Hamburg. Beide waren neun Jahre Bürgermeister. Ole von Beust schreibt einen bemerkenswert persönlichen Nachruf auf Henning Voscherau.

Sie sind beide im Bezirk Wandsbek aufgewachsen, der eine – Henning Voscherau – als Sohn eines Schauspielers in Wellingsbüttel, der andere – Ole von Beust – als Sohn des Bezirksamtsleiters im Duvenstedter Brook. Der eine trat in die SPD ein und wurde Bürgermeister, der andere fand seine politische Heimat in der CDU, wurde erst Oppositionsführer und später ebenfalls Bürgermeister.

Doch die Wege von Henning Voscherau, der in der Nacht zum Mittwoch im Alter von 75 Jahren gestorben ist, und Ole von Beust hatten sich lange vorher gekreuzt. „Ich kannte den Ole schon, als er noch in kurzen Hosen herumlief“, wusste Voscherau zu berichten – freilich zu einer Zeit, als von Beust längst selbst Bürgermeister war und aus den Anekdoten seines Vorgängers einen etwas herabsetzenden Unterton herauszuhören meinte.

Zu Recht? Fest steht, dass „der Ole“ dem 14 Jahre älteren „Henning“ politisch lange auf den Fersen war. 1978 zog von Beust für die CDU in die Bürgerschaft ein – vier Jahre nach Voscherau, der seine Karriere im Gegensatz zu von Beust in der Bezirksversammlung Wandsbek begonnen hatte (und so den Sohn des Bezirksamtsleiters kennenlernte). Fast zehn Jahre saßen sie dann als politische Konkurrenten im Landesparlament, bevor Voscherau 1988 Bürgermeister wurde.

Als von Beust 1993 zum CDU-Fraktionschef aufstieg, richtete sich der Fokus dann endgültig auf die beiden so unterschiedlichen Politiker: hier der distinguierte Hanseat, für manchen in seiner damals noch mehrheitlich linken SPD ein rotes Tuch – dort der lässige und in manchen Fragen sehr liberale Herausforderer, den seine konservative CDU anfangs nur mit Argwohn als Frontmann akzeptiert.

1997 dann das direkte Duell: Die CDU holt mit Spitzenkandidat Ole von Beust respektable 30 Prozent und landet nur gut fünf Prozentpunkte hinter der SPD, die auf Rot-Grün setzt. Voscheraus Schmerzgrenze ist unterschritten – er tritt zurück. 2001 verliert die SPD endgültig die Macht, und mit von Beust wird erstmals nach 44 Jahren ein Christdemokrat Bürgermeister. Andreas Dey

Im Abendblatt schreibt Ole von Beust über seine Erinnerungen an Voscherau

Ich habe Henning Voscherau geschätzt, nicht selten bewundert. Gleichermaßen war ich oft über ihn verwundert oder verärgert.

Bewundert habe ich seine Analyse-und Strategiefähigkeiten. Alles hatte Sinn, nichts war zufällig, alles geplant. Und er war der perfekte Repräsentant der Stadt. Geschätzt habe ich seine Detailkenntnis und seine Liebe zu Hamburg, gepaart mit unglaublicher Geschichtskenntnis über unsere Stadt.

Verwundert hat mich, dass er seine strategische Art des Vorgehens zum Maßstab für alles machte: Zufall, Glück, Pech, nicht kausal Erklärbares gab es für ihn nicht. Diese Einstellung, Dinge und Menschen nicht einfach zu nehmen, wie sie sind, hat ihm trotz seiner Intelligenz das Leben schwer gemacht. Geärgert hat mich als „Quasi Konkurrent“ seine rhetorische Perfektion. Er hatte Lust am Spiel mit Sprache, Mimik und Gestus. Er hat sich an dieser Lust fast geweidet und andere klein und untalentiert wirken lassen.

Video: Trauer um Henning Voscherau

Trauer um Henning Voscherau im Hamburger Rathaus

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    Mit Henning Voscherau verliert nicht nur Hamburg einen klugen Ratgeber, sondern Deutschland einen heute eher untypischen Politiker: langfristig denkend, Visionen suchend, detailversessen, unbequem, fordernd, empfindlich, selbstquälerisch, manchmal auch verletzend und stolz.

    Er hatte so hohe Ansprüche an andere und sich, ich weiß nicht, ob er außerhalb des Privaten ein glücklicher Mensch war. Ich hoffe es sehr für ihn. Wir aber sind unglücklich, dass er nicht mehr da ist.

    Politisch betrachtet hat Henning Voscherau sich große Verdienste um die Stadt erworben. Ich denke an den Geniestreich der HafenCity, diskret eingefädelt und meisterhaft vorbereitet – der Stratege eben. Ich denke an die kompromisslose Vertretung von Hafeninteressen. Hier waren ökonomische Überzeugung und maritimes Herzblut ausschlaggebend. Ich denke an sein (wohl zu spätes) Eintreten für Sicherheit und Ordnung, auch zum Ärger seiner eigenen Partei. Allerdings in der typisch voscherauschen Intellektualität auf Englisch plakatiert „Law and order is a Labour issue“ – was die wenigsten verstanden haben.

    Dabei war er so überzeugt von der Richtigkeit seiner Entscheidungen, aber auch von sich selbst, dass der Gedanke des Scheiterns – aus seiner Sicht hieß das, weniger als 40 Prozent für die SPD zu erreichen – ihm fremd war, sodass er konsequent wegen eines erheblich schlechteren Wahlergebnisses zurückgetreten ist. Diese Konsequenz, unabhängig von den eigenen Wünschen, auch das ist typisch Henning Voscherau gewesen. Vielleicht ein preußischer Hanseat.