Hamburg. Luk Percevals Hamburg-Premiere „Geld“ wird zurecht vom Publikum gefeiert. Vor allem das Ensemble überzeugt.

„Alles Schlechte, alles Gute kommt vom Geld“, heißt es an einer Stelle im Text, und das Plakat vor dem Thalia Theater setzt sogar noch einen drauf: „Die Welt ist Geld“. Jeder Theaterabend: eine Investition! Sie kostet Geld und sie kostet Zeit. Sie kostet, gelegentlich, auch Nerven. Stellt sich also die logische Kapitalistenfrage: Lohnt sich das? Zahlt sich das aus?

Oh ja, für das Publikum unbedingt. Diese Inszenierung gehört ganz eindeutig zum Guten, zum sehr Guten sogar. „Geld“ hat Luk Perceval seinen Abend überschrieben, es ist die zweite Staffel seiner „Trilogie meiner Familie“ nach Romanstoffen des französischen Schriftstellers Émile Zola aus dem 19. Jahrhundert. Dessen Auftakt „Liebe“ feierte (nach der Ruhrtriennale-Uraufführung) vor einem Jahr ebenfalls am Thalia Premiere und ist hier noch immer im Repertoire. Man muss nun „Liebe“ gar nicht kennen, um auch das darauf aufbauende, sich anschließende „Geld“ als eine starke Inszenierung zu erfahren, aber es vergrößert den Spaß.

Verschiedene Parallelhandlungen

In historischen Kostümen (Ilse Vandenbussche) überzeugt das glänzend aufgelegte Thalia-Ensemble auf einer Art hölzerner Halfpipe (Bühne: Annette Kurz). Diese Welle könnte auch ein steil sich aufwölbender Teppich sein, unter den die familiären Muster gekehrt werden sollen, die nach Zola genetisch bedingte Abhängigkeit. Die Ausstattung verleiht dem Geschehen einen Sepia-Ton, als blickte man auf eine alte Fotografie – und bemerkte plötzlich die verblüffenden Auswirkungen und die Ähnlichkeiten mit dem Heute.

Alle sind nahezu immer auf der Bühne, alles ist geschickt verwoben, persönliche Schicksale, berückende und auch komische Begegnungen. Überzeugend zusammengehalten werden sie durch das Porträt einer so euphorischen wie skrupellosen Zeit, die nicht nur in ihrem rauschhaften Höher-Weiter-Mehr ohne Mühe auf die Gegenwart verweist: „Wir werden aus dem Orient einen Vorort Europas machen!“

Der Zuschauer wird Zeuge verschiedener Parallelhandlungen. Da ist zum Beispiel die manipulative Jungschauspielerin und Edel-Dirne Nana: Sie lässt sich von den Männern aushalten und wird von Maja Schöne so glühend und kiebig, so voller Frische und Zartheit und gleichzeitig so derb und proletarisch bis zum erbärmlichen Ende gespielt, dass allein ihre facettenreichen, überbordenden Szenen den ganzen Theaterabend rechtfertigen könnten. Müssen sie aber gar nicht, die Kollegen halten locker mit: die klassenkämpferische, aufrechte Kaufhaus-Angestellte Denise (wie immer von bemerkenswerter Präsenz: Patrycia Ziolkowska) und ihr egomanischer Boss, der die Figur des Spekulanten und des Kaufhauskönigs stimmig in sich vereint. Sebastian Rudolph gibt diesen Saccard wunderbar aufgedreht und überheblich.

Energetischer, schneller Theaterabend

Allgemeine Hybris und Geldgeilheit lösen wilde Unterleibszuckungen (vor allem der Männer) aus, die basslastige (Live-)Musik von Ferdinand Försch unterstützt das. Perceval aber gelingt es, neben der tönenden Arroganz und der Gier nach Wachstum ganz feine, berührende Momente zu schaffen. Dafür steht vor allem die bravouröse Barbara Nüsse als gebrechlicher Greis, der sich von den Frauen für etwas Lust und menschliche Wärme demütigen lässt. Seine Madame (fabelhaft: Gabriela Maria Schmeide), die so gern „glückliche Menschenmassen in Afrika“ hätte, betrügt ihn; es gibt drollige Spitzen gegen Theaterkritiker (souverän: Tilo Werner) und nicht nur von Oda Thormeyer und Pascal Houdos weitere starke Darstellerleistungen.

Ein ungestümer, energetischer, schneller Theaterabend, der Aufmerksamkeit fordert und tollstes Schauspielertheater schenkt. Großer Applaus des Premierenpublikums für das ausgezeichnet miteinander harmonierende Ensemble und das Regieteam. In der kommenden Saison folgt der letzte Teil der Trilogie: „Hunger“. Man kann sich darauf freuen wie auf die Finalstaffel seiner Lieblingsserie. Und dann im Marathon alle drei verschlingen. Prasserei!

Geld wieder am 6. und 28.10., 20.00, Thalia, Karten zu 7,50–52 Euro unter T. 32 81 44 44