Leipzig. Bundesverwaltungsgericht hakt bei Geschwindigkeitskontrollen für Schiffe, dem Brutplatz Holzhafen und einem Gutachten nach.

Einige Demonstranten recken ihre Fahnen in den trüben Leipziger Himmel. „Elbvertiefung macht Angst im Alten Land“, steht auf den Bannern, welche die Hand voll Protestler mit sich trägt. Sie haben Körbe mit Äpfeln vor dem Bundesverwaltungsgericht abgestellt, als Mahnmal für die Menschen, die an diesem Morgen in das höchste deutsche Verwaltungsgericht eilen. Dort wird abschließend über Hamburgs wichtigstes Infrastrukturprojekt verhandelt: Die Elbvertiefung. Die Umweltverbände BUND und Nabu wollen sie verhindern und haben den Bund und die Stadt Hamburg, die das Projekt durchführen wollen, verklagt.

Ein wahrer Verhandlungsmarathon in Leipzig

Nach zehn Jahren Planung und vier Jahren Rechtsstreit unter der Beteiligung etlicher Behörden sowie der Europäischen Kommission und des Europäischen Gerichtshofs soll nun ein Urteil gefällt werden. Vorher müssen die Kontrahenten die abschließende mündliche Verhandlung vor dem 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts absolvieren – ein wahrer Verhandlungsmarathon, drei Tage hintereinander jeweils bis 18 Uhr, wie der Vorsitzende Richter Rüdiger Nolte gleich am Anfang der Sitzung verkündet. „Nicht einmal die drei Tage werden ausreichen, die ganzen Planänderungen abschließend zu bewerten“, fügt er hinzu, und verpasst den Hoffnungen des einen oder anderen darauf, dass das Urteil noch vor Weihnachten fallen könnte einen Dämpfer.

Stadt und Bund hatten Überwachungssystem versprochen

Einen weiteren Dämpfer gibt es für die Beklagten schon gleich beim zweiten Verhandlungspunkt: Die Richter werfen der Stadt und dem Bund vor, ihre Hausaufgaben nicht ordentlich gemacht zu haben. Diese hätten nämlich längst ein Überwachungssystem für ein Tempolimit auf der Elbe vorlegen sollen. Weil die großen Containerschiffe, für die die Elbe um rund einen Meter auf 14,50 Meter bei Hochwasser ausgebaggert werden soll, bei ihrer Revierfahrt besonders viel Wasser verdrängen, haben die Umweltschützer die Sorge, dass schützenswerte Pflanzen und Brutvögel am Ufer von hohen Schiffswellen weggespült werden könnten. Die Stadt und der Bund wollen deshalb ein Tempolimit auf der Elbe für Schiffe ab einer Länge von 90 Metern einführen.

Bisher gibt es so etwas nicht. Den Kapitänen wird nur auferlegt, so langsam zu fahren, dass sie das Schiff beherrschen und niemanden anderen gefährden. Künftig soll das Tempolimit bei 15 Knoten auf der Höhe von Cuxhaven liegen und sich nach und nach auf zehn Knoten bei der Einfahrt im Hamburger Hafen reduzieren.

Damit das Tempolimit eingehalten wird, hatten die Leipziger Richter bereits bei der ersten mündlichen Verhandlung vor zweieinhalb Jahren gefordert, dass es ein Überwachungssystem geben muss. Die Stadt und der Bund versprachen, sich darum zu kümmern.

Beklagte wirken schlecht vorbereitet

„Wir waren etwas überrascht, dass das immer noch nicht geklärt ist, nachdem nun ja eine doch beträchtliche Zeit verstrichen ist“, sagt Nolte. „Für das Gericht versteht es sich von selbst, dass das Überwachungssystem vorliegen muss, wenn das Vorhaben genehmigt werden sollte.“ Die Anwälte der Stadt beeilen sich zu sagen, dass die Tempoüberwachung fertig sei und zur Verfügung stehe, wenn die Geschwindigkeitsbeschränkung eingeführt wird.

Und auch beim dritten Verhandlungspunkt wirken die Beklagten für die Beobachter im Gerichtssaal zunächst nicht gut vorbereitet. Dabei geht es um den Rastplatz für die Löffelente im alten Holzhafen in Billwerder – einem europäischen Vogelschutzgebiet. Die Richter wollen wissen, ob sich dort durch die Elbvertiefung mehr Schlick ablagert. Ein Vertreter der Stadt erklärt: „Es wird keine zunehmende Sedimentation geben.“ Mit diesem Satz läuft er den Elbvertiefungsgegnern ins offene Messer.

Denn die Kläger ziehen eine Karte der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW), also einer öffentlichen Behörde, aus der Tasche, wonach es sehr wohl größere Schlickmengen im Holzhafen gibt. Wortreich muss ein Vertreter des Bundes erklären, dass es sich um eine Momentaufnahme für einen kleinen Teilbereich handele, es gebe aber viele Schaubilder, die das Gegenteil zeigten. „Verstehe ich Sie richtig, dass man sich nur die richtigen Bilder anschauen muss, um zu sehen, ob es zu einer Sedimentation kommt?“, fragt eine Richterin pikiert. „Wir werden uns die Bilder anschauen und auf das Thema gegebenenfalls zurückkommen“, so Nolte.

Umweltverbände präsentieren ein neues Gutachten

Auch nach einer Mittagspause läuft es für die Beklagten nicht besser: Die Umweltverbände präsentieren ein neues Gutachten, das das gesamte Strombaukonzept für die Elbvertiefung infrage stellt. Und es verfehlt seine Wirkung nicht: Die Richter haben plötzlich Zweifel an dem Berechnungsmodell, das die Bundesbehörden für die Elbvertiefung erstellt haben. Im Kern geht es darum, dass das Baggergut dazu genutzt werden soll, im Mündungsgebiet unter Wasser neue Ablagerungsflächen zu schaffen. Diese sollen als Bremse auf den Elbstrom wirken und negative Strömungsfolgen der Elbvertiefung wie Ufererosion abmildern. Weil so etwas noch nicht gemacht wurde, hat die Bundesanstalt für Wasserbau ein Modell entwickelt, das den positiven Einfluss dieser Sandlinsen im Wasser aufzeigt.

Professor Ulrich Zanke bezweifelt die Seriosität dieses Berechnungsmodells; er hat ein eigenes vorgestellt, wonach sich der Effekt der Strombremse rasch abschwächen wird. „Die Wirkung auf den Tidenhub nimmt mit der Zeit ab. Das ist von der BAW nicht ausreichend geprüft worden“, sagt er. Das Gericht reagiert darauf ratlos und unterbricht die Sitzung. Zwar versuchen die Vertreter der Stadt in der Sitzungspause Ruhe auszustrahlen, sie erkennen aber doch, dass das Verfahren hier in Gefahr gerät. Sie müssen nun eine Nachtschicht einlegen, um ihr Modell so lückenlos abzusichern, dass das Gericht es akzeptiert. „Wir haben ein paar Fragen an die Stadt und den Bund, die wir bis morgen geklärt haben wollen“, sagt Richter Nolte.