Hamburg. Einige Anwohner und Geschäftstreibende machen den Bürgermeister, andere die Rotfloristen verantwortlich.
Der Regen hämmert auf die halbwegs reparierte Straße, das Symbol des Zorns steht nur stumm da. Katerstimmung an der Roten Flora nach den schweren Krawallen zum G20-Gipfel am Wochenende. In der Politik sprechen sie darüber, die autonome Trutzburg für die stundenlange Anarchie zu bestrafen, sie gar zu räumen – im Schanzenviertel genießen die Autonomen trotz ihrer Einladung von militanten G20-Gegnern zwar noch Rückhalt, aber kritische Stimmen mehren sich.
„Die haben drei Stunden lang zugeguckt. Die hätten mal aktiv werden können“, sagt etwa die Architektin Meike Siemssen über die Besetzer. Sie bezeichnet die Nacht zum Sonnabend schlicht als „grauenhaft“. Bereits unmittelbar nach Ende der Krawalle hatten empörte Anwohner die Rotfloristen konfrontiert.
Autonome wollen sich Fragen stellen
Noch in dieser Woche wollen die Autonomen nach Abendblatt-Informationen alle Anwohner in einen Club auf St. Pauli einladen und sich auch den kritischen Fragen der Anwohner stellen. Sie wissen: Bürgermeister Olaf Scholz hat mögliche Konsequenzen auch von Gesprächen mit der Nachbarschaft abhängig gemacht. Auch in Polizeikreisen hoffen einige, die Rote Flora könne sich durch ihre Rolle beim G20-Protest gesellschaftlich isoliert haben.
Auch in den Cafés auf dem Schulterblatt sitzen einige, denen vor allem die Reaktion des Flora-Anwalts Andreas Beuth (siehe Seite 12 unten) übel aufstieß. „Gewalt sollte nirgendwo gerechtfertigt sein“, sagt Musiklehrerin Wally Zantner, die sich oft im Schanzenviertel aufhält. „Ich hoffe, es kommt zu Konsequenzen, auch für die Rote Flora.“
7000 Menschen bei Reinigungs-Aktion
7000 Menschen bei Reinigungs-Aktion in der Schanze
Unterdessen werden in der Schanze weitere Krawall-Schäden beseitigt. Bei den geplünderten Filialen von Rewe und Budni wird weiter aufgeräumt. Die Gewerbetreibenden, die ihre Fassaden schon vor dem Wochenende in weiser Voraussicht verrammelt haben, ziehen mit Akkuschraubern nun die Befestigungen aus den Holzplatten. Schraube für Schraube zurück in die Normalität. Am Ende gehe es darum, dass man zusammenhalte, und nicht um Schuldzuweisungen, sagt Anwohnerin Anne Sielmann. „Schuld haben nur die, die hier sinnlos randaliert haben.“
Einige der Geschäftstreibenden benennen am Montag aber auch einen anderen vermeintlichen Schuldigen: den Bürgermeister. „Olaf Scholz ist verantwortlich, weil er nicht abgelehnt hat, dass der G20-Gipfel in Hamburg stattfindet“ sagt Dag Lübke, Besitzer des Kinderladens „Wohngeschwisterchen“. Die Ausschreitungen hätten vorhergesehen werden müssen, so Lübke weiter. „Diese Form der Gewalt ist nicht neu im Schanzenviertel“. Seine Wut hat er in pinkfarbener Schrift auf sein Ladenfenster geschrieben: „Danke Olaf für die 3 Tage Angst. Wann trittst du zurück?“
Auch Jutta von Hardenberg vom Modegeschäft „Große Freiheit“ sieht die Verantwortung eindeutig beim Senat. „Aber ich will jetzt auch nach vorne gucken und damit abschließen“. Sie findet, dass Scholz die Schanze im Stich gelassen hätte, weil die Polizei nicht rechtzeitig eingeschritten sei.
Dieses Gefühl teilen viele im Schanzenviertel. Unabhängig davon, dass der G20-Gipfel ausgerechnet in der Messe am Karolinenviertel stattfand, hätte es in jedem Fall Krawalle auf dem Schulterblatt gegeben, glauben Jutta und Holger Franck, die seit 30 Jahren den Tee- und Kaffeeladen „Stüdemann“ im Schanzenviertel betreiben: „Denn hier gibt es ja alles, was sie brauchen – Essen und Alkohol.“
Im Schaufenster des Kaffeeladens Stüdemann stehen die Tee- und Kaffeepackungen noch immer hinter gesplittertem Glas – die Spuren der Krawallnacht vom Freitag. Im Schanzenviertel, wo sie der Polizei immer mindestens hanseatisch-kühl gegenüberstanden, ist der Dank an die Beamten nun groß. „Die armen Polizisten mussten den Kopf hinhalten, damit Scholz Trump die Hand schütteln konnte“, sagt Geschäftsinhaber Dag Lübke.
Rotfloristen antworten mit Charmeoffensive
Die Autonomen der Roten Flora sind am Montag auf dem Schulterblatt nicht sichtbar. Trotz aller Bemühungen der Besetzer ist das Zentrum für viele Anwohner noch immer auch eine „Blackbox“, ein undurchschaubares Wesen in ihrer Nachbarschaft, an das man sich gewöhnt hat.
Bei einigen Anwohnern wächst nun aber der Verdacht, dass die Rotfloristen für ihren G20-Protest auch die falschen Demonstranten mit eingeladen haben könnten. „Ich kann mir schon vorstellen, dass die Rote Flora einen Nährboden für die Ereignisse des Wochenendes geschaffen hat“, sagt etwa Friedrich Jürgens, Besitzer des Geschäfts für Fleischereimaschinen an der Schanzenstraße. „Die Aktionen wirkten seit langer Hand geplant.“
Bei Diskussion vor der Flora am Sonntag hatten die Besetzer viele Anwohner kaum beschwichtigen können. Nach Abendblatt-Informationen besteht in der Roten Flora durchaus die Sorge, den Rückhalt im Schanzenviertel zu verlieren – deshalb versuchen die Autonomen aktiv, die Wogen zu glätten.
Sie erzählen den Nachbarn einen anderen Ablauf der Geschehnisse als die Sicherheitsbehörden, die die Rote Flora als Kommandozentrale der schweren Krawalle sehen: Man habe den G20-Gegnern nur einen „Infopoint“ geboten, Kaffee verkauft, Laptops zum Surfen im Internet bereitgestellt – und keine militanten Autonomen aus anderen Städten und Ländern beherbergt. „Die Anschuldigungen tragen absurde Züge“, sagt ein erfahrener Besetzer.