Hamburg. Jeweils 60 Minuten lang begleitet das Abendblatt einen Hamburger an seinem Arbeitsplatz. Teil 4, 3–4 Uhr: Pfleger Robert Weidermann.

"Emergency room“ kennt hier jeder. George Clooney natürlich auch. Die Schwestern in der Notaufnahme des Marienkrankenhauses lächeln angesichts der Erinnerungen an die US-Fernsehserie, die Clooney international berühmt machte. Die Uhr zeigt kurz nach drei. Gerade ist etwas Ruhe eingekehrt. Im Aufenthaltsraum für das medizinische Personal, der eher an die Küche daheim erinnert, wird es eng.

Robert Weidermann hat sich eine Tasse mit Kaffee gefüllt und greift nach einem Schokoladenriegel, von denen mehrere auf dem Tisch liegen. „Hier ist nicht alle naselang Land unter“, sagt der 34-jährige Krankenpfleger, der stellvertretender Pflegechef ist. Acht bis neun Leute – Ärzte und Schwestern – arbeiten während einer normalen Nachtschicht. Aber viel Zeit für ein Schwätzchen bleibt auch am frühen Morgen nicht.

Im Warteraum sitzen die Angehörigen eines Mannes, der vor zwei Stunden mit Verdacht auf einen Herzinfarkt eingeliefert worden war. Robert Weidermann hatte den Fall übernommen, das Bett und das spezielle Aufnahmezimmer vorbereitet. „Solche Fälle werden oft vom Notarzt vor dem Eintreffen des Rettungswagens angekündigt. Dann stehen hier bei uns bei Ankunft ein Internist und ausreichend Pflegepersonal zur Verfügung.“

Eben hat der Krankenpfleger noch einmal nach dem Patienten geschaut. Das erste Elektrokardiogramm (EKG) und die ersten Blutproben waren eher unauffällig gewesen. „Aber bei einem Verdacht auf einen Herzinfarkt ist vorgeschrieben, drei Stunden nach Aufnahme im Krankenhaus die Untersuchungen zu wiederholen.“ Sollten auch diese Entwarnung geben, kann der Mann nach Hause entlassen werden.

Das „Zentrum für Notfall- und Akutmedizin“ im Marienkrankenhaus gehört zu den modernsten Hamburgs. Elf zum Teil mit spezieller Technik ausgerüstete Krankenzimmer bieten zwölf Notfallpatienten Platz. Hinzu kommen acht Betten in halböffentlichen Nischen bei besonderen Notlagen. Oder für „Patienten“, die nur ihren Rausch ausschlafen.

Auch wenn die Notfallstation nicht riesig ist, „kommt man während einer Nachtschicht“ gut ins Laufen, erzählt Robert Weidermann. Selbst nachts zwischen drei und vier Uhr. Allerdings gilt eine Regel: gerannt, so wie man es aus dem Fernsehen kennt, wird hier nicht. Der Krankenpfleger ist inzwischen an das Bett des „Herzinfarktpatienten“ getreten und nimmt vorsichtig Blut ab. Der Bote, der die Proben ins hauseigene Labor bringen wird, wartet schon.

Die Nachtcrew der Notaufnahme im Marienkrankenhaus während einer der wenigen Pausen im Aufenthaltsraum
Die Nachtcrew der Notaufnahme im Marienkrankenhaus während einer der wenigen Pausen im Aufenthaltsraum © Martin Brinckmann | Martin Brinckmann

Wenig später sitzt Robert vor der eigentlichen Schaltzentrale der Notaufnahme, dem Dashboard. Hier laufen alle Informationen zusammen. Auf einem überdimensionalen Bildschirm können die Ärzte und Pfleger jede Information zu jedem Patienten aufrufen, erkennen, wo er liegt und mit welcher Dringlichkeit er behandelt werden muss. Farben signalisieren, um was für eine Erkrankung es sich handelt.

„Was du nicht dokumentierst, hast du nicht gemacht“, sagt Robert Weidermann und tippt einige Angaben in das Computersystem ein. Genauigkeit und Sorgfalt verstehen sich von selbst. Jeder, ob Arzt oder Pfleger, muss sich rasch ein Bild machen und im Notfall lebensrettende Entscheidungen treffen können. „Hier stehen alle Informationen, die wichtig sind und die vorliegen.“

Der 34-Jährige hat sich die Angaben über eine junge Frau aufgerufen, die über Schwindel und Unwohlsein klagt. Sie sitzt in einem der Behandlungszimmer auf dem Bett. „Als Pfleger schaue ich mir die Patienten zunächst an und treffe eine erste Einschätzung.“ Während er Blutdruck und Puls misst, redet er mit der jungen Frau. Dabei will er so beruhigend wie möglich klingen. „Viele Menschen, die eine Notaufnahme aufsuchen, sind aufgeregt und haben Angst“, sagt Robert Weidermann. „Manchmal hilft ein Scherz, sie zu beruhigen. Andere wiederum wollen, dass man ganz nüchtern und sachlich mit ihnen redet.“

Manchmal nimmt der Pfleger auch bereits Blut ab oder erstellt ein EKG. Bei der jungen Frau ist beides nicht notwendig „Im Grunde geht es darum, innerhalb kurzer Zeit möglichst viele Informationen zusammenzutragen, damit der Arzt die richtige Diagnose erstellen kann“, sagt Robert.

Schwere Verletzungen, die Menschen beispielsweise bei einem Verkehrsunfall erleiden, werden zwar akut versorgt. „Aber meistens geht es darum, den Patienten zu stabilisieren, sodass er anschließend in der chirurgischen Abteilung operiert werden kann.“ Operationen in der Notaufnahme sind die Ausnahme, auch wenn Krankenhausserien manchmal etwas anderes suggerieren.

Real hingegen sind die „Abgründe der Menschheit“, denen Robert und seine Kolleginnen immer wieder begegnen. Auch in dieser Nacht liegen zwei volltrunkene Frauen auf den Liegen, die nur von zwei Krankenschwestern gestützt aufs Klo gehen können. Ein Mann schläft seinen Drogenrausch aus, während Ehefrau und Kinder an seinem Bett warten.

Der Weg vom Notarztwagen in die Station ist kurz
Der Weg vom Notarztwagen in die Station ist kurz © Martin Brinckmann | Martin Brinckmann

Und dann sind da die Angehörigen von Patienten, bei denen Empathie für deren Ängste und Sorgen gefordert ist. „Man braucht Instinkt, wie man mit Menschen in subjektiven Ausnahmesituationen umgeht“, sagt Robert Weidermann und fügt hinzu: „Das kannst du auf der Schule nicht lernen.“ Während er mit dem Sohn des Herzinfarktpatienten spricht, legt er ihm fast beiläufig die Hand auf den Oberarm. Das wirkt beruhigt und verbreitet Zuversicht.

Manchmal brauchen die Helfer selbst Hilfe, wenn, was selten passiert, für einen Patienten alle Hilfe zu spät kommt. „Im vergangenen Jahr habe ich einen Mann nicht wiederbeleben können“, sagt Robert Weidermann. Es habe eine Weile gedauert, das zu verarbeiten. „Geholfen haben mir Kollegen und Freunde, mit denen ich darüber reden konnte.“ Und seine Frau Katja, die selbst Krankenschwester ist und inzwischen Medizin studiert.

Es ist kurz vor vier Uhr. Robert stimmt sich im Aufenthaltsraum mit seinen Kolleginnen ab, wer welches Behandlungszimmer aufräumt, Materialien auffüllt und alles für die Frühschicht vorbereitet. Draußen ist es schon hell, und langsam macht sich Erschöpfung breit. Doch Zeit zum Ausruhen bleibt nicht. Im Behandlungszimmer sitzt ein junger Mann, der sich beim Liebesakt sein Geschlechtsteil verletzt hat. „Ich übernehme das“, sagt Robert Weidermann. „Das Ganze dürfte dem Patienten peinlich genug sein. Da muss er es jetzt nicht auch noch mit einer Schwester zu tun bekommen.“

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