Cord Wöhlke muss vor Ort mit ansehen, wie Vermummte seinen Laden in der Schanze zerlegen. Auch Haspa von Krawallen stark betroffen.
Da steht er nun draußen vor seiner Filiale im Schanzenviertel, und drinnen – nur wenige Meter von ihm entfernt – wüten Dutzende vermummte Gestalten. Sie reißen die Regale von den Wänden, schlagen mit Steinen die Scanner der Kassen kaputt, packen ihre Taschen voll: Haarspray, Zahnpasta, Kaugummis, Müsliriegel ... Nichts ist sicher vor den Plünderern. Es ist Freitagabend, 21.00 Uhr. Kurz zuvor hat ein Mitarbeiter den Chef der Hamburger Drogeriemarktkette Budnikowsky, Cord Wöhlke, angerufen: „Unser Laden am Schulterblatt wird gerade auseinandergenommen.“
Wöhlke macht sich sofort mit seinem jüngsten Sohn auf den Weg. Was er dann sehen muss, übersteigt seine schlimmsten Befürchtungen. Brandschatzungen auf dem gesamten Schulterblatt. Die Holzplatten, welche die Budni-Filialleitung in der Schanze vorsorglich vor die Scheiben hat nageln lassen, sind herausgerissen – und dienen nun als Brennmaterial für ein großes Feuer auf dem Kopfsteinpflaster unweit der Eingangstür. „Das war wie im Bürgerkrieg“, sagt Cord Wöhlke. Das Schlimmste für ihn: „Ich stand mit meinem Sohn vor dem Laden – und wir konnten nichts machen. Das war ein rechtsfreier Raum – über Stunden.“
Sein Eigentum schützen kann er nicht – zu gefährlich
In den Ruinen seines Geschäfts tobt der Mob. Vermummt und laut. „Die meisten haben gar kein Deutsch gesprochen. Englisch, Spanisch“, glaubt er verstanden zu haben. „Das waren keine Leute aus dem Viertel“, da ist er sich sicher. „Krawallmacher aus dem Ausland“, sagt er. Und Wöhlke fragt sich: „Wie konnten diese Personen überhaupt in unsere Stadt kommen, unbehelligt die Grenzen überschreiten?“ Mit konkreten Schuldzuweisungen will er sich bewusst zurückhalten. „Aber dass sich diese Leute über Stunden im Schanzenviertel austoben konnten – ohne dass die Polizei eingegriffen hat. Da stellen sich mir schon einige Fragen.“ Irgendwann in der Nacht fährt Cord Wöhlke dann mit seinem Sohn nach Hause. Denn eingreifen, ihr Eigentum schützen – das können beide nicht, ohne ihr Leben zu riskieren.
Sonnabendvormittag kehrt Cord Wöhlke zurück an den Ort der nächtlichen Krawalle. „Gespenstisch“ sei es gewesen, sagt er. Die Ruhe nach dem Sturm. Räumfahrzeuge der Stadtreinigung sind nun damit beschäftigt, die Überreste der Feuerstellen auf der Straße zu beseitigen. Überall eingeschlagene Fensterscheiben – und eben sein Laden. Oder besser: Das, was von ihm übrig geblieben ist. Wöhlke geht hinein, stellt sich auf die Trümmer – und ist fassungslos. Auf rund 400.000 Euro schätzt er den materiellen Schaden. Selbstverständlich ist er versichert. Doch das beschäftigt ihn in diesem Moment weniger. Er fragt sich immer noch, was diese Aktionen mit einem politischen Protest zu tun haben sollen. Seine Antwort: „Nichts!“
Millionen Umsatzverluste im Handel
Direkt neben der Budni-Filiale am Schulterblatt stehen die Überreste eines Rewe-Supermarkts. Auch hier haben Vermummte gewütet, alles zerstört, Brände gelegt. „Zum Glück ist keiner unserer Mitarbeiter zu Schaden gekommen“, sagt Rewe-Sprecher Raimund Esser in einer ersten Reaktion. „Diese Verwüstung und Plünderung ist durch nichts zu rechtfertigen.“ Auch eine zweite Hamburger Filiale des Kölner Handelsgiganten in der Altonaer Straße wurde komplett zerstört. Nach ersten Schätzungen beläuft sich der Sachschaden in beiden Märkten auf rund zwei Millionen Euro.
Eine genaue Schadenssumme kann Haspa-Sprecherin Stefanie von Carlsburg nicht nennen. Dafür sei die Lage noch zu unübersichtlich. Deutlich sichtbar sind allerdings die Spuren der Krawalle an der Haspa-Filiale am Schulterblatt – direkt gegenüber der Roten Flora. Die Haspa hat in den vergangenen Jahren schon viele Scheiben und Geldautomaten an diesem Standort ersetzen müssen. Schließlich gab es hier bereits häufiger Ausschreitungen.
„Aber so etwas wie in der Nacht zu Sonnabend haben wir in der Schanze noch nicht erlebt“, sagt von Carlsburg. Das Schutzgitter wurde mit brachialer Gewalt aufgebrochen und im Innern ein Brand gelegt. „Die Filiale ist komplett verwüstet, die Geldautomaten sind alle zerstört“, sagt sie. An anderen Haspa-Standorten gingen ebenfalls Scheiben zu Bruch, funktionieren nach massiver Gewaltanwendung die Geldautomaten nicht mehr.
Diese sichtbaren Schäden – auch in und an vielen anderen Geschäften und Bankfilialen in Hamburg – verurteilt Brigitte Nolte, Geschäftsführerin vom Handelsverband Nord, scharf: „Das ist mit nichts zu rechtfertigen und hat den Händlern – vor allem in der Schanze – schweren Schaden zugefügt.“ Aber Nolte weist zugleich auf die „nicht sichtbaren Schäden“ hin. Damit meint sie die Umsatzausfälle in den Tagen des G20-Gipfels. Genau beziffern kann sie die Summe noch nicht, aber allein in der Innenstadt geht sie von einem zweistelligen Millionenbetrag aus.
„Hinzu kommen noch die Händler in Altona und anderen Stadtteilen.“ Was Nolte besonders überrascht hat: „Diese Atmosphäre mit massiver Polizeipräsenz, Hubschraubern, Vermummten – das hatte ich in dieser Dimension nicht erwartet.“ Viel mehr Händler als ursprünglich geplant hätten deshalb ihre Geschäfte geschlossen. Nolte begrüßt nun die Ankündigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, den Händlern, deren Läden verwüstet wurden, unbürokratisch zu helfen. Doch die Verbandschefin geht noch einen Schritt weiter: „Wir müssen mit der Politik auch darüber reden, wie wir eine Kompensation für die ökonomischen Schäden hinbekommen, die nicht sichtbar sind.“
Solidarität tut gut
Darüber denkt Budni-Chef Cord Wöhlke derzeit nicht vorrangig nach. Am heutigen Montag will er mit den Aufräumarbeiten in der Filiale am Schulterblatt beginnen. Möglicherweise am Mittwoch sollen dort schon wieder die ersten Kunden begrüßt werden. Und dann spricht er über etwas anderes als Gewalt und Zerstörung – über die Reaktionen der Menschen aus dem Viertel, die ihn zutiefst berührt haben. Einige sind in diesen dramatischen Stunden in der Schanze direkt auf ihn zugekommen, haben ihr Unverständnis über diese „sinnlose Gewalt“ zum Ausdruck gebracht. Zudem gab es unzählige aufmunternde Anrufe und Mails von Kunden und Anwohnern. „Diese Solidarität, die hat uns schon sehr, sehr gutgetan“, sagt der Budni-Chef.