Wilhelmsburg. Programm für die ersten 100 Tage steht. Tobias Bergmann will Präses werden und Beitragspflicht und Morgensprache abschaffen.
Die Wahlsieger hatten sich das Wälderhaus in Wihelmsburg ausgesucht. Am Sonntag, zwei Tage nach ihrem furiosen Erfolg bei der Handelskammerwahl, kamen die 55 Mitglieder des Wahlbündnisses „Die Kammer sind WIR“ dort zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen.
Ansprüche auf Schadenersatz prüfen
Bei seinem Auftritt vor den Medien schien Tobias Bergmann, der Sprecher der sogenannten Kammerrebellen, noch im Wahlkampfmodus. Für die ersten 100 Tage habe man einen „Sechs-Punkte-Plan, sagte er.
Die wichtigsten Elemente dieses Planes sind die Abschaffung der Beitragspflicht von 2020 an, eine erhebliche Gehaltskürzung des Hauptgeschäftsführers und die Ankündigung, ein Sachverständiger werde einen möglichen, durch „Luxusrenten“ entstandenen finanziellen Schaden und Ansprüche auf Schadenersatz prüfen.
Vieles bleibt im Ungefähren
Das Bündnis „Die Kammer sind WIR“ hatte bei den Wahlen zum Plenum der Handelskammer 55 der 58 Sitze errungen. Zwar können noch weitere acht Plenarier kooptiert werden. Aber bei der Auswahl der infrage kommenden Unternehmer dürfte das erfolgreiche Bündnis das letzte Wort haben.
Zugleich kündigte Bergmann an, dass er für das Amt des Handelskammer-Präses kandidieren werde. Der Unternehmer meinte zwar: „Wir setzen jetzt das um, was wir vor der Wahl versprochen haben.“ Auf Nachfragen von Journalisten hin blieb er allerdings zumeist im Ungefähren. Da gebe es doch noch eine Reihe Fragen zu prüfen, hieß es wiederholt.
Das Hamburger Abendblatt fasst im Folgenden die wichtigsten Fragen und Antworten des gestrigen Sonntages zusammen.
Kann das Plenum beschließen, die Pflichtbeiträge abzuschaffen? Nein, eigentlich kann das nur der Gesetzgeber. Allerdings bekräftigte Bergmann, das Plenum werde einen Beschluss fassen, die Beitragspflicht von 2020 an abzuschaffen. Unklar blieb Bergmann, ob bereits vorher ein Abschmelzen der Beiträge – möglicherweise in Zwischenschritten – denkbar wäre. Vor der Kammerwahl waren Ausführungen des führenden deutschen Kammerrechtsexperten, Professor Kluth bekannt geworden. Der Experte hatte dabei, so der Hauptgeschäftsführer der Kammer, Hans-Jörg Schmidt-Trenz, deutlich gemacht, dass eine Abschaffung der Kammerbeiträge möglicherweise gegen geltendes Recht verstoßen könne. Fakt ist, dass die Frage, wie die finanziellen Einnahmen der Kammer sich in den kommenden Jahren gestalten werden, erhebliche Auswirkungen auf deren Arbeit haben wird.
Mit welchen finanziellen Ausfällen rechnen die Wahlgewinner, wenn die Pflichtbeiträge abgeschafft worden sind? Dazu konnte Tobias Bergmann am Sonntag keine genauen Angaben machen. Vorbild sei die Industrie- und Handelskammer Hannover, die mit einem Viertel des Beitragsaufkommens der Hamburger Handelskammer auskomme. Derzeit nimmt die Hamburger Kammer jährlich rund 39 Millionen Euro an Pflichtbeiträgen ein. Zudem sind 40 Prozent aller Kammermitglieder (rund 70 Prozent aller Kleingewerbetreibenden) vom Beitrag befreit.
Würden Hamburger Unternehmen freiwillig Beiträge an die Handelskammer zahlen? Dazu wollte sich vor der Wahl kaum jemand offiziell äußern. Hinter vorgehaltener Hand erklärten jedoch gerade viele große Unternehmen, dass sie freiwillig kein Geld an die Handelskammer zahlen würden beziehungsweise dürften. Daran wird sich nach der Wahl nichts geändert haben, eher im Gegenteil. Im neu gewählten Plenum der Handelskammer sitzen bis auf wenige Ausnahmen kaum noch große Hamburger Firmen. Rausgefallen sind aktuell Vertreter von folgenden Unternehmen: Hamburger Volksbank, Warburg, Deutsche Bank, Ernst & Young, Globetrotter, Budnikowsky, HHLA, Otto Wulff, Airbus, Vattenfall, Siemens. In der Vergangenheit waren es vor allem diese und vergleichbare Firmen, die den Großteil der Beiträge aufgebracht haben.
Was wird mit den Pensionen und Renten geschehen? Die Wahlsieger kündigten am Sonntag an, ein unabhängiger Sachverständiger werde einen möglichen finanziellen Schaden, der durch „Luxusrenten“ entstanden sein soll, ermitteln. Zudem solle er sich daraus ergebende Schadensersatzansprüche prüfen. Weitere Einzelheiten wurden jedoch nicht mitgeteilt.
Müssen die 265 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen? Ein eindeutiges Bekenntnis zum Erhalt aller Arbeitsplätze äußerte Bergmann nicht. Allerdings machte er deutlich, dass die Handelskammer auch künftig ein „seriöser Arbeitgeber“ bleiben und seine Verpflichtungen erfüllen werde. So gebe es „gültige Arbeitsverträge“. Vor der Wahl hatten die sogenannten Kammerrebellen angekündigt, das hauptamtliche Personal deutlich reduzieren zu wollen. Vor allem auf der Führungsebene sollte es zu Einschnitten kommen. Am Sonntag verwies Bergmann auf die IHK Berlin, wo die Quote der hauptamtlich Beschäftigten etwa halb so hoch sei wie in Hamburg. Im Durchschnitt hat die Handelskammer Hamburg 1,76 Mitarbeiter pro 1000 Mitgliedsunternehmen. Deutschlandweit liegt der Durchschnitt bei 1,87 Mitarbeiter. In Bezug zur Wirtschaftskraft (Mitarbeiter pro eine Million Euro Gewerbeertrag) stehen die Stadtstaaten Berlin und Bremen schlechter da. Das größte Problem besteht auch in dieser Frage in der Unsicherheit der künftigen Finanzen. 42 Prozent des Betriebsaufwandes der Kammer verursachen die Personalkosten. Um den bisherigen Betrieb der Handelskammer aufrechtzuerhalten, müssten über andere Wege Gelder erwirtschaftet werden. Mehr kostenpflichtige Dienstleistungen werden aber – auch von Mitgliedern des erfolgreichen Bündnisses – als potenzielle Konkurrenz zum eigenen Geschäftsmodell abgelehnt.
Wer wird neuer Kammer-Präses? Mit großer Wahrscheinlichkeit Tobias Bergmann. Das erfolgreiche Wahlbündnis „Die Kammer sind WIR!“ nominierte am Sonntag Bergmann einstimmig als Kandidaten für das Amt des Präses. Das neue Kammerplenum tritt erstmals im kommenden April zusammen und wird im Mai ein neues Präsidium und einen neuen Präses bestimmen.
Was wird aus der umstrittenen Morgensprache? „Die monetäre und ideelle Unterstützung der Morgensprache 2017 wird eingestellt“, beschlossen mit Mitgliedern des erfolgreichen Bündnisses. Die Feier, die mit verkleideten Führungskräften begann, war bereits in den vergangenen Jahren abgespeckt worden. Die Kostüme werden seit zwei Jahren nicht mehr getragen. Zudem war man zuletzt bemüht, die Ausrichtung über Spenden zu finanzieren.
Wird es die Rede des Kammer-Präses bei der Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns am Ende eines Jahres noch geben? Die Versammlung gilt nach eigenen Angaben als die größte wirtschaftsethische Vereinigung Deutschlands mit einer Tradition seit 1517. Bislang hielt der Präses der Kammer auf der Versammlung eine Ansprache, während die Mitglieder des Senats zuhören mussten. Zuletzt hatte es Kritik daran gegeben, dass der Präses in seinen Ausführungen zu politisch geworden sei. Bergmann machte deutlich, dass er, sollte er zum Kammerpräses gewählt werden, nur sprechen werde, wenn es weitere Redner gebe. Sein Bündnis hatte vor der Wahl angekündigt, neben dem Präses einen Azubi, einen Existenzgründer und einen Traditionsunternehmer zu Wort kommen lassen zu wollen. Allerdings kann das die Kammer-Führung nicht allein entscheiden. Der Verein wird in diesem Jahr im Übrigen 500 Jahre alt.
Wie wollen die Wahlsieger Transparenz herstellen? Von April an sind die Sitzungen des Plenums öffentlich. Die Protokolle werden im Internet veröffentlicht.
Behält die Handelskammer ihren Sitz unmittelbar neben dem Rathaus am Adolphsplatz? Die Kammer muss an die Stadt, der das Haus gehört, zwar keine Miete zahlen, ist aber für die Instandhaltung des Gebäudes verantwortlich. Ob es dafür künftig reicht, ist abzuwarten. Bergmann hatte vor der Wahl gesagt, man wolle am Standort verbleiben, „weil die Handelskammer ins Zentrum der Macht gehört“. Man wolle das Gebäude aber für andere Institutionen öffnen.