dennoch genug. Für mich. Für jemanden, der es nicht gewohnt ist, mit 20 kleinen Jungs und Mädchen zusammen zu sein. Von allen Seiten mit Tierstimmen und Polizeisirenen beschallt zu werden. Von mehreren Kindern gleichzeitig in Beschlag genommen zu werden – die alle etwas anderes wollen. Malen, basteln, vorlesen, frühstücken. Eine Herausforderung – um es mal pädagogisch wertvoll auszudrücken. Bin zwar nicht überfordert – aber schon sehr gefordert. Von den Kindern, der Situation. Es ist ungewohnt, nicht autark agieren zu können und sein eigenes Ding zu machen – sondern permanent auf andere zu reagieren. Fremdbestimmt.

Die Uhrzeiger stehen zwischen Bienenfresser und Schwarzspecht. Obwohl die meisten Kinder gerade erst von ihren Eltern gebracht wurden und viele noch gar nicht da sind, wollen die ersten schon wieder frühstücken. Gemäß des offenen Konzeptes, dass jeder frühstücken darf, wann er möchte. Und mit wem er möchte. Jule (3), Lentje (4) und Johann (4) möchten mit mir! Sie ziehen mich zu ihrem Tisch, packen ihre Brotdosen und Brötchentüten aus. Dann ein Moment der Irritation. Weil ich selbst keinen Snack mitgebracht habe. „Hat dir deine Mami denn nichts eingepackt?“, fragt Jule mitleidig. Auch die anderen sind fassungslos, schließen kurzerhand einen Rettungsplan. Jeder gibt mir etwas ab: eine Scheibe Gurke, einen Karottenstick, einen Krümel vom Croissant. Kaum groß genug für ein Vögelchen. Eine fast unbedeutende, scheinbar unsinnige Geste. Doch sie löst Emotionen aus, die nur Kinder auslösen können. Mit ihrer unbedarften und selbstlosen Art. Mit Worten ohne Hintergedanken. Handlungen ohne Kalkül.

Hätte nie gedacht, dass fremde Kinder eine solche Reaktion auslösen können

Überraschend ist es, nahezu überwältigend. Wie ich auf die Kinder reagiere. Hätte nie gedacht, dass fremde Kinder so eine Reaktion bei mir auslösen können. Solche Gefühle in mir wecken. Wenn sie sich ankuscheln, auf den Schoß möchten oder die Hand halten wollen. Wenn sie einem grenzenloses Vertrauen entgegenbringen. Zuneigung zeigen. Keine Vorbehalte haben. Das berührt, rührt mich zutiefst.

Es ist kurz nach dem Ruf des Schwarzspechts, als ich aus meiner rührseligen Stimmung gerissen werde. Es gibt Streit. Wutausbrüche. Tränen. Weltuntergang. Wegen eines Malbuchs, das Jule hat – Lentje aber ebenfalls haben möchte. Hier helfen keine Argumente, keine Diplomatie, nur Taten: Schnell eine Prinzessin aus dem Buch abmalen und Lentje zum Ausmalen geben. So einfach macht man Kinder glücklich! So einfach ist es also, Erzieherin zu sein – könnte man denken. Ein paar Sekunden lang. Bis das nächste Kind kommt. Und das nächste. Bis ich eine Prinzessin und ein Einhorn nach dem anderen male. Bis ich von einer Traube Kinder belagert werde, die mich alle gleichzeitig mit ihren Malwünschen bombardieren und von allen Seiten an den Armen ziehen, um auf sich aufmerksam zu machen. Eine Anhänglichkeit, Distanzlosigkeit, die kurz überfordert. Einengt. Das ist eine der vielen Sachen, die es zu lernen gilt. Sich nicht total von den Kindern vereinnahmen zu lassen. Grenzen zu ziehen, ohne zurückzuweisen.

"Was Du machst, hat nicht viel mit dem Job zu tun"

Nachdem ich vier Einhörner und zwei Prinzessinnen gemalt, drei Streite geschlichtet und gefühlte 100-mal das Spiel „Ich sehe was, was du nicht siehst“ gespielt habe, frage ich mich, wie man das den ganzen Tag aushält? Wie man es schafft, nur auf andere einzugehen? Ständig verfügbar zu sein? Die Antwort, total verblüffend: „Gar nicht“, sagt Karin Feld, 49. Sie ist Kinderpflegerin und macht den Job seit 25 Jahren. „Das was du da machst, hat nicht viel mit unserer Arbeit zu tun.“

Das sitzt! Alle Bemühungen umsonst! Fast zwei Stunden im Dienst, ohne einen Einblick in den Job bekommen zu haben. Also von vorne! Lerne, dass die Kinder sonst an drei von fünf Tagen in Altersgruppen aufgeteilt und entsprechend ihrem Entwicklungsstand gefördert werden. Dass es sonst Musik- und Tanzstunden gibt. Und dass die Erzieher nicht wie ich eben die gesamte Zeit mit den Kindern verbringen. Sie bespaßen. Sondern diverse andere Aufgaben haben. Dokumentationen über die Entwicklung des Kindes erstellen. Beobachtungsbögen ausfüllen, in denen das Verhalten der Kinder in speziellen Situationen erfasst wird. Entwicklungswege dokumentieren, erst stichwortartig mit der Hand, dann am Computer ausformulieren. Fotos machen und diese beschriften. Elterngespräche vorbereiten.

Neun von 36 Kindern müssen noch gewickelt werden

Als um 10 Uhr die Elster ruft, ist es Zeit, den Wickelbereich vorzubereiten. Da die Bärchengruppe eine sogenannte Familiengruppe ist, gibt es hier viele Kleinkinder. Neun von 36 Kindern müssen noch gewickelt werden. Jedes von ihnen zwei- bis dreimal am Tag. Das heißt: 20- bis 30-mal die Kleinen zum Wickeltisch locken, die Treppe hochklettern lassen, ausziehen, sauber machen, anziehen – manchmal komplett neu, wenn was danebengegangen ist. Und bei allem die Kinder mit einbinden, einbeziehen. Hosen selbst herunterziehen lassen, Bodys eigenständig öffnen lassen. Auch wenn es länger dauert, viel länger. Auch wenn man dafür Geduld braucht, viel Geduld.

Es ist zehn Uhr. Drinnen ruft die Elster, draußen die Sonne. Alle sollen sich anziehen und raus. Mehr als ein Dutzend Kinder drängt sich in der Garderobe, braucht Hilfe. Mit Socken, die nicht über die Füße passen. Mit verdrehten Jackenärmeln, fehlenden Sonnen-kappen, verknoteten Schnürsenkeln oder Schuhen, die falsch herum sind. Eigentlich mache ich nichts anderes als zu Hause, aber es fühlt sich anders an. Anstrengender. Geballter. Während ich auf dem Boden kniend probiere, einem zappelndem Kind einen anscheinend viel zu kleinen Schuh anzuziehen, muss ich an einen Artikel denken, den ich gelesen habe. In dem es um die Belastung und den Stresspegel verschiedener Berufsgruppen ging. Erzieher sind dort nicht erwähnt worden. Und ich frage mich, warum eigentlich nicht. Warum jeder glaubt, dass die ja nichts anders machen als jede Mutter? Warum das Image so schlecht ist? Das Ansehen? Und die Bezahlung?!

Ich schäme mich jetzt für frühere Gedanken

Als endlich alle Kinder komplett angezogen und im Garten sind, ist die Sonne verschwunden. Die Erzieher stehen am Rand, beobachten die Kinder. Was für ein entspannter Job! Könnte man denken! Habe ich selbst schon mal gedacht, wenn ich unsere Kinder aus der Kita abgeholt habe und die Betreuer in der Sonne saßen. Jetzt schäme ich mich dafür. Wünschte, nie solche Gedanken gehabt zu haben. Weil es nichts anderes als eine Momentaufnahme ist, die man wahrgenommen habt. Weil es in keiner Weise den Alltag von Erziehern widerspiegelt. Die Verantwortung, Anstrengung. Den Einsatz.

Traurig ist es, fast herzzerreißend. Auf dem Boden hockt ein kleiner Kerl und weint. Er ist vielleicht zwölf oder 13 Monate alt. Fast noch ein Baby, so kommt es mir vor. Dicke Tränen kullern über die Bäckchen, ein verzweifeltes Schluchzen ist zu hören. Ein Anblick, bei dem ich am liebsten mitweinen würde. Die anderen erzählen, dass er in der Eingewöhnung ist, sich noch nicht eingelebt hat. Heimweh hat. Seine Mami vermisst.

Jetzt geht es um einen kleinen Menschen, dem geholfen werden muss

Himmel! Bin fassungslos, was das mit mir macht. Welche Emotionen dieses hilflose Wesen in mir auslöst. Es ist keine bewusste Handlung, mehr ein Impuls, ein Instinkt, als ich den Jungen auf den Arm nehme und tröste. Ihn hin und herwiege, über die Haare streiche, beruhigend ins Ohr flüstere. Es spielt keine Rolle, dass dies nur ein Job ist, nur ein Experiment für einen Tag. In diesem Moment geht es nicht um einen Artikel, der geschrieben werden muss. Sondern um einen Menschen, der Hilfe braucht. Egal wie klein er ist. Egal wie klein und banal manch einem Erwachsenen seine Sorgen vorkommen mögen. Egal wie klein und unbedeutend mein Handeln sein mag, es fühlt sich großartig an.

Als die Tränen getrocknet sind, fängt es an zu regnen. Zurück nach drinnen, alle wieder ausziehen, Hände waschen. Weiter. Auf dem Bauteppich wird mit Schleichfiguren gespielt, Löwengebrüll und Elefantentröten nachgemacht. In der Küche läuft der Mixer, eine paar Kinder backen mit dem FSJler Kekse. Sie hantieren mit Mehl und Zucker, kneten kleine Kugeln und drücken sie zu Cookies platt. Krümel fallen auf den Boden, Schokoladenstückchen kleben unter den Füßen. Muss mich zurückhalten, um nicht einzugreifen. Um nicht alles selbst zu machen – sondern die Kinder machen zu lassen. Alleine. Eigenständig. Auch wenn das heißt, dass alles länger dauert. Dass mehr Dreck entsteht. Mehr Unordnung. Aber auch mehr Glück. Zufriedenheit. Stolz.

Suppe kleckert auf den Tisch, tropft auf den Boden

Schwierig ist es, fast unmöglich. Nicht ständig Ratschläge zu geben, nicht permanent einzuschreiten, mich einzubringen. Egal ob beim Aufbau des Zoogeheges, beim Backen oder beim gemeinsamen Mittagessen. Es gibt Suppe, und die Kinder dürfen sich selbst auffüllen. Suppe schwappt über den Löffel, kleckert auf den Tisch, tropft auf den Boden. Ertappe mich dabei, dass ich immer wieder aufspringen und helfen will – und von den anderen Erziehern ein Zeichen bekomme, es zu lassen. Die Kinder selbst machen zu lassen. Sich selbst Getränke einzuschenken, selbst Verschüttetes aufzuwischen, selbst die benutzen Teller wegzuräumen. Selbständig zu werden.

Während die größeren Kinder noch beim Essen sind, beziehen die kleineren Matratzenlager. Es ist kurz nach dem Ruf des Kuckucks um 12 Uhr und die Zwei- bis Dreijährigen machen Mittagsschlaf. Einfach zu niedlich, wie sich die Kleinen mit Stofftier und Schmusedecke auf den Matratzen einkuscheln und schlafen. Einfach beneidenswert. Würde mich am liebsten dazulegen und auch schlafen. Bin total erschöpft, ausgelaugt. Einfach total alle.

Die Konzentration fällt schwer, wenn die Kleinen schlafen

So sehr, dass ich mich kaum auf das Buch konzentrieren kann, das wir nach dem Essen vorlesen. So sehr, dass ich mehr gähnen muss als die Dreijährigen, die keinen Mittagsschlaf machen und mit der Müdigkeit kämpfen. So sehr, dass ich immer wieder zur Uhr gucke. Die verbleibende Zeit bis zum Feierabend ausrechne. Es wird ein Uhr, dann zwei. Erst ertönt der Weißstorch, dann der Kaiseradler. Erst kommt ein verschlafenes Kind aus dem Ruheraum, dann die anderen. Die Mittagszeit ist vorbei, es gibt eine Pause mit Keksen und Obst. Der Fußboden, den ich nach dem Mittagessen sauber gemacht habe, wird wieder dreckig, vollgekrümelt.

Während die Kinder mit einem Donnermacher das Geräusch eines herannahendes Gewitters nachstellen und die Zeiger der Uhr vom Kaiseradler auf den Mäusebussard wandern, erzählt mir Jens Schumann (53), warum Erzieher der tollste Job der Welt ist. Für ihn! Weil jeder Tag anders ist und er sich jeden Tag auf die Arbeit freut, auf die Kinder. Weil Kinder einem etwas geben, das man in keinem Büro, an keinem Schreibtisch bekommt. Und weil es im Leben um mehr geht, als Geld zu verdienen. „Ums Herz“, sagt Jens. So einfach ist das. Trotzdem, oder gerade deswegen: Seiner Tochter hat er von dem Beruf abgeraten. Damit sie nicht verheizt wird. Sie ist Industriekauffrau geworden.

Es ist kurz vor vier Uhr, als der Tag als Erzieherin zu Ende geht. Den Ruf des Purpurhuhns höre ich nicht mehr.

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