Hamburg. Keiner will schuld sein am Scheitern der Rettungsgespräche. Noch eine Chance? Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Konflikt.

Für knapp zwei Wochen war bei den fast 16.000 Beschäftigten von Kaiser’s Tengelmann noch einmal Hoffnung aufgekommen. Mit der Gewerkschaft Ver.di als Vermittler hatten sich Tengelmann-Eigentümer Karl-Eri­van Haub, Edeka-Chef Markus Mosa und Rewe-Chef Alain Caparros bereit erklärt, bis zum 17. Oktober einen letzten Versuch zu unternehmen, eine Lösung für die verlustträchtige Supermarktkette zu finden.

Doch schon vier Tage vor Ablauf der Frist sind die Verhandlungen gescheitert (das Abendblatt berichtete). Jetzt schieben sich die Beteiligten gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Rewe sei gar nicht wirklich an einer Lösung interessiert gewesen, hieß es von der Edeka-Zentrale in Hamburg.

Kommentar: Gescheiterter Deal ist gut für die Kunden!

Wenige Stunden zuvor hatte der Rewe-Vorstandsvorsitzende Caparros den Verhandlungspartnern Haub und Mosa vorgeworfen, sie hätten sich „auf Kosten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kaiser’s Tengelmann verspekuliert“ und die große Chance vertan, deren Arbeitsplätze zu sichern. Haub hingegen teilte mit, die von Rewe favorisierte Lösung einer Aufteilung von Kaiser’s Tengelmann hätte keine rechtliche Sicherheit geboten.

Unter den Mitarbeitern der Supermarktkette herrsche eine „maßlose Enttäuschung und Verärgerung“, sagte der Kaiser’s-Tengelmann-Betriebsratsvorsitzende der Region Nordrhein, Rainer Schroers. Die Gewerkschaft Ver.di hofft unterdessen auf eine Rückkehr an den Verhandlungstisch. „Wir gehen noch nicht davon aus, dass die Gespräche zu Ende sind“, sagte eine Ver.di-Sprecherin am Freitag in Berlin. Derzeit liefen noch Kontakte zwischen der Gewerkschaft und den Beteiligten.

Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Konflikt:

Welche Position haben die Beteiligten auf dem deutschen Markt?

Kaiser’s Tengelmann war im Jahr 2015 die Nummer 13 im deutschen Lebensmitteleinzelhandel, der Umsatz lag bei knapp 1,9 Milliarden Euro. Ende vergangenen Jahres gehörten zu der Kette 446 Märkte, davon je ungefähr ein Drittel in Berlin, in Bayern und in Nordrhein-Westfalen. Edeka ist mit rund 11.400 Filialen und einem Umsatz von 48,4 Milliarden Euro – einschließlich des Discounters Netto – klar die Nummer eins. Auf dem zweiten Rang folgt Rewe: In Deutschland erzielte der Kölner Konzern mit rund 10.100 Märkten (einschließlich Penny) einen Umsatz von 28,6 Milliarden Euro.

Wie ist es zu dem Ringen um Kaiser’s Tengelmann gekommen?

Im Oktober 2014 beschloss die Mülheimer Unternehmensgruppe Tengelmann den Ausstieg aus dem Supermarktgeschäft. Dieses sei „seit Jahren defizitär“ und außerdem „zu klein, um weiterhin im Markt eine Chance zu haben“. Als Käufer wurde der Hamburger Edeka-Verbund präsentiert. Doch im März 2015 untersagte das Bundeskartellamt die Übernahme. Ausführlich wird in dem 345 Seiten langen Beschluss des Amts dargelegt, dass ein Ausscheiden von Kaisers’s Tengelmann als unabhängiges Einzelhandelsunternehmen in etlichen Regionen und Großstadtbezirken „zu einer erheblichen Behinderung effektiven Wettbewerbs“ führen würde.

Trotz des eindeutigen Urteils erteilte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) im März 2016 eine sogenannte Ministererlaubnis. Dennoch wurde damit der Weg für den Kauf von Kaisers’s Tengelmann durch Edeka nicht frei, weil das Oberlandesgericht Düsseldorf auf Antrag von Rewe, dem Einkaufsverbund Markant und dem Discounter Norma ein Vollzugsverbot der Ministererlaubnis aussprach. Diese sei „rechtswidrig“.

Welche Möglichkeiten für eine Lösung waren zuletzt im Gespräch?

Nach eigenen Angaben ist Rewe bereit, „Kaiser’s Tengelmann als Ganzes zu übernehmen“. Man schätze die kartellrechtlichen Risiken einer solchen Transaktion als „weitaus geringer“ ein als bei Edeka als Erwerber: „Im Gegensatz zu einer Übernahme durch Edeka wäre die Umsetzung unseres Angebots förderlich für den Wettbewerb.“ Zudem bot Rewe an, bis zu einem Abschluss des Geschäfts die Verluste von Kaiser’s Tengelmann zu tragen. Die zweite Variante, die zuletzt noch im Gespräch war, ist eine Aufteilung der defizitären Tengelmann-Supermarkttochter, wobei in bestimmten Regionen Edeka und in anderen Rewe zum Zuge käme. Voraussetzung für jede der Lösungsvarianten wäre aber, dass Rewe, Markant und Norma ihre Klagen gegen die Ministererlaubnis zurückziehen.

Wer trägt die Schuld am Scheitern der jüngsten Verhandlungen?

Im Hinblick auf die Schuldfrage wird die Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten mit scharfen Formulierungen geführt. Die erneute Übernahmeofferte von Rewe für Kaiser’s Tengelmann sei „unseriös wie alle bisherigen Angebote von Rewe“, sagte eine Tengelmann-Sprecherin. Eine Aufteilung der Filialen hingegen hätte ein komplett neues Fusionskontrollverfahren zur Folge, erklärte Haub. Dies erfordere mindestens sechs weitere Monate – „Zeit, die das Unternehmen Kaiser’s Tengelmann nicht mehr durchstehen kann“. Für dieses Jahr wird mit Verlusten von 90 Millionen Euro gerechnet. Rewe-Chef Caparros zeigte sich am Freitag überzeugt, Edeka und Tengelmann seien fest entschlossen, in Kürze den Kaufvertrag aufzulösen, „damit Herr Haub Kaiser’s Tengelmann in für ihn wirtschaftlich optimaler Weise in Paketen veräußern kann“. Edeka habe in den Verkaufs­verhandlungen stets nach der Devise „entweder alles oder nichts“ agiert.

Ein Sprecher von Edeka-Chef Mosa wies dies umgehend zurück: „Wir haben angeboten, dass Rewe größere Teile von Kaiser’s Tengelmann übernehmen kann.“ Offenbar sei Rewe dazu aber „entgegen allen öffentlichen Verlaut­barungen“ nicht zu den gleichen Bedingungen wie Edeka bereit: „Anders ist es auch nicht zu erklären, dass Rewe mehrfach vereinbarte Termine platzen ließ.“

Wie geht es jetzt weiter?

Während Tengelmann-Chef Haub zuvor angekündigt hatte, mit der Zerschlagung der Supermarkttochter bereits in der kommenden Woche beginnen zu wollen, erklärte er am Freitag, es gebe noch „ein kleines Zeitfenster“ für die Rücknahme der Einsprüche. Dann müsse man mit dem Einzelverkauf der Märkte beginnen. „Leider müssen wir davon ausgehen, dass für zahlreiche Filialen kein Supermarktbetreiber gefunden werden kann“, so Haub. Deshalb stehe eine große Zahl von Mitarbeitern vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze.

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