Hamburg wagt den großen Sprung: Endlich wird der Kleine Grasbrook bebaut – und die Stadt wächst zusammen.
Den Zeitpunkt für die überraschende Pressekonferenz hatte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) mit Bedacht gewählt. Während die Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees in Lima tagt, um die Sommerspiele 2024 und 2028 zu vergeben, lud der Bürgermeister in die HafenCity Universität. Das klingt wie Trauma-Bewältigung nach der schlimmen Olympia-Schlappe beim Volksentscheid 2015 – es war aber viel mehr. Der Bürgermeister hat die Entwicklungsachsen der Stadt für die kommenden 20 Jahre definiert. Hamburg wird eine wachsende Stadt bleiben. Und nebenbei hat Scholz den schwelenden Konflikt mit der Hafenwirtschaft abgeräumt.
Um die Zukunft des Kleinen Grasbrook, mitten im Wasser, mitten in der Stadt, tobt seit Jahren ein Kampf zwischen Stadtentwicklern und Hafenwirtschaft. Dabei gerieten brillante Ideen schnell in die Schusslinie und wurden zerstört. Etwa die Vision einer bewohnten Brücke zwischen der HafenCity und dem Kleinen Grasbrook. Oder der Plan, dort eine neue Universität zu errichten. Und zuletzt das Projekt des Olympischen Dorfs auf der Elbinsel.
In den neuen Planungen wird der Kleine Grasbrook geteilt. Das ist kein fauler Kompromiss, sondern ein kluger Entwurf. Er sichert die vielen Gewerbebetriebe im Süden und Osten, Industrieanlagen und Hafenfirmen. Zugleich entwickelt er endlich den Teil der Insel, der wie ein Scharnier zwischen der Innenstadt und der Veddel liegt.
Die Stadt bekommt ihr drittes innerstädtisches Entwicklungsprojekt: Nach der HafenCity, die ihrer Vollendung entgegeneilt, und dem noch jungen Billebogen im Osten ist Hamburg reif für die Insel: Schon ein Blick auf die Karte, mehr noch auf den Kleinen Grasbrook, zeigt, welchen Luxus sich die Stadt an dieser Stelle in der Vergangenheit geleistet hat.
Während überall in der Stadt Hinterhöfe verdichtet und viele Kleingärten zugebaut werden, während allerorts über Wohnungsmangel und Mietpreisexplosionen geklagt wird, reifen, mit Panoramablick auf die HafenCity, Bananen in Hallen oder warten Gebrauchtwagen auf ihren Export nach Afrika.
Schon 2022 könnte dort der Neubau von Wohnhäusern und Gewerbeflächen beginnen. Zugleich soll der neue Stadtteil die alten Stärken Hamburgs forterzählen: Die Innenstadt wird weiter belebt, Wohnen und Arbeiten rücken näher zusammen, und das maritime Element ist unübersehbar – der neue Stadtteil bietet fast fünf Kilometer neue Wasserlagen.
Die Olympia-Bewerbung war also doch nicht vergeblich, weil sie half, das Undenkbare zu denken – und Flächen, die der Hafen für alle Ewigkeit zu beanspruchen schien, frei zu machen. Die langen und harten Verhandlungen im Vorfeld zeigen nun, dass die dort ansässigen Unternehmen sehr wohl zum Umzug bereit waren. Das Überseezentrum wie der tschechische Hafen räumen ihre Flächen, während der Vertrag mit der Firma Unikai um 30 Jahre verlängert wird. „Der Hafen gibt, der Hafen nimmt“, brachte es Gunther Bonz, Präsident des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg, auf den Punkt.
Überhaupt war es ein Tag der Superlative in der HafenCity Universität. Olaf Scholz versprach einen „großartigen Stadtteil“ und einen der „tollsten Parks der Stadt“, Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) lobte die „großartige Chance“, und der scheidende Oberbaudirektor Jörn Walter schwärmte von einem „einzigartigen Vorteil Hamburgs im Wettbewerb der Städte“. Es klang fast wie eine Gegendarstellung zur Forderung des grünen Senators Jens Kerstan vom Wochenende, Hamburg müsse keine Weltstadt sein. Mit diesem neuen Großprojekt im Herzen der Stadt unterstreicht die Metropole ihre internationalen Ambitionen. Um dem Klein-Klein zu entkommen, bedarf es großer Ziele.
Allerdings steht noch dahin, ob der Grasbrook am Ende der große Wurf und große Sprung wird, der die City mit dem Süden verbindet. Wohnungen für 6000 Menschen und Gewerbeflächen für 16.000 Beschäftigte sind schön, machen aber noch keine funktionierende Stadt aus. Der Grasbrook benötigt kluge Nutzungen, um Menschen auf die Insel zu locken – das Hafenmuseum könnte dort eine passende Heimat finden, auch die Idee der Living Bridge lohnt noch einmal eine Überprüfung. Forschungseinrichtungen, eine Hochschule der Energiewende oder ein 3-D-Gewerbepark sind Möglichkeiten. Eine ausgefallene Architektur und eine kluge Inszenierung der Wasserflächen eine weitere. Die Ideen entscheiden über die Zukunft des Kleinen Grasbrook. Auf 46 Hektar, das zeigen die Großsiedlungen vergangener Jahrzehnte, kann man viel falsch machen – aber auch vieles richtig.
Dass Hamburg das Zeug dazu hat, lässt sich bald noch besser bestaunen: Vom neuen Elbpark im Moldauhafenquartier fällt der Blick direkt auf Elbphilharmonie und HafenCity.