Die Zahl der offenen Stellen in Hamburg ist hoch. Warum eigentlich? Miriam Opresnik will es genau wissen – und arbeitet mit.
Kalt ist es. Noch nicht mal 13 Grad. Und das im August! Ziehe die Schultern hoch und trete von einem Bein aufs andere, während ich vor der verschlossenen Tür des Freizeitbads Bondenwald warte. Es ist 5.20 Uhr, und in zehn Minuten soll mein Dienst als Bademeisterin beginnen. Als mir vor ein paar Tagen die Uhrzeit mitgeteilt wurde, habe ich mir nichts dabei gedacht. Jetzt schon! Gibt es wirklich Leute, die so früh schwimmen gehen? Oder warum fangen Bademeister so früh morgens an?
Viele Vorurteile
Wechsel der Klimazone: Raus aus dem gemäßigten Hamburger Klima, rein in die Tropen. In die Schwimmhalle. Fast 30 Grad sind es hier. Herrlich! Fühlt sich fast ein bisschen wie Urlaub an. Was für ein Arbeitsplatz! Aber kann man überhaupt von Arbeit sprechen? Wenn man den ganzen Tag nur herumsteht und aufs Wasser guckt! Mal ehrlich! So denkt doch fast jeder über Bademeister, oder? Christoph Wiedermann lacht. Er kennt das Klischee, die Vorurteile. „Was sich wirklich hinter dem Job verbirgt, das weiß kaum jemand“, sagt Wiedermann. Er ist Fachkraft für Bäderbetriebe, Saunameister und Teamleiter – und damit heute mein Chef. Ich nicke. Wenn wirklich noch mehr dazu gehört, dann habe ich ebenfalls keine Ahnung, was das sein könnte. Noch nicht. Es ist kurz vor sechs Uhr. Die Sonne geht auf.
Die Luftfeuchtigkeit in der Halle liegt bei 55 Prozent. Ein Mann und eine Frau in Gummistiefeln spritzen Wände und Fußböden ab. Sie tragen Bäderland-Klamotten. Die gleiche Hose und das gleiche Shirt wie Christoph Wiedermann und ich. In ein paar Stunden werden sie wie wir am Beckenrand stehen und die Aufsicht übernehmen. Als Bademeister. „Das heißt aber nicht, dass bei uns die Reinigungskräfte als Bademeister arbeiten“, stellt Wiedermann klar, bevor es zu Missverständnissen kommt. Es ist genau umgekehrt. Die Bademeister sind auch für die Reinigung und Desinfektion des Bades zuständig – und fangen daher so früh an. Damit sie fertig sind, wenn der Badbetrieb beginnt.
Früher Klempner, heute Chemiker
Noch keine Stunde da. Nichts gemacht, nur rumgelaufen. Und trotzdem schwitze ich. Das T-Shirt klebt am Rücken. Im Bondiland sind es 36 Grad. Mit klatschenden Badelatschen laufe ich hinter Christoph Wiedermann durch den Kleinkinderbereich, rücke Badespielzeuge zurecht, schließe Türen auf und kontrolliere mit ihm die Wasserparameter. Während die anderen Bad und Sauna, Toiletten und Umkleidekabinen reinigen, machen wir einen Kontrollgang über das Gelände. Laufen vom Bondiland durch den Garten zur Kaminfeuer-Sauna. 20 Grad Temperaturunterschied zwischen drinnen und draußen. Und das im Sommer.
Jedes Detail muss passen
Unvorstellbar, wie das im Winter sein muss. Bei Außentemperaturen im Minusbereich. Temperaturgefällen von bis zu 40 Grad. „Da muss man halt schneller laufen, damit man nicht zu frieren anfängt“, sagt Wiedermann und lacht, bevor er die Tür des Technikraums öffnet. Einem von vielen, unzähligen. Alles ist hochtechnisch. Digitalisiert. Er liest Zähler ab, kontrolliert Hygiene- und Wasserparameter. Jedes Detail muss passen, alles ist aufeinander abgestimmt. Luftfeuchtigkeit, Raum- und Wassertemperatur. 28 Grad hat das große Becken, der Action-Pool. Zwei Grad wärmer muss die Luft sein. Sonst bildet sich Kondenswasser. Sonst friert man in den nassen Badesachen.
Weiter, immer weiter. Treppe rauf, runter. Ein Raum nach dem nächsten. Vorbei an Kanistern mit Schwefelsäure, Säcken mit Marmorkies und Eimern mit Flockungsmittel. Von der PAK-Anlage zum Blockheizkraftwerk. Christoph Wiedermann notiert Zahlen, überprüft pH- und Chlorwerte, wartet die Wasseraufbereitungsanlage. Erklärt, warum man für organische Verschmutzung einen alkalischen Reiniger braucht und für mineralische einen sauren.
Nicht nur am Beckenrand stehen
Irgendwann verliere ich den Überblick, die Orientierung. Und meine Unwissenheit, fast schon Überheblichkeit. Jetzt wird mir klar, warum es drei Jahre dauert bis man Fachangestellter für Bäderbetriebe ist. Warum sich dahinter eine duale Ausbildung verbirgt. Warum es nicht reicht, nur am Beckenrand zu stehen. Weil man nicht nur für die Besucher zuständig ist – sondern für das gesamte Bad. Technische Abläufe. Chemische Prozesse. „Früher war das ein reiner Männerberuf. Da waren die Bademeister fast so was wie Klempner“, sagt Wiedermann und erzählt von seiner Ausbildung.
Von Wartungsarbeiten an Pumpen und technischen Bauteilen der Wasseraufbereitung, von Rohren, die er verlegt und verklebt hat. Und von Liegewiesen in Freibädern, groß wie Fußballfelder. Heute liegt dort fast niemand mehr. Heute gehen die Leute lieber ins Hallenbad. Oder bleiben ganz zu Hause. Heute heißen Bademeister Fachangestellte für Bäderbetriebe, sind mehr Chemiker und Animateur als Klempner. Wenn Christoph Wiedermann von früher erzählt, klingt das wie aus einer anderen Zeit. 2001 hat er seine Ausbildung gemacht. Nun ist er 33 Jahre alt.
Es ist 6.45 Uhr, und die ersten Badegäste sind schon da. Um 7 geht das Drehkreuz automatisch auf, für Besucher mit einer Kundenkarte, der Multicard. Die Kasse selbst öffnet erst um 9 Uhr. Fast zwei Stunden sind es noch bis dahin. Zwei Stunden, in denen Katharina Klau (32) die Kassiererin der Frühschicht das Wechselgeld zählt, die Abrechnung des vergangenen Tages prüft, die Warenbestände im Shop kontrolliert – und putzt. So wie alle anderen. Sie putzt die Scheiben im Eingangsbereich, poliert die Drehkreuze, wischt den Boden, reinigt die Sauna. Die Fliesen in der Eingangshalle sind noch feucht. Neben der Kasse steht ein klappbares Werbeschild. „Mitarbeiter (M/W) gesucht“ steht darauf.
Nicht wie Baywatch
Christoph Wiedermann lässt das Schild links liegen, läuft durch das Drehkreuz in die Sauna. Ich bleibe stehen. Lese die Anforderungen, überlege. Könnte ich hier mit arbeiten? So richtig? Jeden Tag? Unmöglich, jetzt schon eine Entscheidung zu treffen. Nach noch nicht mal zwei Stunden im Dienst. Trotzdem: Selbst nach dieser kurzen Zeit ist klar, dass das hier nicht der lockere Job ist, für den ich ihn gehalten habe. Dass Temperaturen wie im Strandurlaub am Arbeitsplatz längst nicht so herrlich sind wie gedacht. Dass dies alles hier nicht das geringste mit Baywatch zu tun hat, wie gehofft.
Es ist 7.30 Uhr. Die Temperaturen steigen. Mein Respekt vor der Arbeit auch. Bin dem Sauna-Team zugeteilt worden und soll den Wellnessbereich vorbereiten. Vorbereiten bedeutet vor allem: sauber machen. Spiegel und Mülleimer polieren, Bänke und Schränke abwischen – auch von innen. 164 Stück. Nicht anspruchsvoll. Aber anstrengend. Vor allem die Arbeit in gebückter Haltung, an den Sitzbänken im Umkleidebereich. Finde einfach keine Position, in der ich es länger als ein paar Minuten aushalte. Gebückt? Geht gerade mal ein paar Minuten. Davor hockend? Unmöglich! Auf dem Boden knieend? Nur mit Schmerzen! Beschämend, wenn ich an all die Reinigungskräfte denke, die gerade Büros und Arztpraxen saubermachen, Kindergärten und Kantinen putzen.
Ute Graber (55) sagt, dass sie beim Putzen nicht ans Putzen denkt. Sondern an ihre Gäste. Dass sie es irgendwie befriedigend findet, wenn alles wieder schön und sauber ist. Sie mag es, wenn alles sauber ist. Rein. Hygienisch. Früher war sie Krankenschwester, hat 20 Jahre lang auf der Intensivstation gearbeitet. Für den Job gelebt. Sie hat Menschen gepflegt – und sterben sehen. 20 Jahre lang. Bis sie irgendwann nicht mehr wollte, konnte. Warum sie ausgerechnet hier arbeitet? Obwohl sie hier weniger Geld verdient? Weil es im Job nicht darum geht, viel Geld zu verdienen. Sondern darum, glücklich zu sein. Erfüllt. Weil es hier nur Gesunde gibt. Keine Kranken.
Mit Shorts und Shirt in die Sauna
Mit einem Lappen wischt Ute ein letztes Mal über die Deckel der Mülleimer, poliert einen Wasserfleck an der Wand weg. Sie rückt die Haartrockner in den Halterungen zurecht, stellt die Waage gerade hin. Diese Kleinigkeiten sind ihr wichtig. Sie achtet auf Details, die mir entgehen. Ein Fingerabdruck an einer Türklinke, ein offen stehender Spint. Alles soll stimmen, wenn die Gäste kommen. Wenn die Sauna aufmacht. Wenn ihre Arbeit beginnt. Die richtige Arbeit. Putzen ist für sie nur eine Vorbereitung darauf. Auf die Arbeit in der Sauna. Dafür hat Ute sich extra zum Saunameister ausbilden lassen. Heute schult sie selbst das neue Personal.
Drinnen wird die Sauna aufgeheizt, auf 95 Grad, draußen das Tauchbecken gereinigt. Bei 15 Grad und Nieselregen. Mit einer Art Staubsauger soll ich kleine Dreckpartikel vom Boden absaugen. Der Regen wirbelt die Wasseroberfläche auf. Kaum noch möglich, auf den Boden zu gucken, irgendwas zu sehen. Trotzdem weiter! Keine Zeit zum Abwarten. Gleich öffnet die Sauna. Immer wieder mit dem Beckenbodensauger über den Boden fahren. Gegen den Wasserdruck anarbeiten. Hin und her, hin und her, hin und her. Gleichmäßige, langsame Bewegungen. Irgendwie beruhigend. Jeder angesaugte Dreck eine Befriedigung.
Es ist kurz nach neun und im Saunabereich breiten die ersten Gäste ihre Handtücher im Ruheraum aus. Im Raum mit den Aufgussmitteln befüllt Ute kleine Schälchen mit Peeling und kocht neuen Sud aus Apfelblüten auf. Hier ist es so heiß und feucht, dass mein Stift nicht mehr schreibt. Und dann geht es in die Sauna. Ute und ich sind für den nächsten Aufguss zuständig. In voller Montur. Und das bei 95 Grad.
Hitze kaum erträglich
Drei Runden sind es. Drei Runden, in denen wir drei bis vier Kellen aromatisiertes Aufgusswasser auf die heißen Saunasteine gießen. Drei Runden, in denen wir mit Handtuch, Fächer und Wedelring von Gast zu Gast gehen und den aufsteigenden Wasserdampf verwedeln, verteilen. Drei Runden, in denen der Wasserdampf auf der kühleren Haut kondensiert und die Hitze der Saunasteine auf den Körper übertragen wird. Drei Runden an der Grenze. Es ist so heiß, dass ich kaum atmen kann. Obwohl mir der Schweiß den Rücken hinabläuft, habe ich eine Gänsehaut. Eine Extremerfahrung. Acht Minuten lang.
Während die Saunabesucher nach dem Aufguss Pause machen, sich hinlegen, ziehen wir durchgeschwitzte Poloshirts aus, trocknen nasse Haare und machen weiter. Arbeiten weiter.
Draußen ist es kalt, 18 Grad nur. Fast 80 weniger als eben noch in der Sauna. Das Freibad ist fast leer. Es ist einer der letzten Tage des Sommers, der Wind wirbelt ein paar Blätter von den Bäumen, bläst sie auf die Wasseroberfläche. 18 bis 19 Grad hat das Wasser. Kalt wie die Nordsee, sagt eine ältere Dame, während sie ihre Bahnen zieht. Kathrin Stuwe (45) kniet am Beckenrand, beugt sich über die Kante und fischt eine Handvoll Blätter aus dem Ablaufsiel. Auch das gehört zum Job. So wie Schrubben der Durchschreitebecken, das Aufsammeln von Müll, das Putzen der Toiletten und das Zurücktragen der Liegen am Abend. So wie das permanente Ermahnen von Kindern und Jugendlichen, aus Sicherheitsgründen nicht von der Erlebnisinsel in der Mitte des Beckens zu springen. So wie das Verarzten kleiner Wunden, die Aufsicht am Beckenrand. Die Anspannung, Verantwortung.
Kathrin Stuwe empfindet das alles nicht so wie ich. Nicht als Belastung, sondern als Bereicherung. „Das ist keine Arbeit. Sondern eine Aufgabe. Und die muss man lieben. Sonst ist man hier falsch“, sagt sie und fasst damit zusammen, was ich an diesem Tag immer wieder gehört habe. Kathrin macht den Job seit 17 Jahren. Als Quereinsteigerin. Ohne fachspezifische Ausbildung. Genau wie Ute, die früher Krankenschwester war. Oder Morten, der zuvor als Tischler gearbeitet hat. Und wie die Hälfte der Badmitarbeiter von Bäderland, die keine ausgebildeten Fachkräfte für Bäderbetriebe sind – sondern Servicemitarbeiter. Voraussetzung: Deutsches Rettungsschwimmabzeichen in Silber und Erste-Hilfe-Grundausbildung. So steht es auf der Stellenausschreibung im Eingang. Diesmal bleibe ich nicht stehen, sondern laufe weiter. Ins Hallenbad. Der Dienst, die Aufsicht, am Actionpool beginnt.
Permanente Anspannung
Es ist Mittagszeit und einer der letzten Ferientage. Die Halle füllt sich, der Lärmpegel steigt. Die anderen sagen, dass es heute noch ruhig ist, doch ich stehe jetzt schon unter Strom. Stress pur. Wie kann man den Überblick behalten, bei all den Badegästen? Wie Hilferufe zwischen all dem Geschrei hören? Wie Menschen in Not ausmachen, wenn überall im Wasser gespielt, gesprungen und gespritzt wird? Bin total überfordert. Dabei bin ich heute nur die Drittbesetzung, trage keine Eigenverantwortung. Doch die Anspannung bleibt. Auch wenn sie nicht sichtbar ist. Wenn man denken könnte, dass ich nur rumstehe, fürs Nichtstun bezahlt werde. Ein manifestiertes Klischee. Habe oft selbst schon so gedacht. Und nie hinterfragt, was sich hinter dem Job verbirgt. Nie überlegt, ob ich die Arbeit gerne machen würde. Mir nie die Frage gestellt, warum es auch in dieser Branche einen Fachkräftemangel gibt, Azubis fehlen.
Durchschnittsalter bei 42 Jahren
Nie! Bis jetzt. Bis zu diesem Zeitpunkt. Selbst am Beckenrand. Bei 30 Grad. Mit Kopfschmerzen und dem Gefühl, dem nicht gewachsen zu sein. Die Anforderungen nicht erfüllen zu können. Nicht mehr. Weil ich schon am Rettungsschwimmerabzeichen scheitern würde. Mit Mitte 20 fand ich das bereits schwer. Aber jetzt? Fast 20 Jahre später? Unvorstellbar! Das Durchschnittsalter der Badmitarbeiter liegt bei 42 Jahren.
Julieta sagt, dass sie die Schwimmprüfung ebenfalls nicht geschafft hat. Zweimal. Dass sie deswegen die Ausbildung als Fachangestellte für Bäderbetriebe verlängern musste. Beim ersten Mal hat sie die Zeit um zehn Sekunden verfehlt. Beim zweiten Mal um fünf. Fünf Sekunden. Julieta ist 22 Jahre alt.
14.15 Uhr, der Dienst ist gleich zu Ende. Übergabe an den Spätdienst. Ich verabschiede mich von Christoph Wiedermann, von den Kollegen. Auf dem Weg nach draußen kommt mir eine Gruppe von Kindern entgegen. Einige haben schon ihre Badesachen an, tragen Schwimmtiere unter den Armen. Voller Vorfreude. Der Anblick rührt mich. Ruft Kindheitserinnerungen hervor. Bilder von Sommertagen im Freibad. Drehe spontan um und mache ein Foto von dem Aufsteller im Eingang. Der Stellenausschreibung. Man weiß ja nie.
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