Hamburg. Die Stadt will für die Bearbeitung der Anträge der Bürger eine dreistellige Summe kassieren. ADFC spricht von einem Skandal.

Rund 360 Hamburger haben sich mittlerweile an einer Internet-Kampagne des Allgemeines Deutschen Fahrradclubs (ADFC) beteiligt und eine Tempo-30-Zone vor ihrer Haustür beantragt. Weil an vielen Stellen Grenzwerte überschritten werden, rechnet der ADFC mit guten Chancen. Wie berichtet, dauert die Prüfung durch die Polizei zum Teil bereits einige Monate. Jetzt aber sollen die Betroffenen zur Kasse gebeten werden, damit ihr Antrag überhaupt weiterverfolgt wird.

-- Frage des Tages --

So bekamen einige Antragsteller in diesen Tagen Post von der Behörde, die sie aufschrecken lässt: Nach einigen Textbausteinen zu „Luftreinhalteplan“ und „Lärmaktionsplan“ und was sich damit alles in Zukunft verbessern werde, wird ziemlich unverblümt darauf hingewiesen, dass die Prüfung eines solchen Antrags teuer werden kann. „Es können somit Gebühren in Höhe von circa 360 Euro für Sie entstehen“, heißt es beispielsweise in einem Schreiben von der Polizei-Verkehrsdirektion VD 50, das dem Abendblatt vorliegt. Wenn man „vor dem Hintergrund dieser Information“ eine weitere Bearbeitung wünsche, möge man das mitteilen. Wenn nicht, werde der Antrag lediglich als „allgemeiner Hinweis“ aufgenommen, heißt es weiter in dem Schreiben, das in diesem Fall ganze sechs Monate nach Antragstellung versendet wurde.

---- Der Kommentar ----

Für den ADFC sind diese Antwortschreiben ein „Skandal“, wie ADFC-Sprecher Dirk Lau sagt. Er spricht von einer „weiteren Verschleppungstaktik“, weil die Stadt rechtlich verpflichtet sei, die Lärm- und Abgasbelastung zu verringern. Ganz offensichtlich sollten die Menschen davon abgeschreckt werden, ihren Rechtsanspruch auf Schutzmaßnahmen durchzusetzen.

Gerade Bürger mit geringerem Einkommen würden die hohe Gebühr übermäßig zu spüren bekommen — obwohl sie vielfach an den Problemstraßen wohnen müssten. Aus Sicht des ADFC ist die jetzige Geld-Forderung daher nichts anderes als eine „Strafgebühr“, mit der man sich Gesundheit erkaufen müsse. „Wir werden dagegen anwaltlich vorgehen“, kündigte der ADFC-Sprecher gegenüber dem Abendblatt an.

Offensichtlich bringt die Kampagne die Stadt derzeit tatsächlich unter Druck. Mit einer Art Antragsvordruck können Anwohner dabei online bei den Behörden beantragen, dass an ihrer Straße etwas gegen Lärm und Abgase unternommen wird – unter anderem mit weiteren Tempo-30-Zonen. Eine interaktive Karte zeigt, wo überall Grenzwerte überschritten werden. Und das ist tatsächlich an vielen Straßenzügen der Fall.

Behörde kann Gebühr erheben

Mittlerweile gibt es im Rahmen der Kampagne dem ADFC zufolge daher sogar bereits erste Klagen wegen Untätigkeit gegen die Stadt. Konkret laufen diese Verfahren für die Straßen Heimfelder Straße, Max-Brauer-Allee, Schäferkamps­allee und Sülldorfer Brooksweg. ADFC-Sprecher Dirk Lau zeigt sich dabei zuversichtlich, dass die Klagen Erfolg haben werden, da kürzlich das Verwaltungsgericht Stuttgart festgestellt habe, dass Behörden bei Grenzwertüberschreitungen zwingend verkehrsbeschränkende Maßnahmen ergreifen müssten. „Und da ist Tempo 30 ein wirksames Mittel“, sagt Lau.

Diesen letzten Punkt sehen zumindest auch die Behörden so: Grundsätzlich könnten „straßenverkehrsbeschränkende Maßnahmen“ ein Mittel sein. um die Belastung durch Luftschadstoffe und Lärm zu verbessern, heißt es beispielsweise in dem Schreiben an einen Antragsteller. Allerdings müsse jeweils durch eine „Einzelfallprüfung“ ermittelt werden, ob nicht andere durch geänderte Verkehrsabläufe Nachteile erleiden könnten. Dass eine solche Prüfung Geld koste, sei völlig normal; das gebe es wie bei Bauanträgen in vielen Fällen, sagte ein Polizeisprecher. Die Berechnung erfolge nach zeitlichem Aufwand und auf Grundlage der „Gebührenordnung Straßenverkehr“. Fällig werde sie, weil die Behörde selbst keine Notwendigkeit zur Prüfung gesehen habe und nun erst auf Antrag der Bürger aktiv werde.

Rechtlich nicht eindeutig

Doch so rechtlich eindeutig ist der Fall aber dann doch wohl nicht. Er halte die Gebühr für „rechtlich fragwürdig und politisch falsch“ , sagt beispielsweise der Hamburger Anwalt Felix Machts, der den ADFC bei der Tempo-30-Kampagne berät. Die Stadt könne eine solche Gebühr erheben, müsse es aber nicht. Machts: „Es gibt da für Behörden durchaus einen Spielraum.“ Hier sehe es tatsächlich eher so aus, als sollten die Antragsteller abgeschreckt worden, sagt der Jurist. Machts: „Das hat mich schon sehr überrascht.“

Limit in der Nacht:

Um die Lärmbelastung für Anwohner zu verringern, soll von Herbst an in der Nacht auf sechs Hauptstraßen Tempo 30 gelten. Diese sind: Eiffestraße (Bezirk Mitte): 1220 Meter zwischen Luisenweg und Schurzallee-Nord

Rennbahnstraße (Bezirk Mitte) zwischen Washingtonallee und Bergedorfer Straße auf 980 Metern Bergedorfer Straße B 5 (Bergedorf) zwischen Vierlandenstraße und Wentorfer Straße auf 380 Metern Holtenklinker Straße (Bergedorf) zwischen Justus-Brinck­mann-Straße und Wentorfer Straße auf 590 Metern.
Vogt-Wells-Straße (Eimsbüttel) zwischen Julius-Vosseler-Straße und Osterfeldstraße (310 Meter) Mühlendamm/Kuhmühle (Nord) zw. Lübecker Straße und Armgartstraße auf 750 Metern.

Geprüft wird Tempo 30 zudem derzeit noch für die Hauptverkehrsstraßen Braamkamp, Tarpenbekstraße, Holstenstraße, Bramfelder Chaussee. Die insgesamt zehn Straßenabschnitte sind Teil eines Pilotversuchs. Sie gehören der Behörde zufolge zu den 40 „lautesten Straßen“ der Hansestadt.