Hamburg. Nach dem Verhandlungsmarathon beim Bundesverwaltungsgericht bleiben offene Fragen. Worüber die Richter jetzt entscheiden müssen.

Das Gerichtsverfahren zur Elbvertiefung hat lange gedauert. Vier Jahre lang wurden juristische Schriftsätze ausgetauscht, Gutachten erstellt und Anträge formuliert. An insgesamt acht Tagen wurde mündlich vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelt – zuletzt Anfang dieser Woche. Der Worte sind genug gewechselt. Am 9. Februar werden die Richter in Leipzig entscheiden, ob die Stadt und der Bund die Elbe ausbaggern dürfen. Das Abendblatt dokumentiert die vier kritischen Punkte, an denen die Erlaubnis scheitern könnte.

Leitartikel: Hamburgs schwacher Auftritt

Rätselraten um Ausgleichsflächen

An erster Stelle stehen die sogenannten Kohärenzmaßnahmen. Das europäische Naturschutzrecht verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, aus dem Flickenteppich von Schutzgebieten größere naturschützende Räume zu schaffen – beispielsweise, damit Tiere auch wandern können. Im föderalen deutschen System ist es Aufgabe der Länder, solche Schutzräume auszuweisen. Hamburg hat darüber hinaus die Aufgabe, zusätzliche Naturschutzflächen als Ausgleich für den Eingriff in die Natur durch die Elbvertiefung zu schaffen.

Das Gericht hat den Planern der Elbvertiefung nun vorgeworfen, dass aus ihren Anträgen nicht ersichtlich ist, welche Maßnahmen im Sinne der Kohärenz ohnehin ergriffen werden, und welche zusätzlich die Baggerarbeiten in der Elbe ausgleichen sollen. Es kann sein, dass die Richter Nachbesserungen fordern. Hamburg leidet darunter, dass Niedersachsen erst 2018 seine Schutzgebiete bekannt geben will. Deshalb ist nicht klar, welche Schutzmaßnahmen hier zusätzlich und welche Standard sind.

Schummelei bei Naturflächen?

Die Umweltverbände werfen Hamburg und dem Bund vor, sie würden die Größe der Vorkommensgebiete des bedrohten Schierlings-Wasserfenchels übertreiben, um ihn als weniger stark gefährdet darzustellen. Überzeugend war der Vortrag des Behördenexperten dazu nicht. Weil im Uferröhricht nicht alle Bereiche zugänglich seien, habe er teils schätzen müssen, sagte er. Als Beleg zeigte er ein Bild – auf dem aber nur ein Deich und ein Schaf zu sehen waren.

Zweifelhaftes Strombaukonzept

Dritter Punkt sind die Auswirkungen der Fahrrinnenausbaggerung auf Strömung und Tidenhub der Elbe, also die Differenz zwischen Hoch- und Niedrigwasser. Beides beeinflusst maßgeblich die Erosion und Ablagerung von Sedimenten (Schlick). Es ist unstrittig, dass eine weitere Elbvertiefung zu einer größeren Fließgeschwindigkeit und zu einem größeren Tidenhub führen wird.

Um diese Auswirkungen abzumildern, sehen die Pläne von Hamburg und dem Bund ein „intelligentes Strombaukonzept“ vor. Dabei soll das Baggergut, dass bei der Elbvertiefung anfällt, zu zwei Unterwasser-Ablagerungsflächen in der Außenelbe gebracht werden. Diese zwei Hindernisse unter Wasser sollen die Kräfte des ein- und ausströmenden Wassers im Mündungsgebiet dämpfen.

Hamburg und der Bund haben dazu im Gerichtsverfahren eine Modellrechnung der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) präsentiert, der zufolge sich der Unterschied zwischen Flut und Ebbe durch die Elbvertiefung nur um sechs Zentimeter an der Pegelmessstelle St. Pauli erhöhen wird. Die klagenden Umweltschutzverbände präsentierten bei der mündlichen Gerichtsverhandlung nun aber ein Gegengutachten, wonach sich die Wirkung der Strömungsbremse schnell abschwächen und der Tidenhub am Pegel St. Pauli insgesamt um 15 Zentimeter wachsen wird. Damit wären die Umweltauswirkungen also um mehr als das Doppelte größer als angegeben. Die Richter müssen nun entscheiden, ob sie der Modellrechnung der BAW trauen. Zumal die Anstalt bei ihrem Modell zur Vereinfachung von einer festen Gewässersohle am Elbgrund ausgeht, die sich nicht durch Strömungen verändert.

Verschlechterung der Wasserqualität

Vierter kritischer Punkt im Verfahren ist das europäische Wasserrecht. Die EU hat dazu eine Richtlinie erlassen, die im Kern Maßnahmen verbietet, die zu einer Verschlechterung des Wasserzustands führen. Mehr noch: Die Richtlinie fordert insgesamt eine Verbesserung der Wasserqualität. Die Maßgabe dieser Bestimmung hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) kürzlich präzisiert. Und wieder bringt das föderale System die Befürworter der Elbvertiefung in Schwierigkeiten. Da das EuGH-Urteil relativ frisch ist, sind noch nicht alle Ausführungsbestimmungen zu Baumaßnahmen im Wasser damit synchronisiert. Die Bundesländer streiten noch um eine gemeinsame Linie. Doch kann die Elbvertiefung auf Bestimmungen fußen, von denen man weiß, dass sie bald schon überholt sind?

Auch das Strombaukonzept könnte sich auf die Wasserqualität auswirken. Zur Herstellung der Strömungsbremsen in der Außenelbe wird auch Baggergut benötigt, das mit Schadstoffen belastet ist. Das Gericht möchte aber sichergestellt wissen, dass der belastete Schlick bei der Umlagerung nicht im Fluss verwirbelt wird. Hamburg und der Bund wollen deshalb unter Wasser einen fünf Meter hohen Damm bauen und dahinter auf einer Höhe von einem Meter verunreinigten Schlick versenken. Der Rest soll mit unbelastetem Sediment aufgefüllt werden. Diese Maßnahme soll innerhalb von drei Monaten abgeschlossen sein. Die Richter müssen jetzt entscheiden, ob sie diesem Konzept trauen.

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