Jeweils 60 Minuten lang begleitet das Abendblatt einen Hamburger an dessen Arbeitsplatz. Zum Start: Reinigungskraft Sasa Jovanovic.
Die Uhr hat Mitternacht geschlagen. Wobei, in den modernen Aufnahmestudios des Norddeutschen Rundfunks schlägt nichts. Hier funktionieren die Uhren digital, und so durchbricht nicht einmal ein Ticken die nächtliche Stille im Sendezentrum am Rothenbaum. Dort, wo sonst so viel Trubel herrscht, ist Ruhe eingekehrt. Die Büros sind dunkel, die Schreibtische liegen verlassen da. Allein in den Studios einiger Radioformate wird gearbeitet und das Nachtprogramm gestaltet. Draußen drehen die Mitarbeiter des Sicherheitspersonals ihre Runde.
Wenn die Nacht hereinbricht und die meisten Hamburger es sich bereits im Bett gemütlich gemacht haben, dann startet Sasa Jovanovic in seinen Arbeitstag. Und dann läuft für ihn die Zeit. „Bis morgens muss ich fertig sein. Dann kommen die Leute“, erklärt der 35-Jährige. Das bedeutet, dass ihm sechs Stunden bleiben, um den Dreck der anderen wegzumachen. Wischen, saugen, Müll fortschaffen: Jovanovic ist Einzelgänger. Ohne Kolonne oder Kollegen arbeitet sich der Saubermann nach einem Ablaufplan durch die Gebäude des NDR. Ziel ist es, möglichst wenige Redakteure zu stören. Einmal pro Woche müssen die Büros von Grund auf gereinigt werden. Jeden Tag ist deshalb eine andere Etage dran, die sich Jovanovic gründlicher vornehmen muss.
Ein Tanz um Tische und Stühle
In dieser Nacht schiebt er seinen Putzwagen kurz nach o Uhr durch die gesicherte Tür des Sendezentrums von NDR 90,3, wo im Studio noch Programm entsteht. Eine Chipkarte ermöglicht ihm den Zutritt zum dritten Stock in Haus 13. Jovanovic beginnt mit seinem Ritual. Erst werden alle Mülleimer ausgeleert, dann die Tische abgewischt – und das nach System.
Denn der voll ausgestattete Putzwagen umfasst vier Wassereimer, die sich farblich unterscheiden. Dazu gibt es jeweils farblich passende Putztücher und Reinigungsmittel. Blau steht beispielsweise für die Tische, rot für sanitäre Anlagen. Beim Wischen trägt Jovanovic Handschuhe, die am Ende umgekrempelt werden. Das soll seine Haut vor den Chemikalien schützen. Gewischt wird alles – außer Tastaturen und Monitore. Auch vom Telefon wischt er nur den Hörer ab. „Um nichts zu verstellen“, erklärt Jovanovic kurz. Er spart sich den Atem.
Kein Wunder, seine Arbeit ist anstrengend und treibt ihm bereits den Schweiß auf die Stirn. Um 0.30 Uhr greift Jovanovic zum Staubsauger, mit dem er gekonnt um die Stühle und Tische tänzelt. Das Sendezentrum samt Büros, Studio und Produktionscockpit umfasst etwa 200 Quadratmeter. In der Regel braucht er 45 Minuten, um hier alles gründlich zu entstauben. Heute wird es etwas länger dauern.
Jovanovic hat drei Kinder. 17, 15 und zwölf Jahre. Für sie ist der Jugoslawe nach Deutschland gekommen. „Damit es ihnen besser geht“, erklärt der in Osdorf lebende Mann. Seit einem Jahr ist er nachts für das Unternehmen Bogdol im Landesfunkhaus unterwegs. Dabei gehört Jovanovic zu einer Minderheit.
„Etwa 80 Prozent der Mitarbeiter von Bogdol sind Frauen“, erklärt Nihal Arslan. Die 40-Jährige ist eine von 19 Servicemanagerinnen des Unternehmens mit Sitz in Hamburg. Sie ist für 40 Objekte verantwortlich. 800 Objekte in Hamburg und Umgebung betreut das 1975 gegründete, inhabergeführte Unternehmen. Darunter Turnhallen, Schwimmbäder und Drogeriefilialen. Bei den Reinigern handelt es sich um angelernte Kräfte, die in der Regel pro Stunde 9,80 Euro bekommen. Für Jovanovic sind es dank Nachtzuschlag von 22 bis 5 Uhr 25 Prozent mehr.
Image stellt ein Problem dar
„Es ist es schwer geworden, Leute zu finden“, berichtet Torsten Thiele, Bereichsleiter bei Bogdol. Er hatte schon Bewerber, die deutlich sagten, dass ihnen das zu wenig Geld sei und sie lieber weiter Hilfe vom Amt beziehen. Zudem stelle das Image der Reinigungskraft ein Problem dar. Angesehen ist der Beruf nicht, nur wenige Deutsche ergreifen ihn. Etwa 90 Prozent der Reinigungskräfte von Bogdol haben einen ausländischen Hintergrund. Laut einer Erhebung vor zwei Jahren arbeiten hier Menschen aus 95 Nationen. Egal welcher Konfession und aus welchem Land funktioniert die Arbeit im Team laut Nihal Arslan aber reibungslos. „Ich sage immer: Ihr müsst euch nicht lieben, aber euch respektieren.“
Niedriger Lohn, in der Gesellschaft wenig anerkannt, hinzukommen oft familiäre Probleme – Servicemanagerin Arslan weiß: „Viele Mitarbeiter tragen einen Beutel an Sorgen mit sich herum.“ Häusliche Gewalt, Einsamkeit, Existenzsorgen. Oft vertrauen sich die Mitarbeiter ihr an. „Manchmal stockt einem da das Blut in den Adern“, sagt Arslan, die sogar schon bedroht wurde. „Der Ehemann einer Reinigungskraft warf mir vor, dass ich seiner Frau Arbeit gegeben habe und sie ihn seither weniger respektiere.“ Arslan arbeitete während ihrer Schulzeit, später im Tagesdienst für Bogdol. Sie kann einschätzen, was der Job den Leuten abverlangt, und versucht, ihnen Anerkennung zu geben.
Mittlerweise ist es nach 1 Uhr. Jovanovic hat es geschafft. Zumindest das Sendezentrum. Der Reiniger streift sich die Handschuhe ab, legt sie auf den Putzwagen und schiebt ihn Richtung Tür. Es trennen ihn noch einige Stunden und Büros von seinem Feierabend und seiner Familie. Gegen sieben Uhr wird er zu Hause sein. Dann legt er sich schlafen. „Der Tag wird zur Nacht und die Nacht zum Tag“, sagt er. „Dieser Job kostet viel Energie.“