Hamburg. Kontrast: Marek Janowski dirigierte eine konzertante „Rheingold“-Aufführung, Teodor Currentzis probte für sein heutiges Konzert.
Seit dem Auftritt der Einstürzenden Neubauten kurz nach der Einweihung war kein Programmpunkt im Großen Saal der Elbphilharmonie so lustig doppeldeutbar wie die konzertante Aufführung von Wagners „Rheingold“: Ein Prunkbau, die Götterburg Walhall, als maßgeschneiderter Sehnsuchtsort im Mittelpunkt, der den Auftraggeber viel teurer kommen wird als von ihm erhofft. Das prophetische „Was du bist, bist du nur durch Verträge ...“ als Karriere-Drohung an den zahlungsunwilligen Kunden Wotan, maulende Riesen-Baumeister-Brüder, die bei Wagner Fafner und Fasolt heißen – und nicht etwa Hoch und Tief, oder Herzog und de Meuron.
Doch das Konzert, das am Freitag mit tosendem Beifall endete, erfüllte als Spezial-Aufführung einen ganz anderen, ernsthafteren Zweck. Es zeigte: Selbst Wagner geht hier doch, wenn auch mit der einen oder anderen Einschränkung, denn das frühere „Rheingold“ hat ja noch längst nicht das epischere Format der späten „Götterdämmerung“. Nachdem Christian Thielemann, ausgerechnet der Wagner-Spezialist Thielemann, mit seiner Dresdner Staatskapelle dort durchaus hörbar Mühe gehabt hatte, kam Marek Janowski im Großen Saal am Freitag bestens mit der Akustik und ihren Besonderheiten zurecht. Wagner konzertant ist seit Jahren seine Spezialität, mit dem RSB in Berlin hat er das mit kapellmeisterlicher Gründlichkeit gezeigt, seine Einspringer-Qualitäten bewies er 2016 in Bayreuth, als Ersatz für Kirill Petrenko beim Castorf-„Ring“.
Die nächste Wagner-Oper kann gern kommen
Da NDR-Chefdirigent Thomas Hengelbrock krankheitsbedingt für dieses Prestige-Projekt ausgefallen war, sollte Janowski es also richten. Und der machte es sich die zweieinhalb kurzweiligen Stunden lang sehr behaglich, indem er seine handwerkliche Routine als Trumpf ausspielte. Dass das NDR Elbphilharmonie Orchester im Rahmen seiner Konzert-Dienstpläne nur selten mit Opern in Berührung kommt, rückte das Ergebnis dieser Notlösung, die alles andere war, in noch positiveres Licht.
Während Janowski von Anfang an voll und ganz im Wagner-Modus war, brauchte die Aufmerksamkeit im Saal zunächst etwas: Als die Es-Dur-Akkordwellen des Vorspiels auf das Durcheinander aus Macht und Magie, Liebe, Hass, Ohnmacht und Habgier einstimmten, war es noch erstaunlich unruhig um den Orchester-Präsentierteller herum. Die klar konturierte Klangwirkung mit Blick auf das Tutti, das normalerweise unsichtbar aus einem Orchestergraben heraus mit seiner romantischen Detailmischung bezaubern soll, musste wohl erst als Richtwert akzeptiert werden.
Hochklassig besetzt
Doch das gab sich schnell, weil Janowski alles zügig, aber nicht eilend im Fluss hielt. Und weil er die Feinjustierung der Instrumentengruppen immer wieder passgenau nachregelte: Es gab keine Ausbrecher, kein plumpes Dröhnen, kein dröges Rumpeln. Hier wurde eine Geschichte erzählt, mit großem Überblick. Die Architektur spielte eine nicht ganz kleine Rolle, mit Auf- und Abgängen in den Rängen, die Nibelheim-Ambosse – ein allerliebst scheppernder Spezialeffekt – wurden in den Bereich oberhalb des Orchesters befördert.
Das Ensemble war hochklassig besetzt. Michael Volle war ein Wotan von beachtlich wuchtigem Format, Johannes Martin Kränzles Alberich: ein erfreulicher Unsympath. Beeindruckend: Nadine Weissmann als dunkel leuchtende Erda und der gewiefte Loge von Daniel Behle. Gegen Defizite bei der Textverständlichkeit – ein chronisches Problem zu vieler Wagner-Sängerinnen und -Sänger – kann allerdings selbst die klarste Akustik nichts ausrichten. Doch spätestens beim wortlos wonnigen Einzug der Götter in Walhall, Showdown vor dem Schlussapplaus, wurde man als Wagnerianer von der satt liefernden Raumwirkung im Großen Saal mit diesem Manko versöhnt. Die nächste Wagner-Oper kann also gern kommen.
Es muss kesseln und wehtun
Anderthalb Tage später, im Kleinen Saal nebenan, stand ganz anderes auf dem Spiel und auf dem Programm. Dem Mahler Chamber Orchestra (MCO) war trotz der Enge im Konzerthauskalender ein ganzer Probentag vergönnt, und Teodor Currentzis, einer der artistic partner des MCO, liebt das Feilen an Feinheiten. Manche verachten den schlaksigen Griechen, weil sie seine Auftritte für substanzlose Schaumschlägereien halten, andere sehen in ihm bereits den Retter der Klassik, weil er kein Freund harmloser Abendunterhaltung ist.
Bei ihm muss es kesseln und an den richtigen Stellen auch mal wehtun. Und obwohl immer wieder davon berichtet wird, dass er seine handverlesenen MusicAeterna-Ensembles im fernen russischen Pern in Endlosproben zu mystisch verklärten Extremleistungen vor sich her treibt – an diesem ruhigen Sonntagmorgen war der hagere Grieche mit sanfter, leiser Stimme die Höflichkeit in Person. Freundliche Begrüßung, ein „Happy Birthday“ für einen Geiger.
Zum Aufwärmen ließ er das Kammerorchester einmal Viviers „Lonely Child“ von vorn bis hinten durchspielen, danach ging es, von hinten zurück zum Anfang, an die Haken- und Ösen-Stellen der luftig gesponnenen Instrumentalmusik, über der die ätherische Sopranstimme von Sophia Burgos schwebte, die kurzfristig für Barbara Hannigan einsprang. Während Currentzis bei anderem, robusterem Repertoire sofort ins Tänzeln gerät und so wirkt, als würde er am liebsten ins Orchester rennen, um dem Ort des Geschehens noch näher zu sein, beschränkte er sich bei dieser Probe auf Wegweiser-Gesten, weil diese Musik so zerbrechlich ist. Nur einmal verließ er sein Pult für ein notenverdeutlichendes Gespräch mit den Streichern. An einer anderen Stelle bat er die Celli, beim Flageolett-Spielen an Möwengeschrei zu denken, schon klang es danach. Kleine Regelung, feine Wirkung. „Great ...“, brummte es nach dem letzen bisschen Detailarbeit sanft aus Currentzis. Dann war Pause, und er verschwand, so flott, wie er kam.