Hamburg. Nach der Entscheidung des Gerichts könnte ein langer Rechtsstreit drohen. Das Abendblatt fragt die Beteiligten, wie es weitergeht.
Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Elbvertiefung stellen sich die Kontrahenten neu auf. Während die Stadt und der Bund damit begannen, die vom Gericht bemängelten Punkte abzuarbeiten, zeigten sich die Umweltverbände in den entscheidenden Fragen unnachgiebig. Sie sind nicht bereit, mit der Stadt über Ersatzmaßnahmen für die vom Gericht als nicht ausreichend klassifizierten Naturschutzmaßnahmen zu verhandeln. Rechtlicher Hintergrund: Die Leipziger Richter hatten vor allem die Ausgleichsmaßnahmen zum Schutz des Schierlings-Wasserfenchels bemängelt. Das Abendblatt fragt, wie es jetzt weitergeht.
Wie genau ist die rechtliche Situation nach dem Urteil?
Das Urteil des Bundesverwaltungsgericht beschließt das mehr als vierjährige Verfahren mit einem offenen Ende. Die Leipziger Richter haben den Planfeststellungsbeschluss zur Elbvertiefung nicht aufgehoben, aber zwei wesentliche Mängel aufgeführt, denen zufolge der Baustopp weiter gilt. Zum einen geht es um die vorgesehenen Schutzmaßnahmen für die nur noch am Elbufer vorkommende Pflanze Schierlings-Wasserfenchel, die das Gericht durch eine zunehmende Versalzung der Elbe gefährdet sieht.
Zum zweiten geht es darum, dass das Gericht eine wesentliche Ausgleichsfläche in Wilhelmsburg, auf der sich eben jener Schierlings-Wasserfenchel entfalten kann, nicht anerkennt. Gemeint ist Kreetsand. Zudem bezweifelt das Gericht die Eignung anderer Ausgleichsflächen in Niedersachsen. Diese Flächen sind rechtlich notwendig, um den Natureingriff zu kompensieren, der durch die Elbvertiefung entsteht. Das Gericht sagt aber auch, dass Hamburg diese Probleme heilen kann.
Was müssen Hamburg und der Bund als nächste Schritte tun?
Die Fragen des Gerichts zur möglichen Zunahme der Versalzung wollen die Planer durch weitere Erläuterungen aus dem Weg räumen, wie der Chefplaner der Stadt, der Geschäftsführer der Hamburg Port Authority, Jens Meier, sagt. Auch für die Ausgleichsflächen in Niedersachsen könnte es eine Lösung geben, wenn das Nachbarland mitspielt und die vier bereits identifizierten Bereiche als Ausgleichsflächen ausweist. Schwieriger wird es, eine Ersatzlösung für Kreetsand zu finden. Denn genau diese Fläche hat das Gericht zum Ausgleich ausgeschlossen.
Ist die notwendige Suche nach Ersatzflächen aufwendig?
Ja. Hamburg und der Bund haben erhebliche Probleme, geeignete Flächen zur Verfügung zu stellen. Das Gericht hat in dem Verfahren frühzeitig die Ausgleichsmaßnahmen kritisiert. Neue Ersatzlösungen haben die beiden Beklagten bis zum Schluss nicht vorgelegt. Ist die Suche erfolgreich, müssen die neuen Flächen als geeignete Heimat für den Schierlings-Wasserfenchel identifiziert werden. Daraufhin ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen.
Aus Sicht der klagenden Umweltverbände ist auch eine neue öffentliche Beteiligung notwendig, was die Stadt in dieser Deutlichkeit nicht unterschreiben will. Was aber noch schwerer wiegt: Nach Meinung von Experten muss auch die EU-Kommission um eine neue Stellungnahme gebeten werden. Diese hatte im Dezember 2011 für die Elbvertiefung grünes Licht erteilt – allerdings unter der Maßgabe, dass Kreetsand als Ausgleich realisiert wird. Kommt dieser Deal jetzt nicht zustande, muss Brüssel erneut befragt werden.
Sind auch neue Klagen gegen die Elbvertiefung möglich?
Das bisherige Verfahren ist abgeschlossen. Gelingt es, andere Ausgleichsflächen zu finden, muss der alte Planfeststellungsbeschluss in einem neuen Verfahren um diese ergänzt werden. Das eröffnet den Weg für neue Klagen. Die Stadt glaubt offiziell nicht, dass die Umweltverbände wieder klagen werden: „Wir wissen ja jetzt, worauf wir zu achten haben und wollen auf die Umweltverbände bei der Suche nach Ausgleichsmaßnahmen früh zugehen“, sagte Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos).
Die Umweltverbände haben sich dazu bisher nicht eindeutig positioniert: „Wenn die Nacharbeiten der Beklagten rechtlich nicht zu beanstanden sind, werden wir auch nicht klagen“, sagte der Klägeranwalt Rüdiger Nebelsieck. Tatsache ist aber, dass nicht nur die Umweltverbände gefragt sind. Im Grunde ist dann jeder Betroffene klageberechtigt – allerdings nur im engen Rahmen der vom Gericht bemängelten Punkte. Es können also vom Gericht noch nicht abgeräumte Probleme neu aufgeworfen werden.
Wann kann Hamburg mit der Elbvertiefung rechnen?
Die Angaben von offizieller Seite schwanken. Wirtschaftssenator Frank Horch will die Probleme in einigen Monaten lösen. Bürgermeister Olaf Scholz spricht von einem weiteren Jahr. Dabei ist zu beachten, dass Niedersachsen frühestens 2018 seine Flächen zur Naturaufwertung benennen will. Bleibt man auf Niedersachsen angewiesen, scheint dieser Zeitraum zu knapp bemessen.
Die Umweltverbände sehen hohe Hürden für die Identifizierung neuer Ausgleichsflächen und sprechen von mehreren Jahren. Die Hafenwirtschaft geht von einer Verlängerung der Hängepartie um die Elbvertiefung von zwei Jahren aus. Diese Einschätzung erscheint unter der Maßgabe realistisch, dass die EU-Kommission eingeschaltet werden muss, und neue Klagen drohen.
Haben Hamburg und der Bund überhaupt Alternativen?
Für den Fall, dass Niedersachsen für die Identifizierung von Ausgleichsflächen länger braucht oder sich querlegt, will Schleswig-Holstein der Stadt Hamburg zur Seite springen. „Wirtschaftsminister Reinhard Meyer hat den Hamburgern rasche Gespräche über die vom Gericht geforderten Ausgleichsflächen angeboten“, sagte ein Ministeriumssprecher. Rechtlich ist so etwa möglich. Es ist nur vorgeschrieben, dass die Ausgleichsmaßnahmen auch dort stattfinden, wo der Natureingriff geschieht, die exakte Stelle ist nicht vorgegeben.
Und die Umweltverbände?
Nabu und BUND haben der Politik ihre grundsätzliche Dialogbereitschaft angezeigt. Voraussetzung sind „ernsthafte Gespräche“, bei denen die Stadt auf wesentliche Teile des Vorhabens verzichtet. Anders ausgedrückt: Wenn Hamburg nicht länger auf die Vertiefung der Elbe besteht, kann man über die Verbreiterung der Fahrrinne verhandeln. „Für Gespräche nur über Ausgleichsmaßnahmen stehen wir nicht zur Verfügung“, sagte Hamburgs Nabu-Chef Alexander Porschke.