Barmbek. Fünf Männer stellten sich Ahmad A. in den Weg. Bundestagsabgeordnete schlägt die „Helden von Barmbek“ für Bundesverdienstkreuz vor.
Am Tag nach der Bluttat in einem Barmbeker Supermarkt ist Jamel Chraiet noch einmal an den Ort des Schreckens zurückgekehrt. Die Stimme des 48 Jahre alten Hamburgers, der aus Tunesien stammt und seit 27 Jahren in Deutschland lebt, klang fest und vermittelte vor laufenden TV-Kameras etwas von jener Entschlossenheit, mit der er und weitere Passanten sich am Freitag dem Attentäter mutig entgegengestellt hatten.
Videos im Internet zeigen, wie eine Gruppe von Männern mit Stühlen, Tischen, Steinen und Stangen den 26-jährigen Ahmad A. stoppten. Bis dieser schließlich, von Spezialkräften der Polizei überwältigt, bäuchlings auf dem Boden lag.
Sie haben ein größeres Blutbad verhindert
Mit Jamel Chraiet, der bei der Hamburger Hochbahn arbeitet, waren es mindestens vier weitere Bürger, die sich dem Täter beherzt in den Weg stellten und durch ihr entschlossenes Eingreifen vermutlich ein noch größeres Blutbad verhinderten. Die „Bild am Sonntag“ sprach mit jenen Männern, die am Freitag auf der Fuhlsbüttler Straße unterwegs waren oder in einem Café saßen. Und gemeinsam handelten. Ohne Zögern zeigten außer Jamel Chraiet der Friseur Sönke Weber (28), Edeka-Azubi Toufiq Arab (21), Verlagsmitarbeiter Mohammed Wali (49) und Ömer Ünlü (35) unerschrocken Zivilcourage. Kanzlerin Angela Merkel dankte daher nicht nur den Einsatzkräften, sondern auch diesen Männern, „die sich mit Zivilcourage und Mut“ dem Täter entgegenstellten.
Der Mann habe ein langes, blutverschmiertes Messer in der Hand gehabt, erinnert sich Jamel Chraiet. Eigentlich wollte der Tunesier im Café gemütlich Kaffee trinken, sah aber plötzlich, welches Drama sich etliche Meter von ihm entfernt ereignete. „Egal, wie cool man ist, in einem solchen Augenblick weiß man erst einmal gar nichts“, sagte er später. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sich die Männer verständigten „und jeder sich einen Stuhl oder Tisch schnappte“. Ihr gemeinsames Ziel war es zunächst, dass der Täter das Messer wegwirft. Chraiet wird später sagen, dass er Angst hatte, ihm nahe zu kommen. „Denn er war bereit, andere Leute zu verletzen.“
Mohammed Wali, der aus Ägypten stammt, schnappte sich einen Stuhl, der türkischstämmige Ömer Ünlü, der sich Im NDR äußerte, eine Eisenstange, mit der er wenig später den Angreifer offenbar niederstreckte. Dabei verletzte sich der Türke am Schultergelenk. Auch der aus Afghanistan stammende Toufiq Arab stellte sich dem Attentäter in den Weg. Arab macht gerade eine Ausbildung bei Edeka in Barmbek. Sönke Weber ist Inhaber eines Friseursalons und sah, welche Szenen sich auf der Straße abspielten. Wie er sagte, habe auch er den Täter verfolgt.
Die Männer sagen, sie hätten ihre Bürgerpflicht getan
Einige der „Helden von Barmbek“ sind Mitglieder der benachbarten Moscheegemeinde. Der Hamburger Linken-Bürgerschaftsabgeordnete Norbert Hackbusch sagte am Sonntag dem Abendblatt: „Bisher sehen wir einen wohl psychisch kranken Mann mit wohl religiösem Wahn und vor allem muslimische Männer, die mutig gegen ihn antreten. Die Tat macht Angst. Die ,Helden von Barmbek’ jedoch zeigen eine kräftige Gemeinschaft.“ Die Männer selbst betonen derweil, dass sie nur ihre Bürgerpflicht getan hätten. „Als Helden würde ich uns nicht bezeichnen“, sagte Chraiet, während Edeka-Azubi Toufiq Arab betont: „Ich bin kein Held, Ich habe nur meine Pflicht getan.“
Die Integrationsbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Cemile Giousouf, hat unterdessen vorgeschlagen, ihnen das Bundesverdienstkreuz zu verleihen: „Das mutige Eingreifen der Männer am Tatort, ohne Rücksicht auf eigene Verluste, verhinderte Schlimmeres und womöglich auch weitere Opfer. Ihnen gebührt unser Dank.“
Immer wieder entschlossene Bürger
Immer wieder stellen sich entschlossene Bürger Überfällen und Anschlägen von Terroristen, Kriminellen und Amokläufern entgegen. Beim Terrorangriff in der Nähe der London Bridge schlugen Passanten einem der Attentäter eine Kiste über den Kopf, Anwohner halfen derweil mehreren Passanten und verbarrikadierten die Tür. Bei einem weiteren Anschlag in London half der britische Abgeordnete Tobias Ellwood einem lebensgefährlich verletzten Polizisten.
Wie der Kriminologe Professor Christian Pfeiffer sagte, zeige der Mut zur Solidarität grundsätzlich Wirkung: „Je häufiger sich Menschen Gewalt entgegenstellen und sich in Notsituationen für andere einsetzen, umso weniger Chancen gibt es für gewalttätiges Handeln und umso wirksamer fällt die Hilfe für die Opfer von Gewalt aus.“
Die Hamburger Polizei hat „Tipps zur Zivilcourage“ und für die eigene Sicherheit ins Netz gestellt: www.polizei.hamburg.de