Hamburg. Einen besonderen Luxus bot die Reederei Hapag ihren Arbeitern. Hygienestandard 1912 in den damals hochmodernen Siedlungen.
Es sieht aus wie ein altes Einfamilienhaus, das schon bessere Tage gesehen hat. Und man könnte meinen, es stand hier einmal in einem Garten mit viel Platz drumherum, bis es irgendwann von der Stadt eingeholt, ja geradezu umzingelt worden ist.
Denn das Haus steht in einem Hinterhof, umgeben von Mehrfamilienhäusern und Geschäftsbauten. „Doch es entstand zeitgleich mit den Wohnblöcken, die es umgeben“, weiß Margret Markert. „Und es hat früher nie jemand darin gewohnt.“
Wir befinden uns in Wilhelmsburg, genauer gesagt im Reiherstieg-Viertel. Und bei dem versteckten Gebäude handelt es sich um eines der letzten seiner Art in Hamburg. „Das war ein Badehaus“, sagt Markert, die in der Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg/Hafen arbeitet.
„Es diente den Bewohnern der umliegenden Häuser zum Duschen und Baden, was sie dort gegen eine Gebühr von zehn oder 20 Pfennigen machen konnten.“ Genutzt wurde das Gebäude von Arbeitern der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (Hapag) und ihren Familien, für die die Reederei 1912 die damals hochmodernen Häuser errichtet hatte. Dass die Wohnungen keine Badezimmer hatten, war nicht nur für die ärmeren Bevölkerungsschichten völlig normal.
Es gab sogenannte Volksbäder
Es wird geschätzt, dass nur zwei bis vier Prozent aller Hamburger Wohnungen Anfang des 20. Jahrhunderts über ein Bad verfügten – man darf also getrost von Luxus sprechen. „Gewaschen haben sich die Menschen in der Küche und nutzten eine Waschschüssel“, erzählt Markert.
Wenn kein Badehaus vorhanden war, wurde ein großer Bottich verwendet, der mit Eimern gefüllt werden musste. Außerdem gab es sogenannte Volksbäder (siehe Hamburger Geheimnisse Band 1).
Zwar wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend Wert auf Hygiene gelegt, doch wenn man sieht, dass nicht einmal das Stadtschloss der Hohenzollern in Berlin mit einem Bad ausgestattet war, wird klar, wie wenig Wert selbst in höchsten Kreisen darauf gelegt wurde. Insofern werden die Arbeiter der Hapag, damals die größte Reederei der Welt, sicherlich sehr zufrieden mit ihren neuen Wohnungen gewesen sein, zumal ihnen auch Kleingärten in nächster Nähe zur Verfügung gestellt wurden.
Hapag-Geschichte lässt sich noch erkennen
Die Wohnverhältnisse der Industriearbeiterschaft waren um die Jahrhundertwende meist noch miserabel: „In dunklen, feuchten Gemäuern lebten viele Menschen auf engstem Raum unter unhygienischen Bedingungen zusammen. Diese Situation wurde noch durch die Notwendigkeit vieler Arbeiterfamilien verschlimmert, ihre Existenz durch die Vermietung an einen oder mehrere sogenannte Schlafgänger zu sichern“ (Göbel).
Diese Wohnungsnot stellte einen Teil der „sozialen Frage“ dar, die politisch oder gesellschaftlich gelöst werden musste. Dass Hapag Betriebswohnungen baute, gehörte zur firmeneigenen Sozialpolitik, für die der Hapag-Generaldirektor Albert Ballin (1857–1918) stand. Nicht zuletzt sollten die Arbeiter an die Firma gebunden und diszipliniert werden. Das geschah schon insofern sehr effektiv, weil die Wohnung an den Arbeitsplatz gebunden war: Wer kündigte oder gekündigt wurde, verlor dann auch seine Wohnung.
„Dass die Häuser mal der Hapag gehörten, lässt sich auch heute noch erkennen“, sagt Margret Markert. „An der Fassade und vor allem in den Treppenhäusern sieht man noch viele maritime Elemente, zum Beispiel sehr schöne Kacheln.“ Nur dem Badehaus ist seine Geschichte überhaupt nicht anzusehen. Heute wird es bewohnt. Und an Bädern wird es kaum mangeln ...
So geht’s zum Badehaus: Vom Stübenplatz (Buslinie 13) über die Vering- in die Fährstraße. Dort stehen die Hapag-Häuser gegenüber der Weimarer Straße. Zum Badehaus kommt man über die Dierckstraße, an der Nr. 15 gelangt man in den Hinterhof, wo es neben einem türkischen Supermarkt steht.