Hamburg. Jeweils 60 Minuten lang begleitet das Abendblatt Hamburger an ihrem Arbeitsplatz. Teil Drei, 2–3 Uhr: die Funk-Zentrale in Blankenese.

Zwei Uhr morgens. Die Elbvororte schlafen – selbst in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag. Während es in der Schanze, auf St. Pauli und ähnlich szenigen Gegenden jetzt sicherlich noch ziemlich rund geht, wirkt Blankenese wie ein nächtliches Dorf. Nur ganz vereinzelt fahren Autos auf der Dockenhudener Straße und der Elbchaussee, die Nebenstraßen sind stockdunkel und völlig menschenleer. Der Platz vor dem Bahnhof, unter der Woche quirliger Treffpunkt und Drehscheibe für den ganzen Stadtteil, ist zwar hell erleuchtet, wirkt aber ausgestorben und ungewohnt provinziell. Nur einen Steinwurf entfernt am Erik-Blumenfeld-Platz herrscht eine völlig andere Atmosphäre. Die Fenster der alten Villa sind weit aufgerissen, ein großer Fernseher läuft.

Jens-Peter Hinz bearbeitet die Post, amüsiert sich nebenbei über eine antiquierte Fernsehsendung. Aus einem Nebenraum sind pausenlos abgehackte Gespräche zu hören. Mitarbeiterin Dodo telefoniert per Head-Set, ihre Angaben sind knapp und präzise.

Dodo von der Nachtschicht nimmt ununterbrochen Anrufe entgegen
Dodo von der Nachtschicht nimmt ununterbrochen Anrufe entgegen © Roland Magunia | Roland Magunia

Der „Taxenanruf Blankenese“ (TAB) gilt unter Insidern als die „Queen Mary der Taxiunternehmen“. Das hat unter anderem mit dem Einzugsgebiet zu tun, aber auch mit der langen Tradition. Seit 1929 gibt es das Unternehmen schon, in dem sich rund 40 selbstständig arbeitende Fahrer zu einem Verein zusammengeschlossen haben.

Nachwuchskräfte gesucht

Hinz ist einer der beiden Vorsitzenden. Er wirkt wesentlich jünger als ein Endfünfziger, ist selbst 24 Jahre Taxi gefahren und setzt sich bei Bedarf auch weiterhin hinters Steuer.

Wichtigste Anlaufstelle im Raum ist der „Naschischrank“, aus dem sich jeder bedienen darf. Wie auf Kommando kommt Taxifahrer Frank Hoffbauer her­ein, schnappt sich einen Schokokuss und lässt sich auf einen Stuhl plumpsen. Er hat gerade eine Tour aus Waltershof hinter sich, muss kurz verschnaufen. Müde ist hier allerdings niemand. Im Gegenteil. Es wird Kaffee getrunken, gelacht und geplaudert, so als befände man sich zur Mittagsstunde in irgendeinem Café. Die allgemeine Munterkeit zu dieser frühen Stunde schafft eine merkwürdige Stimmung. „Wir sind alle überzeugte Nachtmenschen“, so Hoffbauer, „anders würde das hier auch gar nicht laufen.“

Nach einer kurzen Verschnaufpause geht er zum Taxistand zurück, der nur etwa 30 Meter entfernt liegt. Die Fahrten aus irgendwelchen angesagten Locations in die beschaulichen Elbvororte sind typisch fürs Wochenendgeschäft, berichtet der 47-Jährige. Die Zeit der Abi­bälle ist zwar schon wieder Schnee von gestern, und die Sommerferien machen sich bemerkbar, doch der Laden brummt weiter. Der TAB könnte noch mehr Unternehmer gebrauchen, bemüht sich um Nachwuchskräfte. Doch nicht jeder ist bereit für den Job, der auch mal hart sein kann, andere sind schlichtweg ungeeignet. „Wir sind hier ein gutes Team“ sagt Hoffbauer, „und das soll auch so bleiben.“

Fast alle Fahrwünsche werden erfüllt, allerdings nehmen die „Jungs“ längst nicht jeden Volltrunkenen mit, man müsse da einen siebten Sinn entwickeln. Hoffbauer drückt es diplomatisch aus: „Schnell ist der Schaden für die Sitze größer als die Einnahmen, das geht natürlich nicht.“

Diskretion garantiert

Der Bahrenfelder hat sich daran gewöhnt, dass sein Leben im Vergleich zu dem anderer auf dem Kopf steht. Wenn seine Nachbarn aufwachen, geht er schlafen, abends ist er dann hellwach. Als Nachtfahrer muss er nicht nur hoch konzentriert sein, sondern auch Geduld haben. Lange Wartezeiten zwischen den Fuhren bleiben nicht aus. Doch mittlerweile herrscht am Bahnhof Hochbetrieb, kurz nacheinander sind einige S-Bahnen eingetroffen. Müde und vergnügt treten die Nachtschwärmer auf die Straße, manche halten ihre Schuhe in den Händen, andere blinzeln orientierungslos ins Laternenlicht. Eine Frau mit aufgelöster Frisur starrt wie bei einer Pokemon-Suche in ihr Handy und geht zügig am Taxistand vorbei. „Hallo, hier sind wir“, ruft Hoffbauer scherzhaft. Die Frau schüttelt sich wie eine aufgewachte Schlafwandlerin und kommt zurück. „Äh, ach so, ja. Was kostet’s nach Wedel?“

Die Fahrer sind in Hochstimmung. Das mag am lauen Sommerwetter liegen, das ihnen viele Nachtschwärmer beschert, aber es ist auch zu merken, dass den Männern der Job gefällt. Die Blankeneser seien am Anfang oft etwas distanziert, aber das gebe sich schnell. Vor Ort hat das Unternehmen unzählige Stammkunden, um deren Treue täglich gekämpft werden muss. Ein Garant: Diskretion. „Was in der Taxe gesprochen wird, bleibt auch in der Taxe“, erläutert Frank Hoffbauer: „Wir erfahren viel, aber wir halten die Klappe.“

Um drei Uhr ist die Nacht lange nicht vorbei

Einmal hat eine „echte Dame“ beim TAB angerufen und zwei kräftige Männer angefordert. Die mussten dann ihrem nach einer Party zusammengeklappten Gatten wieder auf die Beine helfen. Und vor Jahren musste ein Kollege einer betagten Stammkundin die Stützstrümpfe ausziehen, weil der dafür zuständige Enkel nicht aufzutreiben war. Alles biegt sich vor Lachen, aber Näheres lassen sich Hoffbauer und die anderen nicht entlocken. Die Namen der Beteiligten schon mal gar nicht, und noch nicht mal die zugehörigen Wohnstraßen. Das gilt auch für Infos über Promi-Kunden. „Wer Klatsch hören will, beißt bei uns auf Granit“, sagt einer.

Ein Satz wird in dieser Nacht noch gesprochen, der viel über die Motivation der Männer aussagt. Er lautet: „Lieber ’ne ganze Nacht Taxifahren als eine Stunde im Büro über der Steuererklärung brüten.“ Dann ist’s genug mit der Plauderei. An seiner Droschke muss Frank Hoffbauer Einstiegshilfe leisten, dann wird über den Preis verhandelt. Drei Uhr. Und die Nacht ist noch lange nicht vorbei.

4800 Taxifahrer

Nach Auskunft der Wirtschaftsbehörde gibt es in Hamburg aktuell 3144 Taxen-Konzessionen. 1862 Taxis werden von sogenannten Einwagen-Unternehmen betrieben. Laut Behördensprecher Richard Lemloh gibt es inklusive Aushilfen rund 4800 Taxifahrer. Die Fahrer arbeiten entweder als Angestellte oder als selbstständige Unternehmer, die sich innerhalb eines Verbands zusammenschließen. Der Taxenanruf Blankenese ist beispielsweise ein solcher Verbund aus circa 40 überwiegend selbst fahrenden Taxi-Unternehmern. Hansa Funktaxi eG ist mit rund 400 Genossenschaftsmitgliedern Marktführer in der Metropolregion Hamburg.

Seit Jahren nimmt die Zahl der Taxis in Hamburg kontinuierlich ab. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 waren noch 4200 Taxis auf den Straßen der Stadt unterwegs. Alleine im Jahr 2015 gaben 50 Unternehmen auf oder verkleinerten ihren Fuhrpark. Die Gründe sind vielschichtig. Die Unternehmen machen dafür vor allem die Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro verantwortlich. Die Gewerbeaufsicht hat in den vergangenen Jahren aber auch immer wieder „schwarze Schafe“ aus dem Verkehr gezogen, die ohne Genehmigung im Geschäft mitmischen wollten.

Die nächsten Folgen

Teil 4 In der Notaufnahme

Teil 5 Der Hafenlotse

Teil 6 Mit einem Fischhändler zum Großmarkt