Hamburg. Ob Airbus, Siemens, Vattenfall oder Volksbank – sie alle haben bald keinen Vertreter mehr im Plenum

So richtig fassen kann Reiner Brüggestrat das überraschende Wahlergebnis vom Freitagnachmittag auch Sonntagfrüh noch nicht. „Das ist schon ein Hammer“, sagt der Chef der Hamburger Volksbank, der derzeit noch im Plenum der Handelskammer sitzt, dem Abendblatt. Mit diesem erdrutschartigen Sieg der sogenannten Rebellen bei den Plenumswahlen hat Brüggestrat nicht gerechnet. „Die Kammer wird nun mit Sicherheit eine andere“, davon ist er überzeugt.

Brüggestrat selbst wird an dem Veränderungsprozess, den Hamburgs bis dato wichtigste Wirtschaftsvertretung in den kommenden Jahren durchmachen dürfte, nicht aktiv mitwirken können. Denn im Plenum hat er keinen Platz mehr gefunden – wie so viele bekannte Vertreter namhafter Unternehmen. Ob Flughafenchef Michael Eggenschwiler, Budnikowsky-Miteigentümer Cord Wöhlke, Siemens-Nord-Chef Michael Westhagemann, HHLA-Vorstand Stefan Behn, der bekannte norddeutsche Bauunternehmer Stefan Wulff, der Hamburger Airbus-Manager Georg Mecke, Vattenfall-Chef Pieter Wasmuth und Joachim Olearius von der Privatbank M.M. Warburg – sie alle werden das Plenum verlassen.

Das ist nicht nur für einige von ihnen eine schwere persönliche Niederlage, sondern auch ein Tiefschlag für ihre Unternehmen. Denn alle diese Firmen mit zusammen mehreren Zehntausend Arbeitsplätzen in der Metropolregion werden keine einzige Stimme mehr im Kammerparlament haben. Stattdessen ziehen nun Manager in das Plenum ein, deren Firmen so gut wie kein Hamburger kennt.

Ein Beispiel macht dies besonders deutlich. Waren bisher für die Indus­trie Vertreter von Branchenschwer­gewichten wie Siemens, Airbus, Vattenfall und Pfannenberg im Kammerparlament aktiv, trifft man bald auf Namen wie E.F. Elmendorf, 1337 und so GmbH oder die MTex Goetz + Goetz Warenhandelsgesellschaft mbH, für die es bereits schwerfällt, mithilfe der Suchmaschine Google eine passende Internetseite zu finden. Fakt ist: Beim renommierten Industrieverband Hamburg (IVH) ist keines der sieben Unternehmen, die demnächst die Industrie der Stadt repräsentieren sollen, Mitglied. Konkrete Arbeitsplatzzahlen für diese Firmen sind in keiner offiziellen Statistik zu finden – und ob in den Betrieben ausgebildet wird? Unklar.

Siemens-Nord-Chef Westhagemann, der auch dem IVH vorsteht, sieht die Industrie der Stadt in ihrer Vielfalt künftig im Plenum nicht mehr vertreten. „Die mittleren und großen Unternehmen haben gar keine Stimme mehr. Das ist nicht gut“, sagt Westhagemann, der selbst für die aktuelle Wahl nicht mehr angetreten ist, weil er demnächst bei Siemens ausscheiden wird. Doch beim Industrieverband will er weiter mitmischen. Nach dem Kammer-Wahlergebnis müsse der IVH seiner Ansicht nach in Zukunft wohl noch enger mit anderen lokalen Organisationen wie dem Groß- und Außenhandelsverband AGA oder der Hafenwirtschaft zusammenarbeiten. Denn nur dann könne die Meinung der bedeutenden Firmen in der Öffentlichkeit künftig noch durchdringen.

Die etablierte Wirtschaft denkt folglich schon über neue Allianzen nach, um im Anschluss an den bevorstehenden Umbruch in der Kammer bei der Meinungsbildung in der Stadt überhaupt noch eine Rolle zu spielen. Denn darum dürfte es in den kommenden Jahren vor allem gehen: In welcher Form und über welche Organisationen können die wirklich wichtigen Unternehmen Hamburgs ihre Interessen weiter vertreten?

Als quasi „letzter Mohikaner“ der etablierten Wirtschaft ist der Vorstandssprecher der Hamburger Sparkasse, Harald Vogelsang, noch im Plenum vertreten. Er selbst war am Wochenende nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Aber sein bisheriger Plenumskollege Brüggestrat wagt zumindest schon mal die Prognose: „Einfach wird das nicht für Harald Vogelsang.“ Schließlich stehe er nun fast alleine da mit seiner Meinung über den Sinn und die Notwendigkeit der bisherigen Kammerarbeit. Lehrstellenbörse, Existenzgründer-Beratung, Engagement für Flüchtlinge – diese und viele andere Angebote, für die sich die bisherige Kammer mit ihren Repräsentanten wie Vogelsang starkgemacht hat, stehen zur Disposition. Denn schließlich wollen die siegreichen Rebellen den Geldzufluss über die Pflichtbeiträge stoppen. Doch ohne Geld dürfte es kaum möglich sein, die Angebotsvielfalt zu erhalten, davon sind sowohl Westhagemann als auch Brüggestrat überzeugt.

Der Chef der Hamburger Volksbank will sich aber keinesfalls als schlechter Verlierer verstehen. „Das ist eine demokratische Wahl gewesen, und das Ergebnis haben alle zu respektieren“, sagt er. Aber mitten in ihren Siegesrausch hinein appelliert er zugleich an die Gewinner, sich ihrer neuen Verantwortung bewusst zu werden. Denn letztlich sei die Kammer – unabhängig vom Wahlausgang – weiterhin die Repräsentantin aller Betriebe in der Stadt. Nun müssten eben die kleinen Firmen auch die mittleren und großen Unternehmen vertreten – wenn sie das denn überhaupt wollen.