Othmarschen. Im Ausflugslokal „Strandhaus am alten Schweden“ am Elbufer in Othmarschen wird revolutionär gezapft – die Idee stammt aus den USA.
Freunde gepflegter Bierkultur müssen erst einmal schlucken: Im „Strandhaus“ am Elbufer zischt das Getränk in Sekundenschnelle ins Glas – von unten, mit durchaus ansehnlicher Blume. Wer’s nicht glauben will, wird an die Theke gebeten. Und siehe da: Diese Bierrevolution ist tatsächlich Wirklichkeit. Die Idee stammt, welch Wunder, nicht aus der Biernation Deutschland mit jahrhundertealter Zapftradition, sondern aus den USA.
Kein Prosit der Gemütlichkeit, dafür ein Hoch auf rasantes, effizientes Einschenken. Mit einer neuartigen Technologie werden spezielle Becher freihändig von unten befüllt und mithilfe eines Magneten tropfsicher verschlossen. „Bottoms Up Beer“ heißt diese Form einer Zapfanlage. Übersetzt bedeutet es, dass sich der Boden oben befindet, also auf den Düsen, mit denen Bier ins Glas geschossen wird.
Hat die Siebenminutenblume ausgedient?
Diese Neuerung steht im Einklang mit der Entwicklung auf dem Biermarkt hierzulande. In süffiger Harmonie mit kleinen, feinen Brauereien und Bier in allen möglichen Geschmacksnuancen tut sich auch in der Welt des Zapfens eine Menge. Der am Hahn ebenso liebevoll wie gekonnt einschenkende Profiwirt erhält Konkurrenz – vor allem bei Großveranstaltungen. Dort kommt es mehr auf Geschwindigkeit als auf eine formvollendete Schaumkrone an. Ist es bald vorbei mit der Herrlichkeit im Hoheitsgebiet der Theke? Schlimmer noch: Hat die kunstvolle Siebenminutenblume ausgedient?
„Diese Siebenminutenmär stammt vermutlich noch von früher üblichen Zapfanlagen“, sagt Marc-Oliver Huhnholz im Namen des Deutschen Brauer-Bunds mit Sitz in Berlin. Seine Erfahrung: „Ein frisches Bier kann und sollte in maximal zwei bis drei Minuten und zwei Zügen gezapft werden.“ Durch zu langes Zapfen verliere Bier viel Kohlensäure und werde dadurch schal und warm. Perfekt wird ein Bier, wenn ein sauberes, kalt ausgespültes Glas schräg gehalten, zu zwei Dritteln gefüllt, kurz abgestellt und anschließend „mit dem kunstvollen Aufsetzen einer Schaumkrone nachgezapft wird“.
In ihrer Stammkneipe wachen durstige Gäste mit Argusaugen über ihr ideal serviertes Lieblingsgetränk. Bei Volksfesten, in Fußballstadien oder Arenen muss es dagegen in Windeseile gehen. Steht die (Halbzeit-)Pause bevor, dreht sich Kennern oft der Magen um. Eine Batterie von Plastikbechern wird lange vorher gefüllt. Nach Absetzen des Schaums wird die Flüssigkeit zusammengekippt. Bye-bye, Bierkultur.
Auch Josh Springer wurmte diese brutale Bierbehandlung. In Indianapolis entwickelte er vor neun Jahren den Prototypen des Bottoms Up Beer. Mittlerweile kommt diese Zapfanlage in mehr als 100 Sportanlagen der USA zum Einsatz. Davon hörte der Gastronom Jörg Blin aus Wildeshausen bei Bremen. Sein Vater Jürgen Blin, ein ehemaliger Profiboxer und Europameister, betrieb früher eine Kneipe am Berliner Tor in Hamburg sowie einen Imbiss in den Katakomben des Hauptbahnhofs.
Die Anlagen sind ab 2500 Euro zu haben
Da es auf diverse Mails keine Antwort gab, flog Jörg Blin Ende 2013 kurzentschlossen nach Seattle. In einer Garage in Montesino fand er Josh Springer. Ein Jahr später besaß er einen Exklusivvertrag für Deutschland, Österreich, die Schweiz und die Türkei. Eigenen Angaben gemäß hat er seitdem mehr als 1500 Geräte verkauft, die ab 2500 Euro zu haben sind. Von unten zischt das Bier zum Beispiel beim Rockfest in Wacken, im Stadion von Holstein Kiel, in der Kieler Arena oder im Heidepark Soltau in die Bierbecher. Das Loch im Boden wird durch einen eingebauten Metallring und einen darauf sitzenden Magneten verschlossen. Beim Aufsetzen des Glases auf die Zapfdüse erhebt sich dieser Magnet. Hinterher senkt er sich automatisch ab. Aktuell bietet Blin zudem Privatleuten kleine Anlagen für Fünfliterfässer an.
„Das Auge trinkt mit“, weiß Wirt Holger Meier
In der Fernsehsendung „Die Höhle der Löwen“ verlangte er 500.000 Euro für fünf Prozent seiner Firmenanteile. Keiner griff zu. Dafür sah Sylvia Duve zu und suchte Kontakt. In ihrem „Strandhaus am alten Schweden“ in Othmarschen ist sie die Erste und bisher Einzige in Hamburg, die auf diese Art zapfen lässt: „Die Gäste finden das originell und sehr spannend.“
Beim FC St. Pauli wird das in Österreich entwickelte Verfahren „Beerjet“ genutzt. Eine elektrisch gesteuerte Kippe dieser Highspeed-Maschine schenkt in sieben Sekunden sechs Bier ein. Rund 360 Becher kann eine Hilfskraft in der Halbzeitpause schaffen – also etwa 1000 pro Stunde. Carlsberg erfand den „DraughtMaster“, ein gleichfalls neues Zapfsystem für die Gastronomie. Aus 20 Liter großen PET-Fässchen können acht verschiedene Bierspezialitäten ausgeschenkt werden.
Altgediente Wirtsleute wie Bärbel und Holger Meier verfahren lieber nach alter Schule. Im Keller ihrer Kneipe Meier’s Inn an der Bahrenfelder Chaussee 70 lagern neun vorgekühlte Fässer mit jeweils 50 Litern Astra, Jever und Köpi. In dem seit 1955 praktisch unveränderten, 35 Quadratmeter großen Schankraum wird nach bewährter Zapfkunst eingeschenkt. „Das Auge trinkt mit“, sagt Holger Meier und hebt das Glas. Es gibt keinerlei Grund, Bewährtes zu ändern. Hoch lebe die perfekte Blume. Prost!