Hamburg. Zu viel große Oper, zu wenig Feinschliff: Der Weltklasse-Tenor hatte bei seinem Debüt einige Schwierigkeiten zu überwinden.
Singen ist menschlich, und: Niemand ist perfekt. Mit diesen kalenderspruchtauglichen Weisheiten wäre schon ein Großteil eines erstaunlichen Liederabends umschrieben. Er endete mit Geschenkübergaben, Handy-Fotos aus Froschperspektiven, Strauss-Zugaben und stehenden Ovationen, nachdem manche frohgemut mit Dingen geknistert oder leise Passagen ins Aus geröchelt hatten oder bestens wahrnehmbar Richtung Ausgang geeilt waren. Ein Weltklasse-Sänger, der sich von diesen Begleitumständen in keinster Weise stören ließe, muss wohl erst noch gefunden werden.
Jonas Kaufmann, schon etwas länger Everybody’s Darling als die Elbphilharmonie, und das neue Hamburger Konzerthaus – die Annäherung des Tenors an die Architektur verlief nicht unproblematisch: Krankheitsbedingt in eine Stimmband-Zwangspause geschickt, hatte Kaufmann seinen Auftritt bei der Eröffnungs-Gala absagen müssen. Auch das bereits für Februar geplante Solo-Debüt war verschoben worden. Jetzt aber singt er wieder, demnächst steht sein Rollen-Debüt als „Otello“ in London an. Wohl auch deswegen hatte der Auftritt am Mittwoch einen „Jetzt aber!“-Druck.
Erster prominenter Liederabend im Großen Saal
Und es war ja nicht nur der Star-Solist, der hier eine Premiere erlebte. Später als geplant bekam nun auch der Große Saal selbst seinen ersten Liederabend mit großem Namen als Bewährungsprobe für Atmosphäre und Proportionen: eine Stimme, ein Klavier, ein Programm, möglichst viele Facetten. Letzteres jedoch brauchte so seine Zeit. Nachfolgenden Recital-Gästen möchte man belastbare Nerven wünschen, weil der Kleine Saal womöglich weniger überwältigend ist als der Große.
Kaufmann hatte sich aus seinem Repertoire eine wunderbare Kombination zusammengestellt, die möglichst viel abdecken sollte – den Heldentenor mit nougatdunkel baritonalem Kern ebenso präsentieren wie den vergrübelten Kammermusiksänger, den Raritäten-Liebhaber ebenso wie den stilkundigen Wertebewahrer und den Kunstlied-Durchdringer. Bis zur Pause allerdings wurde vor allem verspannt gekämpft und noch nicht entspannt gestaltet. Schuberts „Bürgschaft“ überforderte zunächst Kaufmanns Liedbegleiter Helmut Deutsch, der entweder sich – oder der ungewohnten Saal-Akustik – nicht genug traute, um den Gesang angemessen zurückhaltend zu umrahmen.
Zu viel große Oper, zu wenig Feinschliff
Kaufmann zog nach und gleich und übertrieb es mit dem Eifer, mehrere Charaktere und viele Nuancen gestalten und unterbringen zu können. Manchen Höhen hörte man ihre Höhe an, die dynamische Detailkontrolle blieb auf der Strecke. Zu viel große Oper, zu wenig Feinschliff. Ein Gutes zumindest hatte dieser erste Kraftakt: Kaufmann war danach warmgesungen, seine Stimme bereit für die elegante Noblesse, die es für das Rendezvous mit der Musik von Henri Duparc benötigte. Allerliebste, feingesponnene Tagträumereien, impressionistische Dezenz und eine grazile, lyrisch aufblühende Lust am versonnenen Flirt mit dem musikalischen Moment. Voilà, zurücklehnen, genießen.
Nach der Pause schien Kaufmann erleichtert, denn die Pflicht war geschafft, die Kür konnte kommen. Mit den drei anspruchsvoll introspektiven Petrarca-Sonnett-Vertonungen von Liszt näherte er sich seiner Kernkompetenz als Liedgestalter. Auch Deutsch als Dialogpartner ohne Worte klang nun deutlich ausgewogener. Dramaturgisch klug gemacht, verflüchtigte sich das Ende dieser Liedgruppe mit der ins Saaldunkel gehauchten Zeile „Tanta dolcezza avea pien l’aer e’ l vento“. „So süß befangen, so lauschten da Luft und Winde.“ Die Auswahl der Lieder von Richard Strauss war das reine Vergnügen. Und damit nicht ganz so reflektiert, wie es möglich wäre. Doch Kaufmann durchlebt diese Liebeslieder lieber ohne unnötiges Hinterfragen. Er rundete damit ein Konzert ab, das überzeugender endete, als es begann.