Hamburg. In Luk Percevals Roman-Adaption „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ steckt neben der Tragik auch Komik.

Willi Kufalt träumt von einem normalen Leben. Seine Entlassung aus dem Gefängnis steht bevor. Nach fünf Jahren darf er in die Freiheit: „Irgendwo sicher und unauffällig leben. In einer kleinen Wohnung in Hamburg. Und ab und zu mal ins Kino.“ Der Schauspieler Tilo Werner steht an der Rampe im Thalia Theater und formuliert mit leisen Sätzen Kufalts Zukunftsgedanken. Anständig will der werden – und das in einer schwierigen Zeit mit fünf Millionen Arbeitslosen im Deutschland der 20er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts.

Eine Freak-Show

Hoffnung macht ihm keiner in der Haftanstalt. Im Gegenteil: Er wird bis zuletzt von Aufsehern schikaniert und vom Gefängnisdirektor sexuell bedrängt. Die ersten Szenen in Luk Percevals Bearbeitung des Fallada-Romans „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ machen klar: Kufalt wird es schwer haben. Im Hintergrund der Bühne hängt ein wehender Vorhang, auf dem sich das Dach eines Zirkuszeltes abzeichnet (Bühnenbild: Annette Kurz). Auch Ringe und eine Schaukel sind zu erkennen, sie bewegen sich nicht. Ab und zu zeichnen sich überlebensgroße Silhouetten ab. Um Kufalt herum läuft eine Freak-Show ab. Alle Figuren sausen auf Bürostühlen über die Bühne und bedrängen ihn, er ist der Einzige, der steht und nicht an einem Stuhl klebt.

Doch Freiheit besitzt er nicht. Er ist diesen rollenden Freaks ausgeliefert, aber er kann ihrem Tempo nicht folgen. Sein Radius ist eingeschränkt, während sie durch das Leben brettern. Konsequent hat Perceval durch diese Anordnung zwei Welten geschaffen. Kufalt, der anständig werden möchte, bekommt in dieser anderen Welt keinen Fuß auf die Erde, ihre Bewohner sind bigott, gewalttätig, verlogen und verleumderisch.

Die Hölle auf Erden auf der Bühne

Der Roman von Hans Fallada (1893–1947) erschien 1934, er verarbeitet darin Erfahrungen seiner Haftzeit im Zentralgefängnis Neumünster, wo der drogensüchtige Schriftsteller wegen Unterschlagung und Betrugs fast drei Jahre lang einsitzen musste. Willi Kufalt ist das Alter Ego des Autors, dessen „Kleiner Mann – was nun?“ 1932 zum Bestseller wurde. Der „Blechnapf“ ist Luk Percevals dritte Fallada-Adaption, wieder ist es dem belgischen Regisseur gelungen, die Hölle auf Erden auf die Bühne zu bringen. In zwei Stunden und 20 Minuten verdichtet er die Vorlage zu einer Anklage gegen ein System, in dem der Einzelne scheitern muss, wenn er sich nicht anpasst und unterordnet. „Hättest dem Direktor mehr in den Arsch kriechen müssen“, wird Kufalt vom Aufseher verhöhnt.

Herausragende Ensembleleistung

Außer Tilo Werner teilen sich fünf weitere Schauspieler insgesamt 28 Rollen und liefern eine herausragende Ensembleleistung ab. Bernd Grawert als gewalttätiger Beerboom kommt mit einem hochkant gestellten Bett auf die Szenerie; Oliver Mallison hat komische Szenen als strickende alte Frau oder als Kriminalsekretär Specht; Stephan Bissmeier spielt zwei Pastoren als sexuell übergriffige Gottesmänner, einen Chefredakteur als lallenden Trinker, obendrein verwandelt er sich in die unterwürfige Frau Pastorin Fleege.

Diese drei Akteure müssen sich blitzschnell von einer Karikatur in die nächste verwandeln und sind die spielfreudigen Hauptakteure in Percevals Show. In Kufalts Tragik steckt eine Menge Komik, doch es lachen immer die anderen. Er bleibt eine einsame Figur, der von seinem Kumpel (Kristof Van Boven) verraten wird und dessen Beziehung zu einer Frau mit Kind (Christina Geiße) wegen einer Verleumdung scheitert.

Ein stiller Mann mit Glatze

Tilo Werner ist das Gegenteil dieser maliziösen und überdrehten Figuren, denen er begegnet. Sein Kufalt ist ein stiller Mann. Manchmal spricht Werner so leise, dass er in den Rängen kaum zu verstehen ist. Mit seiner Glatze und der Nickelbrille erinnert dieser schmale Mann eher an einen Intellektuellen oder sentimentalen Künstler. Nur einmal schreit er seine ganze Wut heraus. Kufalt merkt, dass er mit Anständigkeit nicht weit kommt und begibt sich mit Karacho auf die schiefe Bahn. Einen Juwelierladen will er ausrauben, das Pech bleibt ihm treu. Am Ende steht er wieder allein an der Rampe. Einsam, endgültig gescheitert.

Die nächsten Aufführungen: 1., 17., 25.3., Thalia Theater (U/S Jungfernstieg), Alster­-
tor 1, Karten ab 7,50 unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de