Freitagnacht war das Schulterblatt stundenlang in der Hand militanter Vermummter. In der Nacht zum Sonntag griff die Polizei dann früher ein.

Bevor die Hölle im Schanzenviertel losbricht, gibt es an der Reeperbahn einen ziemlich grotesken Moment. Zu einem Gute-Laune-Song der Kapelle Herrenweide, die gerade ein Konzert auf dem Spielbudenplatz gibt, rollen zwei Wasserwerfer über die Reeperbahn und feuern ihre Ladung auf schreiende Protestler ab. Die Krawallmacher flüchten in die Nebenstraßen, auf den Lippen den immergleichen Schlachtruf: „A-A-Antifascista“. Eine junge Frau, schwarzes Top, Lippen-Piercing, an den Seiten kahlgeschorene Haare, brüllt: „Ihr Bullenschweine, verpisst euch hier endlich.“ Der Mob stimmt mit ein: „Haut ab, haut ab, haut ab!“

Nach der „Welcome-To-Hell“-Demo am Donnerstag, die in eine Gewaltorgie mündete, gehen die Exzesse am Freitag unvermindert heftig weiter. An den Landungsbrücken ist gegen 15.30 Uhr ein Aufzug, der eigentlich in Richtung Elbphilharmonie führen sollte, von der Polizei gestoppt und mit einem Wasserwerfereinsatz beendet worden.

Keine Verstärkung, keine Wasserwerfer

Seitdem verteilen sich kleinere und größere Gruppen in dem Viertel. Hunderte, wenn nicht Tausende, besetzen eine Brücke am Fischmarkt, andere säumen die Gehwege. Plötzlich werden ein paar Flaschen von der Balduintreppe in Richtung der Polizisten geschleudert, Dutzende Autonome und Punks haben sich dort versammelt. Sofort stürmt eine sogenannte Beweis- und Festnahmeeinheit der Polizei (BFE) die Treppe. Es sind dramatische Bilder – und doch ist es nur das Vorgeplänkel für das große „Finale“ in der Schanze.

Die Krawalle in der Schanze

Der Schwarze Block bewaffnet sich und stapelt die Steine
Der Schwarze Block bewaffnet sich und stapelt die Steine © Reuters/Hanschke
Dieses Videobild aus einem Polizeihubschrauber zeigt Steinewerfer auf dem Dach des Hauses Schulterblatt 1 in der Nacht zum Sonnabend
Dieses Videobild aus einem Polizeihubschrauber zeigt Steinewerfer auf dem Dach des Hauses Schulterblatt 1 in der Nacht zum Sonnabend © Polizei Hamburg
Dichter, schwarzer Rauch hüllt das Schulterblatt ein – es sind Bilder, die viele Betrachter an einen Bürgerkrieg erinnern
Dichter, schwarzer Rauch hüllt das Schulterblatt ein – es sind Bilder, die viele Betrachter an einen Bürgerkrieg erinnern
Wurfmaterial für Chaoten: herausgerissene Pflastersteine
Wurfmaterial für Chaoten: herausgerissene Pflastersteine © Reuters/Fabian Bimmer
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Es ist warm und sonnig am Freitagabend, es könnte so ein schöner Abend sein. Auf der Piazza vor der Roten Flora sitzen die Menschen zusammen, trinken Bier, plaudern. Doch mit der Ruhe ist es schnell vorbei: Nach und nach kommen vermummte Gestalten von der Reeperbahn dort an – geil auf Randale, geil auf „Bullen-Klatschen“, geil auf ein bisschen Weltuntergang. Rund 100 Randalierer stehen vor der Roten Flora lediglich einer einzigen Hundertschaft gegenüber. Doch der Versuch, die Vermummten zu verjagen, misslingt. Hinein in den Flora-Park, hinaus aus dem Flora-Park, so geht das unter Gejohle ein paarmal. Verstärkung oder Wasserwerfer? Sind weit und breit nicht zu sehen. Dann verschwinden auch noch die wenigen Beamten.

Die Schanze ist ein rechtsfreier Raum

Plötzlich steigt an der Ecke Schulterblatt/Neuer Pferdemarkt dunkler Rauch über der Schanze auf. Dort stehen vier Wasserwerfer, drumherum Tausende Menschen, militante Linke in Schwarz und sensationslüsternes, bierschlürfendes Partyvolk.

Auf der Kreuzung lodert ein riesiges Feuer, mindestens zwei weitere aufgetürmte Müllberge brennen auf dem Schulterblatt lichterloh. Es riecht verbrannt, und es riecht nach Eskalation. An den Häuserecken und in den Hinterhöfen stinkt es nach menschlichen Hinterlassenschaften, überall liegen Scherben. Doch die Polizei tut: nichts. Die Wasserwerfer warten am Neuen Pferdemarkt. Die Schanze, so scheint es, ist gerade ein rechtsfreier Raum. Und so wird es noch für Stunden bleiben.

Derweil treffen die Militanten Vorbereitungen für den ersehnten Showdown mit der Staatsmacht. An der Ecke Susannenstraße reißt einer einen Generator aus der Halterung und hortet in einer Box unzählige Bierflaschen – das Wurfmaterial für die große Schlacht. Andere brechen Pflastersteine aus der Straße und transportieren sie über ein Baugerüst hoch auf ein Häuserdach, wieder andere bauen mit den Steinen Schutzwälle gegen die Polizei. Überall dröhnt Techno-Musik, überall liegt Müll, in der Schanze herrscht Anarchie.

Beim Plündern bilden die Militanten eine Schlange

Doch die Polizei kommt noch immer nicht. Möglicherweise deshalb nimmt eine Gruppe Vermummter eine Filiale der Drogeriekette Budnikowsky ausein­ander. Sie holen alles heraus, was nicht niet- und nagelfest ist, werfen Regale und Spraydosen aus dem Budni-Sortiment ins Feuer auf dem Schulterblatt. Die Dosen explodieren mit einem gewaltigen Knall und fachen die ohnehin schon mächtigen Brände weiter an. Danach ist der Rewe-Supermarkt dran, Randalierer scherzen beim Hineingehen: „Die Payback-Karte bitte“ oder auch „Alles muss raus“. Und zum Plündern, man glaubt es kaum, bilden sie eine Schlange.

Gegen Mitternacht, mehr als zwei Stunden nach Beginn der beispiellosen Krawalle, zieht die Polizei massiv Kräfte im Viertel zusammen. Doch bevor sie mit der Räumung beginnen kann, muss sie noch einen Hinterhalt auflösen. Ein Sondereinsatzkommando, das in Hamburg neuerdings nicht mehr MEK (Mobiles Einsatzkommando), sondern inzwischen wie in anderen Bundesländern auch „SEK“ heißt und während des Gipfels zur Terrorbekämpfung im Einsatz ist, stürmt das Dach des Hauses am Schulterblatt 1. Zur Unterstützung sind Beamte der österreichischen Elite-Einheit „Cobra“ dabei.

Anwohner klagen über Atemnot

Oben haben sich mehrere Autonome mit Steinen und Eisenstangen bewaffnet. Einer von ihnen, das zeigen Wärmebildaufnahmen aus dem Polizeihubschrauber, wirft einen Molotowcocktail auf einen Wasserwerfer. Glücklicherweise zündet der Brandsatz nicht. Während sich Wasserwerfer und Hundertschaften in Position bringen, kennt der Mob keine Grenzen: Straßenschilder werden abgeknickt, eine Taxisäule aus der Verankerung getreten.

Die Vermummten haben Stadt-Leihräder losgerissen und als Barrikade auf der Straße zusammengeschoben. Die Spezialeinheit stürmt das Dach mit Schnellfeuergewehren und nimmt die Gewalttäter dort fest. Tränengas wabert durch die Schanze. Anwohner klagen über Atemnot, versuchen in geschlossene Räume zu kommen. Der schwarze Mob ahnt, dass er der Polizei nun unterlegen ist. Viele Autonome legen ihre schwarze Kleidung ab und flüchten über die Seitenstraßen aus dem Viertel. Zurück bleiben einige Schaulustige mit ihrem Bier, die Polizei räumt mit Panzerfahrzeugen und Wasserwerfern die Barrikaden und besetzt die Piazza.

Doch es kehrt keine Ruhe ein. An der Altonaer Straße plündern 500 Extremisten einen weiteren Rewe-Supermarkt, dann zünden sie ihn an. Bis zum Morgen brennen Autos und Mülleimer, werden Polizeiautos angegriffen. Am Schlump rotten sich 250 Randalierer zusammen, stecken Mülleimer und Verkehrsschilder an.

Auf der Straße reagiert der Mob

Am Sonnabend dann ist man zunächst noch von der Hoffnung beseelt, dass es am letzten G20-Tag friedlich bleibt in der Schanze. An der Susannen­straße sind Blumensträuße aufgestellt worden. Zunächst feiern Tausende Menschen zu Trommelmusik vor der Roten Flora. Dann kippt die Stimmung. Am Neuen Pferdemarkt versammeln sich Hunderte, eine Gruppe Linker lässt sich an der Stresemannstraße zu einer Sitzblockade vor einer Polizeikette nieder.

Gegen 22 Uhr prasseln dann auch am Sonnabend wieder Flaschen und Steine auf die Beamten am Schulterblatt nieder. Böller explodieren, Polizisten werden angepöbelt, Barrikaden brennen. Diesmal verlaufen die Ausschreitungen nicht ganz so dramatisch wie am Tag zuvor. Gegen 23 Uhr sperrt die Polizei das Schulterblatt, wieder rücken Wasserwerfer vor. Die Krawallmacher kehren immer wieder zurück, auf der Eimsbütteler Chaussee setzen sie Müll in Brand. Gleichzeitig verüben Autonome nach Guerilla-Art Brandanschläge auf Autos in mehreren Stadtteilen, darunter ein Wagen der Polizei Thüringen. An der Sternbrücke gibt ein Beamter einen Warnschuss ab, als ein flüchtender Randalierer etwas aus seinem Beutel zieht. Traurig, aber wahr: Auf der Straße regiert für Stunden der Mob.