Hamburg. Weggefährten erinnern an den verstorbenen Altbürgermeister. Diesmal: der Ex-Handelskammer-Präses Nikolaus W. Schües.

Knapp ein Jahr vor meiner Wahl zum Präses der Handelskammer im Mai 1996 lud mich Bürgermeister Henning Voscherau, der bereits seit vielen Jahren im Amt war, ins „kleine Besprechungszimmer“ im Rathaus ein.

Er führte mich in die großen Zusammenhänge der Hamburger Politik ein. Beim Abschied sagte er: „Es ist ganz wichtig, dass Sie niemals mit der Verkehrspolizei in Konflikt kommen, die Schlagzeile wird fürchterlich.“ Seine ausgestreckte Freundschaftshand habe ich dankbar ergriffen, denn ich bewunderte den brillanten Juristen, den begnadeten Analytiker, den ideenreichen Politiker schon seit vielen Jahren.

Dr. Voscherau war als Bürgermeister stets bemüht, Konsens herbeizuführen anstatt kontrovers entscheiden und sich entsprechend durchsetzen zu müssen. Das hing auch mit seiner Stellung in der SPD und der alten Hamburger Verfassung zusammen, nach der der Präsident des Senats Primus inter Pares im Senat war. Bürgermeister Voscherau hat erfolgreich eine Verfassungsänderung durch die Bürgerschaft gebracht, die dem Ersten Bürgermeister ab 1997 die Richtlinienkompetenz einräumte, alle Nachfolger können dankbar sein. Das Vertrauensverhältnis, das sich auch mit meinem Vorgänger, Präses Dr. Klaus Asche, aufgebaut hatte, übertrug sich auf mich. Die Handelskammer berät durch den Präses gemäß Kammergesetz die Exekutive und liefert als Dienstleister Ideen, die durch unsere Standpunktepapiere begründet werden. Unsere anschließenden Diskussionen waren stets getragen von gegenseitigem Vertrauen.

Der Bürgermeister lud Herrn Vizepräses Dr. Helmut Kruse, damals auch Präsident des Übersee-Clubs, und mich kurzfristig ins Rathaus ein, um uns vor seiner großen Rede am Übersee-Tag am 7. Mai 1997 mitzuteilen, dass er sein Konzept für eine HafenCity verkünden wolle, nachdem er über mehrere Jahre die Grundstücke im damaligen Hafengebiet über den Vorstandsvorsitzenden der HHLA, Herrn Peter Dietrich, hatte aufkaufen lassen. Diese Idee des Oberbaudirektors Professor Egbert Kossak, der ebenfalls vor wenigen Tagen kurz vor seinem 80. Geburtstag gestorben ist, hat Henning Voscherau genial aufgegriffen und umgesetzt, womit Hamburg eine grandiose Zukunftsperspektive erhielt, für die wir alle ewig dankbar sein müssen.

Ich bewunderte seine Sprachbegabung, denn obwohl er nicht , wie bei uns Kaufleuten üblich, einige Jahre im Ausland gearbeitet hatte, sprach er brillant Englisch und Spanisch.

Unsere Freundschaft entwickelte sich im Laufe der Jahre immer enger. Henning Voscherau war schon Gründungsmitglied der Wasserstoff-Gesellschaft Hamburg e.V. von 1989 und hat aktiv dazu beigetragen, dass Hamburg heute als die Wasserstoffhochburg Europas gilt. Alle Senate haben seine Politik für die Reinhaltung unserer Luft durch den Einsatz von Brennstoffzellenbussen fortgeführt. Ab 2020 sollen in Hamburg keine Dieselbusse mehr angeschafft werden.

Wir teilten unsere Sympathie für unsere angelsächsischen Freunde. Herr Dr. Voscherau hat von Anfang an die jährliche „Hamburger Morgensprache“ als völkerverbindenden Brückenschlag nach London unterstützt, eine Verbindung, die auf das Jahr 1265 zurückgeht, als Hamburg mit dem Stalhof eine hanseatische Enklave in London gründete.

Mit Dankbarkeit denke ich an ein „Brainstorming“-Gespräch, zu dem ich Altbundeskanzler Helmut Schmidt und die Altbürgermeister Peter Schulz und Henning Voscherau eingeladen hatte. Von Herrn Dr. Voscherau kam die Anmerkung: „Mach doch was mit China!“ Daraus ist der erfolgreiche „Hamburg Summit: China meets Europe“ geworden, der im November dieses Jahres zum 7. Mal stattfinden wird.

Ausdauer, Fairness und hanseatische Tugenden

Wenn man auf einer Linie funkt, dann ergibt sich ganz von selbst eine immer engere persönliche Freundschaft. Als ich den aktiven Hockeyspieler fragte, ob er nicht Mitglied in unserem Hamburger Golf-Club Falkenstein werden wolle, antwortete er, „das ist zu gefährlich, dann spiele ich nur noch Golf“. Bürgermeister Erhard Rittershaus hat es dann geschafft, dass das Ehepaar Voscherau Mitglied im Golfclub Walddörfer wurde, wo er, bis seine Krankheit ihn zwang zurückzutreten, Präsident war und ein begeisterter und guter Golfer wurde, obwohl er erst im späteren Lebensalter eingestiegen war.

Als Sportler wie als Freund praktizierte er Ausdauer, Fairness und hanseatische Tugenden. Wir haben viel, gern und mit Freude zusammen, meistens gegen unsere Ehefrauen, in Hamburg oder auf Sylt oder auch als Partner im 4-Sterneteller-Turnier, gegen die beiden anderen Clubs Reinbek und Hittfeld gespielt. Wir Ehepaare sind zusammen in den Alpen gewandert, wobei ich in unseren vielen Gedanken und Ansichten seine unglaubliche Begabung, aktuelle Themen zu analysieren, immer wieder bewundern konnte.

Vor zwei Jahren erfüllte der Altbürgermeister meinen Wunsch, im Rathaus die Laudatio auf das im Laeiszhof untergebrachte Puschkin-Institut zu halten. Henning Voscherau gab bei dieser Gelegenheit, vielleicht letztmalig, seine Mahnung zu Protokoll, das Gespräch mit Russland, so schwierig es auch sein mag, niemals abreißen zu lassen.

Seine liebe Ehefrau Annerose haben meine Frau und ich in unser Herz geschlossen, und wir werden dieser wunderbaren Frau, der Henning viel zu verdanken hat, die Treue bewahren.

Die Hamburger haben einen großen Bürgermeister, einen verlässlichen Freund und einen vorbildlichen Hanseaten verloren, dem wir alle sehr dankbar sind und sehr vermissen werden.