Ein altes Spülfeld bei Wilhelmsburg wird zu einer riesigen Bucht in der Norderelbe. 60 Millionen Euro für ein Pilotprojekt
Wilhelmsburg. Als vor vier Jahren die Planer der Hafenbehörde HPA (Hamburg Port Authority) erste Skizzen veröffentlichten, mögen die für einige Betrachter noch reichlich utopisch ausgesehen haben. Eine riesige, künstliche Elbebucht bei Kreetsand zeigten die Bilder: Neuer Flutraum, um den heftigen Strom der Unterelbe zu beruhigen. Der hat sich durch die Eingriffe der Menschen in den vergangenen 100 Jahren dramatisch verändert – und so schwappt immer mehr Sand in den Hafen. Folge ist dessen zunehmende Verschlickung. Deshalb hat Hamburg ein gigantisches Pilotprojekt gestartet.
Das Deichvorland Kreetsand an der Norderelbe bei Wilhelmsburg sieht heute aus wie eine Sandwüste, die mehrfach umgraben wurde. Immerhin 60 Millionen Euro will Hamburg hier investieren für die neue Bucht, die etwa doppelt so groß wie die Binnenalster werden wird. Warum das so teuer ist, wollen die beiden HPA-Planer Manfred Meine und Tobias Gehle bei einem Baustellen-Rundgang zeigen. Sie streifen dazu ihre Warnjacken über, da immer wieder schwere Lkw über eine provisorische Piste rollen. Zwei Millionen Kubikmeter Sand und Schlick sollen hier in den nächsten Monaten abgetragen werden, das entspricht gut 100.000 Lkw-Ladungen.
Noch übernehmen die Laster den Transport, im Laufe des Jahres sollen aber auch Schuten das Material über den Fluss an Stellen schippern, wo es verwertet werden kann; etwa beim Deichbau. Allerdings lagert über den verwertbaren Sand- und Kleieschichten ein Altspülfeld mit belastetem Hafenschlick, der vor Ort analysiert, sortiert und dann auf spezielle Deponien gebracht werden muss. „Das macht die Sache so teuer“, sagt Meine, der bei der HPA für den Bereich „Tideelbe-Management“ zuständig ist.
Dennoch erschien der Hafenverwaltung dieses Altspülfeld ideal für ein erstes Pilotprojekt dieser Art. Auch andere Orte hatten die Planer zunächst im Blick: Die Öffnung der Alten Süderelbe zum Beispiel. Auch die Wiederanbindung der Dove Elbe oder des Neuländer Baggersees waren im Gespräch. Doch bei Kreetsand war der Deich bereits 1999 weit landwärts verlegt worden, so dass dort eine große Vordeichsfläche liegt, die nun relativ gefahrlos bis zu drei Meter unter Meeresspiegelniveau tiefer gelegt werden kann, um sie wieder ans Geschehen von Ebbe und Flut anbinden zu können.
Ein Auenwald bleibt dabei erhalten, die Uferbereiche sollen neu bepflanzt und die Bucht Teil des Naturschutzgebietes „Auenlandschaft Norderelbe“ werden. Der seltene Schierlings-Wasserfenchel wird dort wachsen können, Fische wie Lachse oder Rapfen einen „Rückzugsraum“ bekommen, heißt es in der Projektbeschreibung. Quasi bekommt die Natur so ein wenig zurück, was ihr durch Deichbauten oder auch Aufspülungen wie beim Airbuswerk genommen wurde.
Mehr als 100 Jahre schon hat der Mensch den Flusslauf mehrfach umgebaut, die Deiche höher und enger ans Wasser verlegt. Die Folge: Die Strömung hat sich verändert und der Unterschied zwischen Ebbe und Flut, der Tidenhub, hat sich stark vergrößert. Noch 1970 lag dieser Unterschied am Pegel bei St. Pauli bei 1,50 Metern. 1950 betrug der Tidenhub 2,20 Meter, heute werden Unterschiede von 3,60 Metern gemessen. Wobei die Auswirkung auf das Niedrigwasser gravierender ist als auf das Hochwasser. Konkret: Bei Niedrigwasser ist der Wasserstand heute gut einen Meter niedriger als noch 1950, bei Hochwasser liegt der Pegelstand indes nur etwa 40 Zentimeter höher als vor 63 Jahren.
Mit neuen Fluträumen, so die Hoffnung der Fachleute der Hafenbehörde, wird sich dieser Tidenhub wieder etwas dämpfen. Dass die Hamburger Hafenverwaltung nun nicht nur neue Kaimauern baut, sondern auch neue Buchten gräbt, in der bald seltene Wasserpflanzen und Vögel eine geschützte Heimat bekommen, ist nicht nur einem neu entdeckten Naturschutz geschuldet: Die Veränderung des Tidenhubs hat seit einigen Jahren auch gravierende Folgen für den Betrieb des Hafens. Das Gefälle zwischen Hochwasser bei Cuxhaven und gleichzeitigem extremen Niedrigwasser in Hamburg ist eben auch größer geworden.
Folge: Der Flutstrom rauscht förmlich in die Stadt und bringt mehr Sedimente in den Hafen als der Ebbstrom zurück. Das gefährdet die Zufahrt für große Schiffe.
Schon im vergangenen Jahr gab es vor Terminals Tiefgangsbeschränkungen, weil sich regelrechte Kuppen gebildet hatten, die erst mühsam wieder mit Baggerschiffen abgetragen werden mussten. Das Baggergut wurde dann weit weg in der Nordsee verklappt. 50 bis 60 Millionen Euro gibt Hamburg derzeit jährlich für das Ausbaggern des Hafens aus. „Ganz klar geht es hier in Kreetsand auch um die Sicherung der Zufahrt zum Hafen“, sagt Meine.
Doch allein eine einzige Bucht an der Norderelbe wird die Entwicklung nicht wieder umdrehen, zwei oder drei Zentimeter nur wird sich der Tidenhub durch diese eine Bucht verändern. Das wissen Hafen-Planer wie Meine. Längst denken sie daher über langfristige Strategien nach. Weitere Buchten zwischen Glückstadt und Geesthacht etwa. Oder auch über künstliche Sandbänke oder Inseln direkt in der Flussmündung. „Man muss immer den gesamten Fluss im Blick haben“, sagt Meine.