Hamburg. Jeweils 60 Minuten begleitet das Abendblatt einen Hamburger an seinem Arbeitsplatz. Teil 7, 6–7 Uhr: Markus Smeddinck, Lackierer.
Die aufgehende Sonne taucht die silbrigen Hallen der Airbus-Werft in zartgoldenes Licht. Im Sekundentakt rollen Autos auf die mit Schranken gesicherte Zufahrt zu. Fenster runter, Mitarbeiterausweis raus, Schlagbaum hoch – so geht es ohne Unterlass. In einer Viertelstunde, um 6 Uhr, beginnt für einen großen Teil der 12.500 Airbus-Mitarbeiter die Frühschicht.
Das Unternehmen ist Hamburgs größter privatwirtschaftlicher Arbeitgeber. Das Airbus-Gelände auf Finkenwerder erstreckt sich über mehr als 340 Hektar und ist damit größer als die Hamburger Innenstadt. Es gibt eine Landebahn und ein großes Rollfeld. Blaue Linien auf dem Boden markieren die genaue Strecke, auf der die Flugzeuge zwischen den Gebäuden hindurch über das Gelände manövriert werden können. In den mächtigen Werkshallen wurden im vergangenen Jahr 262 Flugzeuge der A320-Familie (A318, A319, A320 und A321) zusammengebaut und in alle Welt geliefert.
Auch an der Produktion des A380 ist das Werk beteiligt, unter anderem werden die gigantischen Luftfahrtzeuge dort lackiert. Dafür braucht man mobile Plattformen, die sich bis zu 39 Meter ausfahren lassen.
Es gibt Schablonen für die Logos von 300 Airlines
„Am A380 zu arbeiten, gehört nicht zu meinen Lieblingsaufgaben. Ich hab leichte Höhenangst“, sagt Markus Smeddinck. Glücklicherweise ist die Tätigkeit in schwindelerregender Höhe für ihn auch eher die Ausnahme: Der 52-Jährige ist für die Lackierung der deutlich kleineren Flugzeugen aus der A320-Familie zuständig. Mit rund 40 Kollegen ist er heute zur Frühschicht eingeteilt.
Pünktlich um 6 Uhr stehen sie vor dem Sammelpunkt in einer Lackierhalle, auch Paintshop genannt. Vor ihnen die Schichttafel, auf der jeder sehen kann, wo er was zu tun hat. Hinter ihnen ein in Folie gepackter, komplett eingerüsteter A320. Ganz schön groß sieht er aus. Smeddinck zuckt die Achseln: „Von der Größe her gesehen, wirkt er wie ein Spielzeug gegen den A380.“
Für ihn ist als Einsatzort der „Seitenleitwerk-Shop 1“ angezeigt: eine von fünf kleineren Arbeitsbereichen, in denen die Heckflossen der A320-Familie lackiert werden. Der Weg dorthin führt durch mehrere große Hallen, an Rolltoren und vielen roten Türen vorbei. Manche Kollegen tragen bereits Schutzkleidung und Atemschutzmaske. Das braucht Smeddinck heute nicht. In einem kleinen Büro nahe seines Einsatzortes liest er in einer ordentlich geführten Kladde, dass die Schicht vor ihm am Vorabend angefangen hat, das Seitenleitwerk mit dem Seitenruder für die Lackierarbeiten vorzubereiten.
„Die Vorbereitungen machen rund 90 Prozent der Arbeit aus“, sagt Smeddinck. Gereinigt, geschliffen und abgeblasen wurde die A320-Heckflosse bereits. Smeddincks Aufgabe ist es nun, die Klappen aufzuschrauben, hinter denen Hydraulik und Mechanik liegen. Dort muss er Kabel, Schläuche und Gelenke abkleben, damit diese beim Lackieren nicht verschmutzt werden. Von einer Plattform aus, die er einen guten Meter emporgefahren hat, schraubt Smeddinck die Klappen auf. Dann reißt er weißen Stoff in Stücke, der zum Abkleben benutzt wird: Putzlappen der teuersten Kategorie für 1000 Euro pro Tonne. Mit Kreppband fixiert er ihn um das Innenleben der Heckflosse – sodass dennoch alles flexibel bleibt. Was so banal klingt, ist eine durchaus verantwortungsvolle Aufgabe, denn ist einmal Farbe ins Innere gelangt, könnte das die Funktionsfähigkeit der Heckflosse beeinträchtigen.
Je nach Aufwand ist ein Seitenleitwerk nach drei bis sieben Tagen fertig lackiert. Anschließend wird es von Smeddinck noch einmal gründlich überprüft, verschlossen und versiegelt. „Für die Überprüfung haben wir extra eine Ausbildung gemacht“, sagt er.
Um 7 Uhr, nach einer Stunde Arbeit, ist Smeddinck noch immer mit dem Abkleben beschäftigt. Das werde wohl noch bis Schichtende dauern, schätzt er. In der Halle nebenan lackieren Kollegen das Rumpfteil eines A320, eingehüllt in eine Sprühnebelwolke. Jetzt benutzen sie nur Klarlack, später wird sie das Knallrot der Fluggesellschaft Air Arabia einnebeln.
Rund 300 Airlines sind Kunden bei Airbus. Für jedes Logo gibt es Schablonen und genaue Anweisungen, welche Farben benutzt werden muss. „Gerade am Rumpf muss man besonders sorgfältig arbeiten“, sagt Smeddinck. „Er liegt genau im Blickfeld der Passagiere und ist damit die Visitenkarte der Airline.“
Er mag seine Arbeit, auch wenn sie wegen des Schichtbetriebs anstrengend ist. Wenn Smeddinck Frühschicht hat, ist er schon um 5.30 Uhr vor Ort. „Dann kann ich noch in Ruhe einen Kaffee trinken“. Eine Dreiviertelstunde dauert die Fahrt von Lemsahl-Mellingstedt, wo er mit Frau und zwei Töchtern wohnt, hierher. Auch wenn er Spätschicht hat, fährt er rechtzeitig los. „Ich plane mindestens 20 Minuten Karenzzeit ein, falls die Höhenkontrolle im Elbtunnel ausgelöst wird“, sagt er.
Innerhalb von sieben Tagen haben Smeddinck und seine Kollegen dreimal Schichtwechsel: Frühschicht, Spätschicht und Nachtschicht. Dann haben sie zwei Tage frei. „Familie und Freundeskreis leiden darunter“, sagt Smeddinck, der seit zwölf Jahren für Airbus arbeitet. Auch einen Vereinssport auszuüben, sei fast unmöglich.
Doch er mag seine Arbeit trotzdem. Nachdem sein Job bei seinem letzten Arbeitgeber, bei dem er Medizingeräte lackiert hatte, an eine Fremdfirma vergeben wurde, schätzt er die Bedingungen, die Airbus ihm bietet. „Schließlich muss die Familie abgesichert sein“, sagt er. „Und gerade jetzt in den Ferien ist durch die Spätschicht auch mal ein gemütliches Frühstück mit Frau und Kindern drin.“