Hamburg. Die Mehrheit ungefährdet, die Steuereinnahmen sprudeln – und doch macht sich in Hamburg Krisenstimmung breit. Nicht nur wegen G20.
Zugegeben: Allein an der Dauer einer Party abzulesen, wie viel es zu feiern gab, ist nicht ganz fair. Aber die Vorlage ist einfach zu gut. An diesem Dienstag lag die Bürgerschaftswahl 2015 exakt zweieinhalb Jahre zurück, Halbzeit also für die rot-grüne Koalition, die sich erst 2020 erneut den Wählern stellen muss. Wie jeden Dienstag tagten die Regierungsmitglieder – also die drei von zwölf, die nicht im Urlaub weilten – unter dem Glasdach im Senatsgehege. Und was kam heraus? Die kürzeste Senatssitzung aller Zeiten, nach knapp 90 Sekunden war der einzige Tagesordnungspunkt abgearbeitet. Kein Glas Sekt, keine Ansprache, kein Lametta.
Nun sind Senatssitzungen traditionell keine rauschenden Partys, sondern schlichte, kurze Arbeitstreffen. Aber die Symbolhaftigkeit sprang doch ins Auge: Viel zu feiern haben SPD und Grüne in Hamburg derzeit nicht. Dabei ist es weniger das alltägliche Regierungsgeschäft, das der zweiten Partnerschaft der beiden Parteien in der Hansestadt (nach 1997 bis 2001) aufs Gemüt drückt. Im Gegenteil. Für all die wiederkehrenden Themen, die jede Landesregierung in Deutschland fortlaufend beschäftigen – etwa Schulen, Kitas, Verkehr, Infrastruktur, Sicherheit –, gilt weitgehend: Es läuft. Zwar gibt es im Einzelfall berechtigte Kritik, etwa an zeitweise unterbesetzten Kundenzentren, Pannen im Justizbereich oder der Sinnhaftigkeit des einen oder anderen Radwegs, aber im Großen und Ganzen darf konstatiert werden, dass die rot-grün regierte Stadt funktioniert.
Olympia und G20 verhageln Bilanz
Schwer getrübt wird die Bilanz vielmehr von deftigen Misserfolgen: Die mit großen Hoffnungen verbundene Olympiabewerbung? Vom Volk abgeschmettert. Der G20-Gipfel? Von Gewaltexzessen und einer zeitweise ohnmächtigen Staatsmacht überschattet. Die seit mehr als einem Jahrzehnt geplante Elbvertiefung? Immer noch in weiter Ferne – während die Konkurrenz dem Hafen enteilt. Die Milliardenrisiken der HSH Nordbank? Hängen immer noch wie ein Damoklesschwert über Hamburg und Schleswig-Holstein. Zu allem Überfluss ereignete sich mitten in den Sommerferien der erste Terroranschlag mit islamistischem Hintergrund in der Hansestadt mit einem Toten und mehreren Verletzten. Dass die Behörden den Täter durchaus im Visier hatten, nährt die These: Es läuft momentan nicht rund für Rot-Grün.
Selbst beim sonst so selbstbewussten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), dem in seiner ersten Amtszeit noch nahezu alles zu gelingen schien und dem mancher Beobachter schon übernatürliche Kräfte andichtete, haben die Einschläge Spuren hinterlassen. Auch in seinem Umfeld wird auf die Frage nach der Selbstwahrnehmung zur Halbzeit etwas zerknirscht eingeräumt, dass man derzeit nicht behaupten würde, dass alles super laufe. Wie sollte man auch?
Vieles läuft auch gut
Zur Fairness dazu gehört allerdings auch die Feststellung, dass die Stimmung momentan noch stark von G20 und dem Anschlag geprägt ist und beide Ereignisse den Blick auf die positiven Seiten der vergangenen zweieinhalb Jahre verstellen. Denn die gab es auch: So läuft der Ausbau und die Überdeckelung der A 7 – immerhin eine Operation an der wichtigsten Schlagader der Stadt – planmäßig und relativ reibungslos. Die Nachricht, dass der Deckel in Altona auf Kosten der Stadt um 1500 auf gut 2200 Meter verlängert werden kann, hat vergangenes Jahr vor Ort Jubel ausgelöst.
Auch andere große Verkehrs- und Infrastrukturprojekte kommen voran: etwa die Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße, der Bau der A 26 Ost („Hafenquerspange“) oder die Neubebauung der Mitte Altona. Und die 200 Millionen Euro teure Sanierung des CCH ist angelaufen – nach jahrelanger Abwägung und Planung wird sie der große Prüfstein für die Fähigkeit der Stadt, kostenstabil zu bauen.
A-Team löst jeden Fall
Nachdem das bei der Elbphilharmonie bekanntlich mächtig schiefgelaufen war, konnte Scholz mit der Eröffnung des Konzerthauses Anfang 2017 die wohl ertragreichste Ernte seiner Regierungszeit einfahren: Dass er das völlig verkorkste Projekt 2013 gegen große Widerstände neu geordnet und die Fertigstellung mit dem Baukonzern Hochtief durchgesetzt hatte, erwies sich als goldrichtig, die schillernde Eröffnung war für Hamburg ein einziger Triumphzug. Hätte man während dieser euphorischen Tage, die hinsichtlich der Kartennachfrage unvermindert anhalten, nach einer rot-grünen Bilanz gefragt, manch einer hätte sich wohl zu einem „alles prima“ hinreißen lassen.
Unabhängig vom Zeitpunkt der Bewertung gehört die weitgehend harmonische und vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Koalition zu den Pluspunkten dieser Regierung. Die Fraktionsvorsitzenden von SPD und Grünen, Andreas Dressel und Anjes Tjarks, ließen sich schon bald mit Blick auf ihre Vornamen und eine alte Action-Fernsehserie von Kollegen und Medien als „A-Team“ bezeichnen. Sie versuchen seither nicht nur als schnelle politische Eingreiftruppe alle möglichen internen Konflikte zügig und möglichst geräuschlos wegzumoderieren. Sie löschen gemeinsam auch immer wieder äußere Brandherde.
So fanden sie etwa Kompromisse mit der Volksinitiative für eine bessere Ganztagsbetreuung an Schulen und mit der Initiative gegen Großunterkünfte für Flüchtlinge. Überhaupt gilt für dieses Thema, das immerhin das beherrschende der Jahre 2015 und 2016 war: Abgesehen von wenigen lokalen Zwistigkeiten hat die Stadt die Unterbringung der neuen Mitbürger im Griff. Ob das auch für die Integration gilt, bleibt noch abzuwarten, für eine Bewertung der Bemühungen ist es noch zu früh. Fest steht: Von chaotischen Zuständen wie in Berlin, wo Flüchtlinge noch bis zum Frühjahr in Schulturnhallen untergebracht waren, sind wir weit entfernt.
Ebenfalls ein Symbolbild dieser Woche: Die Tour zu den neuen Express-Wohnungen für Flüchtlinge, die zwar nicht ganz so schnell und so zahlreich kommen wie mal geplant, aber immer noch relativ zügig, machten Dressel und Tjarks am Mittwoch natürlich gemeinsam. Manchem in der Opposition gehen die Ambitionen der A-Mannschaft schon zu weit. Die beiden Parlamentarier, die auch schon mal mehr oder minder offiziell im Namen der Stadt verhandeln, maßten sich zum Teil Rechte an, die nur der städtischen Verwaltung oder der Regierung zuständen, so die Kritik.
Fegebank punktet – Steffen kämpft mit Pannen
Einen ausgesprochen harmonischen Stil pflegt auch die grüne Zweite Bürgermeisterin und Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank, die darüber hinaus mit ihrer positiven Art in kurzer Zeit für Aufbruchstimmung in der Wissenschaftsszene gesorgt hat. Gefühlt vergeht kaum ein Monat, ohne dass Fegebank am Forschungscampus Bahrenfeld oder anderswo einen Grundstein legt oder ein Band durchschneidet. Das Grundproblem, die Unterfinanzierung der Hochschulen, hat sie aber noch nicht gelöst.
Der grüne Justizsenator Till Steffen, nicht grundsätzlich für politisches Gekuschel bekannt, ist seit seiner zweiten Übernahme dieses Amtes 2015 derweil kaum in der Lage, eigene grüne Akzente im Senat zu setzen. Zu sehr ist er mit einer nicht abreißenden Kette von Skandalen beschäftigt. Einmal mussten zwei wegen Totschlags Angeklagte wegen überlanger Verfahrensdauer aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Dann musste ein wegen Kindesmissbrauchs einsitzender Mann auf freien Fuß gesetzt werden, weil ihm nicht rechtzeitig ein Therapieplatz besorgt worden war. Anfang dieses Jahres konnte sich bei einer Verhandlung vor dem Landgericht der Angeklagte auf seine ehemalige Lebensgefährtin stürzen, auf diese einstechen und sie würgen. Vorherige Warnungen waren innerhalb des Justizsystems verloren gegangen.
Umweltsenator ist der Einzige, der aufmuckt
Dass die erste Rücktrittsforderung gegen ein Mitglied dieses Senats Steffen traf, kam nicht überraschend. Immerhin konnte er sich mit einer großen Einstellungsoffensive etwas Luft verschaffen: 100 neue Stellen für Staatsanwaltschaft und Gerichte sollen deren Überlastung mildern – ein großer Wurf.
Die Rolle des einzigen zumindest bedingt konfliktfreudigen Grünen hat daher von Beginn an Umweltsenator Jens Kerstan übernommen. Der auch vom Naturell her politisch rauflustige 51-Jährige ist auch für den einzigen Fall verantwortlich, in dem ein Konflikt zwischen SPD und Grünen öffentlich eskalierte. Im Frühjahr 2016 verweigerte er seine Unterschrift unter das neue „Bündnis für das Wohnen“, da eine zugesagte Ausgleichsregelung für die Grünnutzung noch nicht gesichert war. Das Umfeld des Bürgermeisters und die harmoniebedürftigeren Grünen-Kollegen reagierten geradezu panisch auf so viel öffentlichen Konflikt. Am Ende setzte sich Kerstan durch.
Dabei fällt seine Bilanz keinesfalls durchweg gut aus. Auch Kerstan ist es nicht gelungen, eine echte Trendwende bei der viel zu hohen Belastung der Hamburger Luft mit aus Dieselmotoren stammendem giftigem Stickoxid einzuleiten. Der neue Luftreinhalteplan enthielt von Beginn an Berechnungsfehler, weil die mittlerweile bekannten deutlich höheren Abgaswerte älterer Diesel noch nicht eingespeist waren.
Zwar trotzte Kerstan Bürgermeister Olaf Scholz zwei kleinere Durchfahrtsverbote für ältere Diesel an Stresemannstraße und Max-Brauer-Allee ab (was einem Wortbruch des Bürgermeisters gleichkam). Gleichwohl werden die bereits seit 2010 geltenden EU-Grenzwerte für das giftige Stickoxid nach dem Kerstan-Plan erst 2025 überall eingehalten. Es wird angesichts jüngerer Gerichtsurteile immer unwahrscheinlicher, dass Kerstan und Scholz damit durchkommen. Weitere Fahrverbote drohen.
Für Energiewende immer noch kein Rezept
Auch beim großen Thema Energiewende hat Kerstan noch immer keine Lösung präsentiert. 2019 steht die Übernahme des Fernwärmenetzes von Vattenfall gemäß dem Volksentscheid von 2013 an. Die Vorstellung eines umfassenden Konzeptes zum Ersatz des alten Kohlekraftwerks in Wedel wurde aber ein ums andere Mal verschoben. Stattdessen stimmte Kerstan einer Laufzeitverlängerung und Ertüchtigung Wedels zu und verstieß damit gegen die eigene Festlegung im Koalitionsvertrag.
Wenig echte Harmonie gab es zwischen SPD und Grünen beim Thema G20. Nach außen betonten die Grünen stets, dass der Bürgermeister der Bundeskanzlerin die Zustimmung zu diesem im Gewaltchaos endenden Großereignis gegeben hatte, ohne sie vorher zu konsultieren. Abgesehen von ein paar kritischen Tönen hinsichtlich des Tagungsortes Messehallen, mitten in einem eher links-alternativen Umfeld, akzeptierten sie die Entscheidung aber.
Skepsis gegen Großereignisse
Ähnlich war es beim Thema Olympia. Gerade an der Grünen-Basis gibt es von Haus aus viel Skepsis gegen derartige von Korruption und Gigantismus geprägte Großereignisse. Gleichwohl stellte sich allein die Grüne Jugend gegen die Spiele, die Partei unterstützte die Bewerbung.
Dass diese trotz einer zumindest anfangs großen Begeisterung in der Stadt beim Referendum scheiterte, dürfte mehrere Ursachen haben. Zum einen war die Zeit rund um die Abstimmung von neuen Korruptionsvorwürfen rund um Olympia und von terroristischen Attentaten in Europa geprägt. Zum anderen aber war es Bürgermeister Scholz nicht gelungen, die Finanzierung der Spiele mit dem Bund vorab zu klären. Diese Unsicherheit könnte angesichts des knappen Ergebnisses beim Referendum durchaus den Ausschlag für das Nein der Bürger gegeben haben.
Hinzu kommt aber wohl auch ein grundsätzlicher Konflikt, der die Stadt zunehmend prägt. Dabei geht es um die Frage, ob Hamburg wirklich eine Weltstadt oder zumindest eine europäische Boomtown wie beispielsweise Barcelona werden soll.
Tourismus-Boom kommt nicht bei allen gut an
Während es viele Hamburger mit Stolz erfüllt, dass ihre Stadt durch die Elbphilharmonie weltweit immer mehr Beachtung findet, verweisen andere auf die Nachteile. Touristenmassen überrennen die Stadt, immer mehr Verkehr und Kreuzfahrtschiffe verpesten die Luft, Immobilienpreise steigen rasant, und auch bei den Mieten gibt es nur eine Richtung: nach oben.
Da sich Hamburg oft Barcelona als Vorbild gewählt hat, könnte der Terroranschlag vom Donnerstag auf der Prachtmeile Ramblas die Befürworter einer auch touristisch wachsenden Stadt in neue Argumentationsnöte bringen. Zumal in der katalanischen Metropole (wie in ganz Spanien) gerade eine starke Anti-Tourismus-Bewegung heranwächst, die der Politik zunehmend Probleme bereitet. Die Leute dort haben einfach keine Lust mehr, dass die halbe Stadt tageweise an Touristen vermietet wird, während sich die Einheimischen die Mieten nicht mehr leisten können und daher wegziehen müssen.
Wohnungsbau einer der größten Erfolge
In diesem Zusammenhang aber macht der rot-grüne Senat vieles richtig. Der von der SPD seit 2011 forcierte Wohnungsbau gehört bei allem Streit um Nachverdichtung und Grünvernichtung zu den Erfolgen dieser Regierung. Dass die Zielzahl von zunächst 6000 Wohnungen pro Jahr mehrfach übertroffen wurde und nun sogar auf 10.000 erhöht wurde, gilt bundesweit als beispielhaft. Wenn auch nicht gestoppt, so kann der Anstieg der Mieten so wenigstens gebremst werden.
Wenig verständlich ist in diesem Kontext allerdings die Einführung einer neuen Straßenreinigungsgebühr, die alle Grundbesitzer ab 2018 zahlen sollen und natürlich auf ihre Mieter umlegen würden. Die im Rahmen eines neuen Sauberkeitskonzeptes erhobenen Gebühren, die in Wahrheit wohl vor allem in die Grünpflege umgeleitet werden sollen, verteuern damit das Wohnen für alle Hamburger. Das, so sehen es Grundeigentümer- und Mieterverbände und die Opposition, sei ein völlig falsches Signal – zumal die Einnahmen der Stadt derzeit auf Rekordhöhe liegen.
Trotz Haushaltsüberschüssen steigen Schulden
Die neue Gebühr gefährdet auch eine andere Erfolgsgeschichte: Schon seit 2014, und damit viel früher als selbst von Optimisten erhofft, präsentiert Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) Jahr für Jahr Haushaltsüberschüsse. Das hat es in der Nachkriegsgeschichte der Stadt noch nicht gegeben, und es setzt sich auch unter Rot-Grün fort.
Die Sache hat aber zwei Haken: Erstens neigt der Scholz-Senat dazu, Probleme mit Geld zu lösen. Ob aufbegehrende Kita-Eltern, die Ganztags-Initiative oder ein renitenter Baukonzern bei der Elbphilharmonie – abgeräumt wurden die Themen oft auch mit dem Scheckbuch. Es ist ja genug da. Doch was ist, wenn die Konjunktur doch einmal einbrechen sollte?
Zweitens steigen trotz der Überschüsse die Schulden der Stadt. Klingt absurd, hat aber vor allem mit der HSH Nordbank zu tun, deren Milliardenrisiken sich inzwischen sukzessive in der Realität, sprich auf den abseits des Haushalts geführten Konten der Stadt, niederschlagen. Ob der von der EU angeordnete Verkauf bis Februar 2018 gelingt, ist völlig offen. Nicht wenige Beobachter unken, dass die Länder noch einmal Milliarden nachschießen müssen. Scholz’ Spruch vom Oktober 2015, nach der Einigung mit der EU sei das „Gespenst“ HSH Nordbank nun „eingesperrt“, könnte ihn jedenfalls noch einmal einholen.
In zwei Jahren gab es gleich drei Wechsel
Das ist dem sonst so bedächtig und abwägend formulierenden Bürgermeister in jüngerer Vergangenheit überraschend häufig passiert. Scholz hatte auch mal durchblicken lassen, er wolle die Frauenquote im Senat erhöhen und werde keine Staatsräte zum Senator machen – von beiden Vorsätzen rückte er nach dem tragischen Tod von Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) aber ab und beförderte ihren Staatsrat Carsten Brosda (SPD). Entlastend kann allerdings angeführt werden, dass Brosda die Wunschbesetzung der Kulturszene war und seinen Job gut macht.
Gleich drei Wechsel im Senat innerhalb von nicht einmal zwei Jahren entsprachen auch nicht Scholz’ Vorstellungen von Kontinuität: Nachdem er die vier Jahre zuvor mit seinem Team durchregiert hatte, musste er seit der Wahl mit Sozialsenator Detlef Scheele (wurde Chef der Bundesagentur für Arbeit) und Innensenator Michael Neumann (amtsmüde) auch noch zwei sozialdemokratische Schwergewichte ersetzen. Mit der früheren Bürgerschaftsabgeordneten Melanie Leonhard (SPD, Soziales) und dem bisherigen Mitte-Bezirksamtsleiter Andy Grote (SPD, Inneres) gelang das überraschend gut und geräuschlos.
Grote konnte mit dem Rückgang der Einbruchszahlen – vor gar nicht langer Zeit noch ein Top-Thema in Hamburg – punkten, ehe er im Zuge der völlig ausgeuferten G20-Krawalle unter Druck geriet. Sein Glück war, dass die Opposition ohne Umwege direkt den Bürgermeister ins Visier nahm, aus gutem Grund: Scholz hatte im Vorfeld des G20-Gipfels gleich mehrere Aussagen gemacht, die seinerzeit kaum Beachtung fanden, im Nachhinein aber eine fatale Wirkung entfalteten und die Frage aufwarfen, was den Polit- und Medienprofi Scholz wohl geritten haben mag.
Unglückliche Aussagen zu G20 belasten Scholz
Beispiel eins: Er könne die Sicherheit der Bürger während des Gipfels garantieren, hatte Scholz gesagt – ein Versprechen, das ein Politiker vor so einem Ereignis meiden sollte, weil er die Einlösung gar nicht in der Hand hat. Angesichts der Banden, die quälend lang unbehelligt von der Polizei marodierend durch den Hamburger Westen ziehen konnten, ein Satz wie ein Bumerang. Zweites Beispiel: Scholz sagte, viele Hamburger würden von G20 gar nichts mitbekommen, er ließ sich sogar hinreißen, in dem Zusammenhang das Wort „Hafengeburtstag“ in den Mund zu nehmen. Das empfanden viele Bürger, die tagelang mit Hubschrauberlärm, Polizeisirenen und Bildern von Straßenschlachten und brennenden Autos konfrontiert waren, als blanken Hohn.
Dass Scholz sich nicht umgehend im verwüsteten Schanzenviertel blicken ließ, sondern erst mit zwei Tagen Verzögerung handverlesene Bürger in einer Polizeiwache traf, machte es nicht besser. Tatsächlich war auch Scholz so geschockt von den Ereignissen, dass er in diesen Tagen im Juli ernsthaft abwog, ob er zurücktreten müsse. Es ist wohl so: Wenn er nicht die Kraft aufgebracht hätte, sich in der Bürgerschaft für seine Fehleinschätzungen und unglücklichen Äußerungen zu entschuldigen, wäre es eng für ihn geworden.
Schicksal entscheidet sich in zwei Jahren
Umso bemerkenswerter, dass Scholz schon kurz darauf der nächste Fehler unterlief. „Polizeigewalt hat es nicht gegeben“, sagte er in einem Interview – während parallel bereits 35 Fälle untersucht wurden, in denen Polizisten möglicherweise überhart eingegriffen hatten. Sein Umfeld musste danach tagelang verbalakrobatische Einordnungen des Begriffes „Polizeigewalt“ bemühen, um den Chef aus der Nummer rauszuboxen – für den stets ob seiner Professionalität gelobten Senatschef ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang.
Ob G20 oder der Anschlag von Barmbek Scholz noch einmal gefährlich werden, wird die weitere Aufklärung zeigen, die nach der Sommerpause anläuft. Wichtig in dem Zusammenhang dürfte auch sein, ob der Bürgermeister wirklich einen neuen Kurs im Umgang mit der Roten Flora einschlägt.
Absehbar ist: Im Gegensatz zu Rot-Grün wird die Opposition versuchen, diese Themen möglichst bis nah an den Wahltermin Anfang 2020 am Kochen zu halten. Denn wie viel SPD und Grüne dann zu feiern haben werden, entscheidet sich nicht im Sommer 2017, sondern erst in gut zwei Jahren.