Hamburg. Der 47-Jährige spielt am Thalia Theater in Luk Percevals Inszenierung von „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“.

Tilo Werner ist ein Veteran der Ära Joachim Lux: Seit 2009 gehört er zum Ensemble des Thalia Theaters, stand aber häufig eher im Hintergrund; vor allem kennt man ihn als verlässlichen Sidekick. Obwohl er an früheren Stationen in der ersten Reihe stand, spielt der 47-Jährige am Thalia erst jetzt seine erste wirkliche Hauptrolle – als Willi Kufalt in Luk Percevals Inszenierung von Hans Falladas Roman „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“. Premiere ist am 24. Februar.

Werner gibt einen strauchelnden Antihelden. Frisch aus dem Gefängnis entlassen, versucht er sich vergeblich an einer bürgerlichen Existenz, auch an der Liebe, landet am Ende aber wieder im Gefängnis – und stellt fest, dass es für ihn dort gar nicht so übel ist.

Christina Bellingen entscheidend beteiligt

„Fallada hat immer aus seinem eigenen Leben geschöpft und verstehbare menschliche Figuren beschrieben“, sagt Tilo Werner, als er sich nach einer Probe aus seiner farbenfrohen Norwegerjacke schält. „Kleine, tragische Menschen mit großen Problemen. Da findet Luk Perceval den Schmerzpunkt, den er sucht“, so Werner, der für einen Schauspieler ­erfrischend uneitel wirkt und so gar nicht dem Typus des innerlich zerrissenen Künstlers entspricht.

Die Bühnenfassung hat nicht Perceval allein erstellt. Auch die Dramaturgin Christina Bellingen, mit der Werner verheiratet ist, war entscheidend daran beteiligt. Tilo Werner freut sich, dass in der Romanbearbeitung viele Dialoge vorkommen. „Bestimmte Dinge fallen immer weg zugunsten einer Reduzierung und Verdichtung, aber wir dürfen spielen.“ Ähnlich wie im großen Erfolg „Jeder stirbt für sich allein“, wird die Szenerie relativ realistisch sein. „Wir versuchen, eine fast clowneske, groteske Spielweise zu finden, es gibt aber auch eine gewisse Grundmelancholie.“

Roman spielt zum großen Teil in Hamburg

Der Roman spielt zum großen Teil in Hamburg, genauer in den Nachbarstraßen des Thalia Theaters. Hier, im Raboisen, quartiert sich Willi Kufalt bei einer Pastorenwitwe ein und gibt vor, als Schauspieler mit dem Namen Ernst Lederer im Theater zu proben. Der Versuch, sich nach der Knastzeit in Neumünster eine ehrliche Existenz als Adressenschreiber aufzubauen ist da bereits an einer Verleumdung gescheitert.

Für Tilo Werner war Regisseur Luk Perceval ein Grund, das Wiener Burgtheater, Traum eines jeden Schauspielers, nach nur drei Jahren wieder Richtung Hamburg zu verlassen. „In Wien herrscht ein anderer Geist. Da wird erwartet, dass ein Schauspieler überlebensgroß ist, das ist nicht mein Ansatz“, sagt er. „Mich interessiert Genauigkeit, Konkretheit in der Darstellung von Leben. Das ist oft ganz klein.“ Werner ist einer, der eher mit einfachen Mitteln das Große schafft.

Werner bei ungarischem Theatermacher

Das tat der Ingenieurssohn aus Braunschweig schon früh in einer Schauspieltruppe an der Freien Universität Berlin, wo er noch vor der Ausbildung an der Ernst-Busch-Schule auf Theatermacher wie Stefan Bachmann und Lars-Ole Walburg traf. In der Ausbildung begegnete er Regisseur Thomas Ostermeier, mit dem ihn eine siebenjährige ­Zusammenarbeit erst an der Baracke, dann an der Schaubühne verband. „Irgendwann brauchte ich neuen Input.“ Außerdem habe das, was versucht wurde – Theater mit einem fast ausschließlich jungen Ensemble machen, eine eigene Ästhetik verfolgen –, nicht funktioniert. „Die Zuschauer liefen weg.“

So zog es Werner zum ungarischen Theatermacher Arpád Schilling und seiner freien Truppe Krétakör. „Die hatte kein festes Haus, aber die Leute kamen zu ihren Auftritten und wollten, dass sie spielten.“ Werner spielte einige Jahre mit, bald auch auf Ungarisch, und reiste mit der Gruppe um die halbe Welt. „In Tschechows ‚Möwe‘ spielte ich den Trigorin. In Privatklamotten mit vier Stühlen. Das hatte nicht den Glamour der Schaubühne, aber es war sehr berührend“, erinnert er sich.

Längste künstlerische Heimat am Thalia

Unter Schilling gab er auch „Hamlet“ am Wiener Burgtheater. Einen von dreien. Wieder in Privatklamotten. Aber die Sehnsucht nach Deutschland und der deutschen Sprache wurde immer größer. „Ich wollte wieder dort sein, wo ich nicht ständig erklären muss, ­warum ich da bin“, erzählt Tilo Werner.

Am Thalia hat er seine bislang längste künstlerische Heimat gefunden und zehrt in seinem Spiel von seinen reichen Erfahrungen. „Ich mag diese Mischung aus höchster Konzentration, guter Vorbereitung und dem Wagnis, nicht zu wissen, was passiert.“ Er vergleicht es mit dem Jazz, der ja gleichermaßen auf Struktur und Improvisation fußt.

Was nun kommt? Im „Blechnapf“ vielleicht der ganz große, der Karriere noch mal eine neue Wendung gebende Auftritt.

„Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ Premiere 24.2., 20.00, Thalia Theater, Alstertor, Karten 15,- bis 74,- unter T. 32 81 44 44