Hamburg. „Fördern & Wohnen“-Chef Rembert Vaerst über die Unterbringung von Asylbewerbern, die Großsiedlung in Billwerder und seinen Abschied.

Ende dieses Jahres geht bei dem städtischen Unternehmen „Fördern & Wohnen“ eine Ära zu Ende: Geschäftsführer Rembert Vaerst gibt aus Altersgründen sein Amt auf. Zum Abschied sprach das Abendblatt mit ihm.

Hätten Sie gern noch weitergemacht?

Rembert Vaerst: Ich habe vor zwei Jahren zusammen mit meiner Frau entschieden, dass ich jetzt aufhöre. Ich bleibe bei meinem Wort.

Vor zwei Jahren gab es aber die Flüchtlingskrise noch nicht.

Vaerst: Natürlich ist die Flüchtlingskrise eine besondere Situation. Dass man dann noch einmal nachdenkt, ob es richtig ist, das Schiff zu verlassen, ist normal. Aber wie gesagt: Ich stehe meiner Familie gegenüber im Wort, dass ich mit Erreichen der Altersgrenze aufhöre.

Nach den Mühen der Berge liegen vor der Gesellschaft jetzt die Mühen der Ebene, sprich: Die Integration der vielen Flüchtlinge fängt erst an. Wie gut ist „Fördern & Wohnen“ aufgestellt?

Vaerst: Wir haben das Thema Unterbringung von Flüchtlingen dahingehend gelöst, dass niemand, der nach Hamburg kommt, unter freiem Himmel schlafen muss. Jetzt geht es darum, „Fördern & Wohnen“ organisatorisch auf die veränderte Lage einzustellen. Die Zahl unserer Mitarbeiter ist massiv gestiegen, das Unternehmen ist größer geworden. In den vergangenen Monaten haben wir viel improvisiert.

Rembert Vaerst menschlich gesehen

Wie wollen Sie die Integration meistern?

Vaerst: Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie hat zwar viel mit „Fördern & Wohnen“ zu tun, weil die Flüchtlinge hier wohnen und jeder, der sich einbringen will, bei uns landet. Wir stellen den sozialen Frieden mit der Nachbarschaft sicher, beraten Flüchtlinge oder sorgen für Kitabetreuung. Die Begleitung von Flüchtlingen zu Ärzten oder auf die Ämter erfolgt oft durch ehrenamtliche Mitarbeiter. Unsere Hauptaufgabe ist Integration nicht.

Ehrenamtliche Mitarbeiter haben wiederholt die Zusammenarbeit mit „Fördern & Wohnen“ kritisiert.

Vaerst: Die Rolle der ehrenamtlichen Mitarbeiter hat sich in den vergangenen Monaten stark verändert. Früher gab es eine gewisse­ Unverbindlichkeit – hier ein Frühstücksangebot, dort die Organisation eines Sommerfestes, da die Unterstützung von Kindern bei ihren Haus­aufgaben. Heute haben wir an vielen Standorten sehr stabile Strukturen mit einem verlässlichen Angebot. Das führte dazu, dass die Ehrenamtlichen stärker als früher bei der Organisation der Flüchtlingsbetreuung mitreden wollen. Für uns bedeutet das eine Herausforderung.

In den Expresswohnungen sollen die Flüchtlinge allerdings viele Jahre leben – wenn weitere Kapazitäten in den Quartieren frei sind, werden sich dort auch eher sozial Schwache ansiedeln. Das Risiko sind abgehängte Quartiere.

Vaerst: Die Aufgabe ist in der Tat sehr groß. Entscheidend wird gesamtgesellschaftlich sein, die Flüchtlinge zügig zu Verdienern auf dem Arbeitsmarkt mit guten Deutschkenntnissen zu machen. Alle Maßnahmen müssen Hand in Hand gehen, damit die Siedlungen die Stadtteile bereichern.

Gilt das auch für Quartiere wie jenes am Mittleren Landweg mit bis zu 2500 Flüchtlingen?

Vaerst: Sicher ist die Siedlung am Mittleren Landweg eine besondere Herausforderung. Wir bereiten uns darauf seit Längerem vor und haben einen genauen Plan ausgearbeitet, wie wir die Wohnungen belegen. Zudem haben wir intensiv mit den Verantwortlichen im Bezirk und der Nachbarschaft gesprochen. Ich bin optimistisch, dass wir es am Mittleren Landweg gut hinbekommen werden.

Würden mehr Sozialarbeiter helfen?

Vaerst: Das würde nichts bringen. Wir setzen darauf, Wohnungen mit Flüchtlingen zu belegen, die bereits in Unterkünften in der Nachbarschaft lebten, eine gute Bleibeperspektive und eine gute Sozialprognose haben. Wir sind uns sicher: Wenn Flüchtlinge in guten Wohnungen leben, wird auch ihre Integration gelingen.

Auch am Mittleren Landweg gab es Protest von den Nachbarn. Warum sollte sich das ändern, wenn in die Siedlung die Flüchtlinge eingezogen sind?

Vaerst: Wir haben an anderen Standorten von Flüchtlingsheimen die Erfahrung gemacht, dass sich die Stimmung beruhigt, wenn der Standort im Betrieb ist. Wenn Menschen sich begegnen und kennenlernen, lösen sich Vorteile oft in Luft auf.

Ist es klug, eine Wohnsiedlung zu betreiben, in der nur Flüchtlinge leben?

Vaerst: Eine Durchmischung der Einwohnerschaft von Anfang an entspricht unseren Belegungsprinzipien. Wir haben zum Beispiel gute Erfahrungen damit gemacht, wenn wir in unseren Flüchtlingsunterkünften junge, allein reisende Männer zusammen mit Familien untergebracht haben.

„Fördern & Wohnen“ darf jetzt eigene Wohngebäude für Flüchtlinge errichten. Was können Sie besser als die Saga?

Vaerst: Wir führen seit vielen Jahren die Diskussion mit der Saga, warum nicht mehr Wohnungen für vordringlich Wohnungssuchende wie Obdachlose zur Verfügung gestellt werden. Diese Menschen benötigen nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch eine besondere Begleitung durch Sozialarbeiter. Wir bauen jetzt am Poppenbütteler Berg auch Wohnungen, in die neben den Flüchtlingen solche Wohnungssuchenden einziehen können. Wir schließen damit eine Lücke.

Ende 2019 soll es nur noch Flüchtlingsheime mit maximal 300 Bewohnern geben. Bekommen Sie das hin?

Vaerst: Das hängt davon ab, wie viele Flüchtlinge in den kommenden Jahren nach Deutschland kommen. Voraussetzung ist ferner, dass wir an vielen anderen Orten, an denen jetzt neue Flüchtlingsunterkünfte errichtet werden sollen, das Planrecht geschaffen wird. Natürlich gibt es Unsicherheit darüber, ob die Nachbarschaft da mitmacht.

Expresswohnungen wurden nicht fertiggestellt wie geplant. Was hat das für Folgen?

Vaerst: Es dauert erfahrungsgemäß einige Zeit, bis sich das Zusammenleben arrangiert hat. Die Zeitspanne von der Belegung bis Ende 2019 wird zum Teil recht knapp sein, bei der Frist handelt es sich um eine Richtlinie für alle Standorte. Wir hoffen auf Verständnis, wenn die Unterkünfte noch etwas länger mit etwas größerer Kapazität betrieben werden müssen. Aber an einer Reihe von bestehenden Standorten wird die Zahl der Bewohner schon deutlich gesunken sein.

Derzeit leben 6000 Flüchtlinge in einer Erstaufnahmeeinrichtung, obwohl sie einen gesetzlichen Anspruch auf Unterbringung in einer Folgeeinrichtung haben. Wann wird dieses Problem gelöst sein?

Vaerst: Im Moment gehen wir davon aus, dass wir spätestens Ende kommenden Jahres alle prekären Flüchtlingsunterkünfte schließen können. Voraussetzung ist, dass bis dahin entsprechend viele Expresswohnungen fertig werden. Bei der Erstaufnahme reichen bei jetzigen Zugangszahlen ca. 2500 Plätze.

Die Expresswohnungen sollen rasch in die normale Vermietung übergeführt werden. Bislang sind sie für 15 Jahre an „Fördern & Wohnen“ vergeben. Wie groß sind die Chancen einer früheren Vermietung?

Vaerst: Wir hoffen, dass Flüchtlinge, die sich hier ein Leben aufbauen, bei der Vermietung von Wohnungen berücksichtigt werden. Dann können wir an anderer Stelle Flüchtlingsunterkünfte früher als geplant an die Bauherren zurückgeben. Nach einer Sanierung wäre dann eine Vermietung und damit eine Mischung des Quartiers möglich.