Hamburg. Senat wollte scharfe Vorgaben im Bundesrat abwenden, bekam dafür aber keine Mehrheit. Auf Hamburg könnte nun Klagewelle zukommen.

Können Autofahrer in Hamburg in Zukunft kaum noch schneller als 30 Kilometer pro Stunde fahren? Eine jetzt im Detail beschlossene Reform der Straßenverkehrsordnung könnte schon bald dazu führen. Denn vor den 1065 Kitas, den rund 380 Schulen, allen Senioreneinrichtungen und Krankenhäusern muss die Stadt jetzt Tempo 30 anordnen – es sei denn, sie hat gute und gerichtsfeste Gründe dafür, auf ein solches Tempolimit zu verzichten.

Die Entscheidung der Großen Koalition in der Bundesregierung und des Bundesrates, das Tempolimit vor solchen Einrichtungen künftig zur Regel zu machen, sorgt in Hamburg für Diskussionen. Der ADAC bewertet die Entscheidung zwiespältig. „Wir begrüßen grundsätzlich die Möglichkeit, an einzelnen Verkehrsstellen, wo es objektiv für den Schutz der Schwächsten im Verkehr dringend notwendig ist, auf einfache Weise mehr Sicherheit zu schaffen“, sagte ADAC Hansa-Sprecher Hans Duschl. „Die neue Regelung darf jedoch nur der Verkehrssicherheit dienen und nicht dazu missbraucht werden, politische Ziele durch die Hintertür durchzudrücken, die auf dem regulären Wege nicht durchgesetzt werden konnten.“

Kommt nun eine Klagewelle auf die Stadt zu?

Damit spielt der ADAC-Sprecher auf die Grünen an, die seit Langem dafür plädieren, Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften zu machen – und nun hoffen, dieses Ziel mit Hilfe der neuen Regelungen durch die Hintertür zu erreichen. Auch die Umweltverbände freuen sich – und hoffen auf eine Grundsatzwende. „Die neue Vorgabe ist ein Chance, die Verkehrspolitik in Hamburg neu aufzustellen“, sagte Manfred Braasch, Hamburger Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

„Auch um viele kleinteilige Gerichtsverfahren vor den vielen Einrichtungen zu vermeiden, muss Tempo 30 Regelgeschwindigkeit werden. Tempo 50 ist dann für bestimmte Straßen zu begründen.“ Eine solche Regelung diene nicht nur der Sicherheit, „sondern wird auch helfen, die immer noch deutlich zu hohe Lärm- und Luftschadstoffbelastung zu senken“, so Braasch. Damit ist bereits eine Gefahr angedeutet, die auf die Stadt zukommen könnte: eine Klagewelle. Denn wenn die Innenbehörde bzw. die Polizei an bestimmten Hauptstraßen auf die Einrichtung von Tempo 30-Abschnitten vor Kitas oder Schulen verzichten sollte, könnten die Stadt darauf verklagt werden. Angesichts der hohen Zahl von Einrichtungen ist die Umsetzung eine große Herausforderung für die Verwaltung.

Fahrradclub ADFC bejubelt die Entscheidung

Der rot-grüne Senat hatte deswegen versucht, die am vergangenen Freitag im Bundesrat beschlossene Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung noch zu entschärfen. Denn aus seiner Sicht, ist es in Metropolen nicht praktikabel, vor jeder der erwähnten Einrichtungen, also prinzipiell auch auf sechsspurigen Straßen, Tempo 30 einzuführen. Der rot-grüne Senat scheiterte am Freitag allerdings mit seinem Änderungsantrag – ebenso wie das rot-grün regierte Nordrhein-Westfalen. „Hamburg wollte mit seinem Antrag im Bundesrat den Prüfaufwand verringern und die vier- und sechsstreifigen Hauptverkehrsstraßen von der Prüfung ausnehmen“, sagte Senatssprecher Jörg Schmoll dem Abendblatt. Nun werde die Innenbehörde prüfen, wie mit den neuen Vorgaben zu verfahren sei.

Der Fahrradclub ADFC bejubelte die neue Regelung. „Der Beschluss des Bundesrats war überfällig“, sagte ADFC-Sprecher Dirk Lau. „Wir fordern seit langem Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts, um die Verkehrssicherheit signifikant zu erhöhen und das Leben gerade der schwächeren und jüngeren Verkehrsteilnehmer zu schützen sowie Lärm, Dreck und Unfallgefahr auf den Straßen zu reduzieren.“

CDU warnt vor „grünen Hingespinsten“ CDU-Verkehrspolitiker Dennis Thering sagte, der Beschluss sei sinnvoll, um Kinder und ältere Menschen besser zu schützen. „Ein Freibrief für grüne Hirngespinste sind diese Neuregelungen aber nicht“, so Thering. „Bereits heute gilt auf mehr als 50 Prozent der etwa 4100 Straßenkilometern in Hamburg Tempo 30 oder weniger.

FDP: Tempo-Limits nur an Gefahrenpunkten

AfD-Verkehrspolitiker Detlef Ehlebracht begrüßte „alle Anstrengungen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit“. Gleichzeitig warnte er vor einer „Gängelung der Kraftfahrer durch eine pauschale Einführung von Tempo 30“. FDP-Verkehrspolitiker Wieland Schinnenburg sagte, es dürfe an „ Hauptverkehrsstraßen es auch zukünftig nur an wenigen, streng ausgesuchten Gefahrenpunkten Tempo-Limits geben“. Andernfalls werde der fließende Großstadtverkehr behindert. „Viel wichtiger wäre eine nachhaltige Kontrolle an den Gefahrenpunkten wie Kitas oder Schulen“ , so Schinnenburg. „In Hamburg findet das bislang kaum statt.“

Linken-Verkehrspolitikerin Heike Sudmann forderte, Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit zu machen, zumal „von einem flüssigeren Verkehr mit weniger Staus und weniger Umweltschäden alle profitieren alle, auch die Autofahrer“. SPD-Verkehrspolitikerin Martina Koeppen forderte „Entscheidungen mit Augenmaß entlang der konkreten, verkehrlichen Situation vor Ort.“ Betroffene, mit denen das Abendblatt am Montag gesprochen hat, bewerteten die neue Regelung zumeist positiv. „Es ist gefährlich, die Autofahrer kommen von der Kieler Straße gerast“, sagte Lis Andersen vom Seniorenzentrum am Wehbers Park dem Abendblatt. „Gerade die kurzen Ampelphasen schränken die Bewohner ein. Selbst ich schaffe es kaum bei Grün rüber.“ Eine Erzieher einer Kita an der stark befahrenen Fruchtallee berichtete: „Mir haben schon viele Eltern berichtet, dass es manchmal schon echt knapp war, die Autofahrer rasen teilweise auch noch bei Rot über die Straße. Ich würde es begrüßen, wenn hier Tempo 30 eingeführt würde.“