Hamburg. Entwicklung des Hafenareals wurde still und leise wieder aufgenommen. Der Bau des Stadtteils wird sich über 20 Jahre hinziehen.
Das ganze Projekt war streng vertraulich. Seit Monaten hatten die Senatskanzlei unter Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), die Wirtschaftsbehörde mit ihrem Staatsrat Rolf Bösinger und die Spitzen der rot-grünen Koalition mit der Hafenwirtschaft ausgelotet, wie die Entwicklung des Kleinen Grasbrooks trotz der gescheiterten Olympia-Pläne doch noch gelingen könnte. Als das Ergebnis endlich stand und immer noch nichts nach außen gedrungen war, ging man endgültig auf Nummer sicher.
Die Einladung zur Landespressekonferenz, in der der Senat jeden Dienstagmittag über aktuelle Themen informiert, wurde nicht wie üblich am Montagabend verschickt, sondern erst am Dienstag um 9 Uhr. Und als Thema wurde nur wolkig angegeben, Bürgermeister Scholz werde etwas „zu aktuellen Fragen der Stadtentwicklung“ sagen. Das konnte ja alles oder nichts bedeuten.
Leitartikel: Hamburg wagt den großen Sprung
Wie sich herausstellte und das Abendblatt dann doch vorab vermeldete, war es eher alles als nichts: „Ein neuer Stadtteil für Hamburg“, lautete das Thema, über das Scholz in der HafenCity Universität informierte. Der Standort war mit Bedacht gewählt: Vom Dach der Universität aus kann man im Süden den Kleinen Grasbrook sehen – jene Halbinseln in der Elbe, um die es ging.
Die nördliche Hälfte des Grasbrooks wird nun doch aus dem Hafengebiet entlassen, dort sollen 3000 Wohnungen im Quartier „Moldauhafen“ entstehen. Nach Osten („Freihafenelbquartier“) und Süden („Hafentorquartier“) werden die Wohnungen durch zwei Riegel aus Büro -und Gewerbegebäuden vor Lärm und Emissionen der Hafenbetriebe geschützt. Bis zu 16.000 Arbeitsplätze sollen dort entstehen. „Das ist ein sehr, sehr großer Tag für Hamburg“, sagte der Bürgermeister, sichtlich stolz über seinen Coup.
Großes Vorbild
Für den gibt es ein großes Vorbild: Am 7. Mai 1997 hatte der damalige Bürgermeister Henning Voscherau die Öffentlichkeit gleichermaßen überrascht, als er vor dem Übersee-Club den Bau der HafenCity ankündigte. Diese Nachricht war sogar noch konspirativer vorbereitet worden. Voscherau hatte nicht einmal seinen Senat eingeweiht und nur mithilfe weniger Vertrauter über Jahre riesige Flächen am Nordufer der Elbe durch die Stadt aufkaufen lassen.
Die Geheimhaltung sollte vor allem verhindern, dass die Grundstückspreise explodieren, denn das wären sie wohl, wenn bekannt geworden wäre, was Voscherau plant: Nicht mehr und nicht weniger als „das größte Stadtentwicklungsprojekt Europas“, wie jeder Senat seitdem stolz die HafenCity umschreibt.
So reagiert die Opposition auf die Grasbrook-Pläne
So wie Voscherau seinerseits die Parole ausgab: „Entscheiden wir uns nach vier Generationen für die Rückkehr der Stadt an die Elbe!“, verkündete Scholz nun den oft angekündigten „Sprung über die Elbe“. Die Bebauung des Grasbrooks sei dafür „der letzte Baustein“, sagte Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD). Sie stelle die Verbindung von der HafenCity zur Veddel her, die wiederum im Süden an die neuen Wohnquartiere anschließe, die durch die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße entstünden.
Während die HafenCity die enorme Fläche von 157 Hektar abdeckt und bei ihrer Fertigstellung im kommenden Jahrzehnt etwa 7000 Wohnungen für 14.000 Menschen und bis zu 45.000 Arbeitsplätze bieten wird, nehmen sich die Grasbrook-Planungen etwas bescheidener aus. Aber mit 46 Hektar Fläche, auf der 3000 Wohnungen für 6000 Menschen und bis zu 16.000 Arbeitsplätze entstehen sollen, ist es dennoch eines der größten Projekte in der Geschichte Hamburgs. Die Entwicklung des Gebietes soll sich etwa 20 Jahre hinziehen – während es bei der HafenCity am Ende rund 30 Jahre sein werden.
Ursprünglich andere Überlegungen
Ursprünglich hatten die Überlegungen für den Grasbrook sogar die Dimensionen der HafenCity. Die Hamburger Olympia-Bewerbung sah vor, beide Halbinseln aus dem Hafengebiet zu entlassen, dort das Olympiastadion und weitere Sportstätten sowie das olympische Dorf für die Athleten zu errichten. Nach den Spielen wäre das ganze Areal in einen Stadtteil mit 8000 Wohnungen umgestaltet worden – doch dem haben die Hamburger per Volksentscheid im Herbst 2015 einen Riegel vorgeschoben.
Alle Nachfragen, ob der Grasbrook nicht trotzdem entwickelt werden könnte, blockte der Senat mit dem Hinweis ab, ohne den Finanzierungsbeitrag des Bundes für die Spiele in Milliardenhöhe sei dieses Projekt für die Stadt nicht zu bezahlen. „Ohne Olympische Spiele bleibt der Kleine Grasbrook Hafen“, betonte Scholz seinerzeit.
Neuer Anlauf
Ende der Debatte? Von wegen. Einige Monate mussten die Beteiligten die Olympia-Klatsche aus den Kleidern schütteln, doch dann wurde heimlich, still und leise ein neuer Anlauf für den Grasbrook genommen. Auf die Frage nach dem Warum nannte Scholz mehrere Gründe: Die HafenCity sei bald fertig („Das geht jetzt rasant“), nordöstlich schließe sich das neue Entwicklungsgebiet „Billebogen“ an, die Verlängerung der U 4 bis an die Elbbrücken werde 2018 fertig und bald darauf auch die benachbarte S-Bahn-Station, die städtische Hafenfirma HHLA nutze Teile des Grasbrooks nicht mehr, und gleichzeitig drängten die Menschen unvermindert in die Stadt und suchten Wohnraum. Mit anderen Worten: Der Druck, den Grasbrook zu entwickeln, war groß.
Hafenwirtschaft in die Gespräche eingebunden
Dass es dieses Mal wirklich gelingen könnte, hat vor allem einen Grund: Die Hafenwirtschaft war in die Gespräche eingebunden und unterstützt sie. „Der Hafen gibt, der Hafen nimmt“, philosophierte Gunther Bonz, Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg, bei der Präsentation der Pläne und lobte dies überschwänglich: „Auf dem Kleinen Grasbrook wohnen und auf dem Großen Grasbrook arbeiten, besser kann man das nicht miteinander vereinbaren.“ Dass jemand wie Bonz, der sonst nicht mit Kritik am Senat spart, sich so äußert, lässt erahnen, wie hartnäckig hinter den Kulissen eine für alle Beteiligten zufriedenstellende Lösung gesucht wurde.
Wirtschaft erhält Planungssicherheit für Investitionen
Die liegt im Wesentlichen darin, dass im Gegensatz zu den Olympia-Plänen nur eine Hälfte des Kleinen Grasbrooks neu genutzt werden soll. Während für die Spiele viele Hafenfirmen hätten verlagert werden müssen, was inklusive Entschädigungszahlungen einen Milliardenbetrag gekostet hätte, ist dies nun nicht notwendig. Die Erschließung der Flächen, die unter anderem zu einer sturmflutsicheren Warft aufgeschüttet werden müssen, solle sich durch den Verkauf der Grundstücke selbst finanzieren, so Scholz: „Das soll ausgehen wie bei der HafenCity.“
Kita, Grundschule und Parks vorgesehen
Die konkrete Gestaltung des Areals werde sich erst im Laufe der Planungen ergeben, betonte der Bürgermeister. Klar sei nur, dass man 3000 Wohnungen anstrebe, von denen 1000 öffentlich geförderte Sozialwohnungen sein sollen. Auch Kita, Grundschule und Parks am Wasser seien fest vorgesehen. Was darüber hinaus in dem Quartier entstehe, sei noch offen. Denkbar sei zum Beispiel, dass das geplante große Hafenmuseum mit der Viermastbark „Peking“ auch am Grasbrook angesiedelt werde.
Die Aufgabe, das Areal zu entwickeln, wird die HafenCity GmbH erhalten. Deren Chef Jürgen Bruns-Berentelg wagte eine kühne Prognose: „Dieser Stadtteil wird Standards setzen.“