Das Hamburger Wirtschaftsjahr 2016 bietet größten Unterhaltungswert. In den Hauptrollen: Topmanager, Richter und die Familie Oetker.
Für Touristen ist das Dock von Blohm+Voss wohl der bekannteste Wirtschaftsort in der Hansestadt. Schließlich gehört eine Hafenrundfahrt oder ein Blick von den Landungsbrücken auf die Elbe zum Pflichtprogramm bei Besuchern. Da fällt eines der größten Trockendocks Europas natürlich ins Auge, zumal es immer wieder gefüllt ist mit beliebten Kreuzfahrtriesen wie der „Queen Mary 2“.
Der Bau von Schiffen, ein bekannter Name, eine jahrzehntelange Tradition – mehr Hamburg geht kaum. Doch was zu Hamburg gehört, gehört nun Bremern. Ausgerechnet dem Rivalen von der Weser! Ein harter Schlag für manchen stolzen Hamburger. Ende September kauft die Lürssen Werft dem britischen Eigentümer Star Capital Partners das 1877 im Sumpf auf Kuhwerder gegründete Unternehmen ab.
Unterhaltungswert auf höchstem Niveau
Viel Lokalkolorit und Folklore steckt in dieser Hamburger Wirtschaftsgeschichte des Jahres 2016. Und die maritime Branche bietet weiteren Unterhaltungswert auf höchstem Niveau. Die größte überregionale Brisanz liefert aber das Gefeilsche um Tengelmann, das zwar schon 2014 beginnt, in diesem Jahr aber seinen Höhepunkt erreicht.
In den Hauptrollen: Zwei Topmanager, die sich immerhin in ihrer gegenseitigen Abneigung einig sind. Ein Bundeswirtschaftsminister, der sich als Retter von 15.000 Arbeitsplätzen profilieren möchte. Ein Topwissenschaftler, der die Entscheidung des Politikers als die schlechteste fürs Gemeinwohl einstuft. Und Richter, die dem Minister fehlende Neutralität vorwerfen. Starker Tobak. Was ist geschehen?
Im Oktober 2014 gibt Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka mit Sitz in der City Nord bekannt, dass er die Supermärkte von Kaiser’s Tengelmann kaufen möchte. Das Kartellamt verbietet dies ein halbes Jahr später. Auf 345 Seiten begründet die Behörde dies, detailliert bis auf die Stadtbezirke.
Die Wettbewerbshüter sehen Gefahren für den Wettbewerb. Konkurrent Rewe klagt parallel gegen den Zusammenschluss, weil die Kölner selbst Interesse an den Geschäften haben. Edeka und Kaiser’s Tengelmann beantragen kurz darauf eine Ministererlaubnis beim Wirtschaftsministerium.
Die beratende Monopolkommission lehnt die Fusion im August 2015 ab und rät Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel zur Absage. Ohne Erfolg. Im März 2016 genehmigt der SPD-Politiker den Zusammenschluss unter Auflagen wie den Erhalt der Arbeitsplätze. Schlussstrich? Nein, das Tohuwabohu geht erst richtig los.
Richter werfen Minister fehlende Neutralität vor
Der Chef der Monopolkommission, Daniel Zimmer, tritt daraufhin zurück. Und seine Rücktrittserklärung liest sich wie eine schallende Ohrfeige für den Ressortchef: Die Ministererlaubnis „erscheint unter Gemeinwohlgesichtspunkten als die schlechteste aller Lösungen“.
Verbraucher müssten mit weniger Auswahl und höheren Preisen rechnen. Beschäftigungsfördernde Effekte gebe es nicht – im Gegenteil: „Auf lange Sicht ist davon auszugehen, dass die Ministererlaubnis der Beschäftigung schadet.“
Edeka verfüge über das dichteste Filialnetz, Schließungen von alten Geschäften seien jederzeit möglich, von neu erworbenen nach Auslaufen der Jobgarantie. Der Minister habe „eine einstimmig erteilte Empfehlung der Kommission in einem eindeutigen Fall nicht angenommen“, so Zimmer.
Im Juli setzt das Oberlandesgericht Düsseldorf noch einen obendrauf und die Ministererlaubnis außer Kraft. Wieder gibt es schwere Vorwürfe an die
Adresse Gabriels. Es dränge sich der „Eindruck auf, dass der Minister das Verfahren nicht mehr neutral und objektiv, sondern einseitig zugunsten von Edeka und Kaiser’s Tengelmann führt“, urteilen die Richter.
Er habe seine Befugnisse schlicht überschritten. Gabriel bedauert das Urteil, die Vorwürfe der Befangenheit seien „absurd“, ihm ginge es um den Schutz der Arbeitnehmer. Die Jobs sind das zentrale Argument in der Diskussion.
15.000 Angestellte sind bei der Kette beschäftigt, die seit Jahren defizitär sein soll. Mehrfach droht Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub in dem langwierigen Verkaufsprozess mit einer Zerschlagung. Tausende Entlassungen könnten die Folge sein, wird stets suggeriert. Ob das stimmt?
Plötzlich können Supermärkte doch aufgeteilt werden
Es bleibt offen, denn dazu kommt es nicht. Im Herbst werden die Klagen zurückgezogen. In einer Schlichtung unter Alt-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) finden die verfeindeten Vorstandschefs Markus Mosa (Edeka) und Alain Caparros (Rewe) eine Lösung. Plötzlich ist beim Supermarkt-Monopoly doch eine Aufteilung möglich, die bisher stets abgelehnt wurde.
Rewe erhält 62 von noch verbliebenen rund 400 Kaiser’s-Tengelmann-Geschäften in Berlin, Edeka den Rest, viele davon in Bayern und Nordrhein-Westfalen. In der besinnlichen Adventszeit besinnen sich die Protagonisten. Die anscheinend unendliche Geschichte findet doch ein Ende.
Dem Schluss zu neigt sich für das Bankhaus Berenberg eine Affäre, bei der ein kleines mittelamerikanisches Land im Mittelpunkt steht. Statt „Oh, wie schön ist Panama“ schreiben die Medien im Frühjahr von „Oh, wie schlimm ist Panama“.
Und mittendrin stecke das 1590 in Hamburg gegründete Geldhaus, so der Vorwurf der „Panama Papers“. Mithilfe von Offshore-Konten soll das Institut Reichen geholfen haben, in dem Land Briefkastenfirmen zu gründen.
So können Prominente, Sportler und Politiker Geld dort parken, um es zu waschen oder vor den Finanzbehörden zu verstecken. Auch zwielichtige Personen sollen darunter gewesen sein, die in Drogen- oder Waffengeschäfte verstrickt seien, berichten NDR und ZDF. Man habe sich stets an die gesetzlichen Bestimmungen gehalten, kontert die Bank. Anfang Dezember werden die Ermittlungen wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung weitgehend eingestellt. Nur bei der Schweizer Tochter schwebt das Verfahren noch. Eine Einstellung sei wahrscheinlich, heißt es, allerdings gegen Zahlung einer Geldbuße.
Büßen muss auch die Gamesbranche. Jahrelang geht es für die Entwickler von Internetspielen nach oben. Nun gibt es harte Einschnitte. Das einstige Schwergewicht Bigpoint wird nach einem Schrumpfkurs zu einem Bruchteil seines einstigen Werts von Chinesen gekauft.
Schlechte Stimmung auch bei Lufthansa Technik
Goodgame macht erst Schlagzeilen mit der Kündigung von Dutzenden Mitarbeitern, die einen Betriebsrat gründen wollen. Später entlässt das Studio Hunderte, weil es sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren will. Die Hamburger laufen neuen Trends hinterher. Das Freibier, mit dem einst neben einem Swimmingpool gelockt wurde, wird für viele Beschäftigte zum Frustbier.
Schlechte Stimmung herrscht auch bei Lufthansa Technik. Die Triebwerksüberholung wird in Groß Borstel perspektivisch von 1800 auf 1100 Beschäftigte heruntergefahren. Für die Flugzeugüberholung mit 400 Mitarbeitern sieht das Unternehmen nach sechs Jahrzehnten gar keine Perspektive mehr.
Die Löhne seien im internationalen Maßstab zu hoch, die Wettbewerbsfähigkeit gehe verloren. Zum Abschluss gastiert immerhin das größte Passagierflugzeug der Welt auf dem Werksgelände: Von der Lufthansa müssen noch drei A380 überholt werden.
Bei dessen Hersteller Airbus platzen die Hoffnungen auf einen Großauftrag für den bis zu 853 Passagiere fassenden Jet. Der Iran beabsichtigt Anfang des Jahres insgesamt 120 Maschinen zu kaufen, darunter zwölf A380.
Im final ausgehandelten Kaufvertrag mit 100 Maschinen fehlt der Riese der Lüfte aber, der immer mehr zum Ladenhüter wird. Zwei Glanzpunkte setzt das Unternehmen dennoch: Im Januar wird – mit einiger Verzögerung – der erste A320neo übergeben, im Oktober das 10.000. Flugzeug des Konzerns. Grund zum Feiern gibt es auch am Flughafen. In diesem Jahr soll mit mehr als 16 Millionen Passagieren der dritte Rekord in Folge erzielt werden.
Von Bestmarken ist der maritime Sektor weit entfernt. Was die Branche betreibt, sieht eher nach Schiffe versenken aus. Seit acht Jahren tobt unter den Reedereien ein ruinöser Preiskampf. In der Krise werden immer größere Schiffe geordert.
Es gibt massive Überkapazitäten, die durch die Verschrottung älterer Schiffe abgebaut werden müssten. Die sogenannten Frachtraten sinken immer weiter. Mit Hanjin rutscht die siebtgrößte Reederei in die Pleite, die Flotte irrt Tage und Wochen auf See herum, bevor sie nach und nach die Erlaubnis bekommt, Häfen anzulaufen. Die Branche muss sich konsolidieren. Die großen chinesischen Anbieter schließen sich ebenso untereinander zusammen wie die japanischen – das galt jahrzehntelang als unmöglich.
Stadt und Kühne verlieren bei Hapag-Lloyd an Einfluss
Eine neue Chance für eine Hamburger Lösung? Nein, zu spät. Schließlich hatte Hapag-Lloyd Ende 2014 schon mit der chilenischen Compañía Sudamericana de Vapores (CSAV) fusioniert, die genau wie Hamburg Süd im Europa–Lateinamerika-Verkehr stark aufgestellt ist.
Der Merger ist gerade verdaut, da steigt schon der nächste Partner ins Boot: die von arabischen Staatsfonds getragene United Arab Shipping Company (UASC). Die Anteile der Stadt und von Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne verwässern sich auf zusammen nur noch 29,6 Prozent, Chilenen und Araber sind mit 47,1 Prozent beteiligt.
Aber: Mit dem Zusammenschluss gewinnt das Traditionsunternehmen vom Ballindamm an Größe – im doppelten Sinn. Unter den größten Reedereien der Welt rückt man von Platz sechs auf fünf vor. Und man erhält Zugriff auf die größte Schiffsklasse, die Kostenvorteile und damit Wettbewerbsvorteile bringen soll. Während Hapag-Lloyd nur 14.000 Container fassende Frachter betreibt, fährt UASC bereits 18.800er und hat weitere Großfrachter bestellt.
Hamburg Süd verliert seine Eigenständigkeit
Ob diese Containerriesen jemals einigermaßen voll beladen in den Hamburger Hafen fahren können, ist nach wie vor offen. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt zwar in dieser Vorweihnachtswoche intensiv über die Elbvertiefung, eine Entscheidung fällt aber erst am 9. Februar 2017.
Ihr Urteil über ihre Schifffahrtsbeteiligung hat die Familie Oetker hingegen schon getroffen. Anfang Dezember verkündet der Bielefelder Tiefkühlpizza-Konzern den Verkauf von Hamburg Süd. So manchen Mitarbeiter dürfte das schockgefrostet haben.
4,4 Milliarden Euro zahlt Branchenprimus Maersk für das 1871 gegründete Unternehmen. Die gute Nachricht: Der Name Hamburg Süd soll erhalten bleiben. Die schlechte: Doppelstrukturen sollen abgebaut werden. Das Streichen von Jobs in der Zentrale an der Willy-Brandt-Straße dürfte die Folge sein.
Was für ein Jahr für Hamburgs Schifffahrt! Es sieht so aus, als ob die maritime Branche im Schaufenster des Schlussverkaufs steht. Bei Hapag-Lloyd haben nun Araber und Chilenen mehr zu sagen als die Stadt und Kühne. Hamburg Süd verliert seine Eigenständigkeit. Und Blohm+Voss wird aus Bremen gelenkt – ob die Touristen bei Hafenrundfahrt und Landungsbrücken-Trip das alles mitbekommen haben?