Hamburg. Bei der Verschiffung von Containern in Richtung Asien und den Nahen Osten kommt es zu massiven Problemen. Spediteure klagen.

Jahrelange Überkapazitäten und unwirtschaftliche Frachtraten haben die internationale Handelsschifffahrt in ihre schwerste Krise gestürzt. Doch plötzlich sieht das Bild ganz anders aus. Seit einigen Wochen redet die Branche von kritischen Kapazitätsengpässen bei der Verschiffung von Exportcontainern von Hamburg in Richtung Asien und den Nahen Osten. Transportaufträge werden verschoben oder nur noch gegen Zuschlagszahlungen durchgeführt – zum Teil bleiben Container an der Kaikante einfach stehen.

Vor allem die Spediteure haben unter dem mangelnden Schiffsplatz zu leiden. Sie sind ihren Kunden gegenüber Transportverpflichtungen eingegangen, die sie nun nur noch schwer einhalten können, da bestehende Buchungen aufgekündigt werden. „Dieses Gebaren ist unter Kaufleuten nicht in Ordnung, und so etwas kannten wir bisher auch nicht“, sagt Peter Knoll, Geschäftsführer der Spedition Reimler. Sie ist auf europäische Landtransporte und weltweite Seefrachten spezialisiert.

Bisher wurde, was zur Verschiffung anstand, ohne Probleme zum vereinbarten Preis transportiert. Doch plötzlich gilt das nicht mehr. Namhafte Reedereien wie die chinesische Cosco Shipping Lines oder Weltmarktführer Maersk schießen plötzlich quer oder sehen sich außer Stande, die Transportaufträge zu erfüllen. Knoll: „Da wurden bestehende Verträge ohne Vorwarnung gekündigt.“

Ab Hamburg gibt es weniger Liniendienste nach Asien

Auch dem Verein Bremer Spediteure stößt dieses Verhalten übel auf: „Offenbar sind vertragliche Vereinbarungen mit Spediteuren für Cosco Shipping ­Lines nur Verträge zweiter Klasse“, heißt es in einem Rundschreiben des Vereins an die Mitglieder.

Nicht nur Hamburg ist betroffen. Gleiches gilt für Rotterdam und Antwerpen. Da fast ausschließlich ostwärts gebuchte Ladung betroffen ist, sehen Branchenexperten als Hauptgrund für die Kapazitätsengpässe vor allem das chinesische Neujahrsfest Ende Januar. Zu diesem Fest schlossen viele Fabriken in der Volksrepublik für mehrere Wochen ihre Produktion. Daraufhin dünnten die Reedereien ihre Fahrpläne von Asien nach Europa aus, um nicht zu viele Schiffe mit zu wenig Ladung auf die Reise westwärts zu schicken. In der Folge fehlen diese Schiffe jetzt in Europa, um die Ladung von hier nach Asien zu bringen. Dem Branchendienst Loadstar zufolge haben die Liniendienste in der ersten chinesischen Ferienwoche ein Drittel ihrer Abfahrten reduziert, in der zweiten Ferienwoche habe sich das auf die Hälfte des Fahrbetriebs gesteigert.

Ausgedünnter Winterdienst

Hinzu kommt ein ausgedünnter Winterdienst, von dem die Marketingorganisation des Hafens berichtet: 19 Liniendienste aus Asien haben den Hamburger Hafen im Januar bedient. Im Januar des Vorjahrs waren es noch 22.

Offizielle Begründung für das Verhalten sind laut den Reedereien Kapa­zitätsengpässe. Der Branchendienst ­Loadstar meldet, Maersk habe ein Buchungsstopp bis zum 27. März verhängt. Ausgenommen seien Frachten, denen zuvor ausdrücklich eine bevorzugte Verschiffung eingeräumt wurde. Ein Sprecher der Reederei räumte ein, dass es „aufgrund einer hohen Nachfrage“ Platzmangel auf einigen Schiffen gebe und es deshalb zu Problemen mit Buchungen einzelner Kunden gekommen sei. „Wir stehen aber in enger Verbindung mit ihnen, um die besten Möglichkeiten zur Sicherstellung des Transportflusses ihrer Ladung anzubieten.“ Einen Buchungsstopp gebe es nicht.

Auch Hapag-Lloyd will von einem Buchungsstopp nichts wissen. „Aber die Kapazitäten im Asienverkehr sind sehr dicht“, sagte ein Sprecher der Hamburger Traditionsreederei. Die Frachttransport-Tochter der Deutschen Post DHL warnte ihre Kunden bereits Anfang 2017 in einem Schreiben vor „extrem knappen“ Seefrachtkapazitäten.

Willem van der Schalk.
Willem van der Schalk. © HA / Klaus Bodig

„Die Reedereien haben momentan mehrere Tausend Tonnen an Backlog“, also Rückstand. Dieser Rückstand ist laut Willem van der Schalk, Chef des Logistikunternehmens a. hartrodt mit Sitz in Hamburg, von den Reedereien mindestens in Kauf genommen, wenn nicht gar begrüßt worden. „Es handelt sich eher um eine künstliche Verknappung der Transportkapazitäten. Die Nachfrage ist nämlich eigentlich gar nicht sonderlich gestiegen“, so van der Schalk.

Verwerfungen in den Branche

Vielmehr hätten die Reedereien die Situation dazu genutzt, die wenig auskömmlichen Frachtraten, die zu erheblichen Verwerfungen in den Branche geführt haben, endlich anzuheben. Angesichts des Preisdumpings in der Vergangenheit sei das sogar verständlich. „Die Kapazitätsprobleme werden sich schnell geben. Die hohen Frachtraten werden bleiben“, prognostiziert van der Schalk.

Seine These wird dadurch gestützt, dass die Reedereien mit Ratenerhöhungen und Spitzenzuschlägen die Transportpreise nach oben schrauben. Die arabische Reederei UASC – weltweit die siebtgrößte – verlangt von ihren Kunden jetzt eine Notfall-Zulage, die je nach Container und Fahrtgebiet zwischen 300 und 1000 US-Dollar schwankt.

Der World Container Index des Beratungsunternehmens Drewry zeigt, dass der Preis für den Transport eines Standardcontainers (TEU) von Rotterdam nach Shanghai in dieser Woche um 45 Prozent von 740 auf 1076 Dollar angestiegen ist. Und der Hafen Hamburg Marketing zufolge lagen die Frachtraten zwischen China und Nordeuropa im Januar etwa 28 Prozent höher als im Vorjahresmonat.

Ein Gewinner des Chaos ist der Lufttransport. So sagt Spediteur Knoll: „Ich hörte von einem Automobilzulieferer aus dem Umland, dass er inzwischen seine Ware teuer per Luftfracht nach Asien schickt, weil er Lieferverpflichtungen seitens der Autohersteller dort hat – und nicht riskieren will, dass in Asien die Bänder stillstehen.“