Hamburg. Die Verhandlungen zwischen Regierung und Volksinitiative gehen in die Schlussrunde. Jetzt appellieren Sozialverbände: „Einigt Euch!“

Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften haben eine Einigung im Streit um Großunterkünfte für Flüchtlinge gefordert. Am Mittwoch appellierten sie an den rot-grünen Senat und die Volksinitiative für gute Integration, sich bei ihren Verhandlungen zu einigen und damit einen Volksentscheid zu verhindern.

„Wir haben die Befürchtung, dass ein Scheitern der Verhandlungen, das dann folgende Volksbegehren und eine Volksabstimmung zu einer Emotionalisierung und Spaltung der Bevölkerung führen würde“, sagte Dirk Ahrens vom Diakonischen Werk. Deshalb fordere man: „Einigt Euch!“

Gespräche befinden sich auf der Zielgeraden

Derzeit verhandeln Vertreter der Volksinitiative für gute Integration und die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen über eine Vereinbarung, Flüchtlinge in der Hansestadt in kleineren Einrichtungen unterzubringen sowie die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Integration der Flüchtlinge zu schaffen. Die Gespräche befinden sich auf der Zielgeraden. Am Mittwoch kommender Woche ist der letzte Termin vor der Sommerpause, an dem die Bürgerschaft über eine Vereinbarung entscheiden und damit das Verfahren der Volksgesetzgebung zu einem Abschluss bringen kann.

Ausgangspunkt war der Erfolg der Volksinitiative im Frühjahr. Innerhalb von fünf Tagen gelang es den Organisatoren, gut 26.000 Stimmen für ihr Anliegen – eine erfolgreiche Integration von Flüchtlingen – zu sammeln. Im Kern geht es bei der Volksinitiative darum, Flüchtlinge nur dezentral und in kleineren Unterkünften anstatt in vom rot-grünen Senat geplanten Großsiedlungen unterzubringen.

Ohne Einigung kommt es zum Volksbegehren

Studien zufolge gelingt Integration vor allem dann, wenn maximal 300 Menschen in einer Unterkunft untergebracht sind. Zudem sollen Geflüchtete nicht länger als zwei Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtung verweilen müssen. Als Drittes wird gefordert, dass zwischen allen Standorten mit mehr als 100 Flüchtlingen ein Mindestabstand von 1000 Meter (Luftlinie) liegt.

Die Volksinitiative war der erste Schritt zu einem Volksentscheid. Die Bürgerschaft hat nun bis zum 30. August Zeit, das Anliegen der Volksinitiative zu übernehmen oder eine gemeinsame Vereinbarung zu schließen. Sollte keine Einigung gelingen, folgt der nächste Schritt: das Volksbegehren. Dabei müssen innerhalb von drei Wochen rund 62.000 Unterschriften zusammenkommen. Dann folgte ein Volksentscheid. Dieser ist erfolgreich, wenn 20 Prozent der Wahlberechtigten in Hamburg zugestimmt haben und es bei der Abstimmung eine einfache Mehrheit gibt.

Bürgerverträge sollen zur Einigung beitragen

Um zu einer Vereinbarung mit der Volksinitiative zu kommen, sollen mit den einzelnen Initiativen sogenannte Bürgerverträge geschlossen werden. Einen ersten derartigen Vertrag schloss die Bürgerinitiative Neugraben-Fischbek.

Dort erreichte die Initiative in den Verhandlungen mit den beiden Fraktionsvorsitzenden von SPD und Grünen, Andreas Dressel und Anjes Tjarks, dass in dem Stadtteil lediglich 1500 statt der ursprünglich geplanten 3000 Flüchtlinge untergebracht werden. Zudem verspricht der Senat, für ausreichend Schulen, Ärzte und Polizei zu sorgen sowie mehr Geld in Jugendarbeit zu stecken.

Sozialverbände lehnen Volksentscheid ab

Die Vertreter der Sozialverbände machten am Mittwoch keinen Hehl aus ihrer Auffassung, dass ein Volksentscheid nicht das geeignete Mittel sei, über die Integration von Flüchtlingen zu entscheiden. „Wir haben kein Interesse an einer Volksbefragung“, sagte Ahrens. „Eine Volksbefragung wäre garantiert schädlich, egal wie sie ausgeht. Die Stadt braucht jetzt eine Einigung.“ Berthold Rose von der Gewerkschaft Ver.di warnte, ein Scheitern der Verhandlungen könne Rechtspopulisten in die Hände spielen. „Die Verhandlungspartner dürfen das nicht eskalieren lassen.“

Jürgen Mantell, Präsident des Hamburger Sportbundes, verwies auf die Gefahr, dass bei einem Volksentscheid die Komplexität des Themas auf ein Ja oder Nein reduziert werde. Eine Volksbefragung sei zwar „ein legitimes demokratisches Mittel, aber nicht immer die beste Option“. Johannes Jörn, stellvertretender Vorsitzender der Patriotischen Gesellschaft, bot an, die Patriotische Gesellschaft könne nach einer Einigung die Umsetzung der Vereinbarung begleiten und überwachen.

Am Wochenende könnte es eine Einigung geben

Beobachter rechnen mit einer Einigung zwischen den Regierungsfraktionen und der Volksinitiative am Wochenende. Die Differenzen seien nicht unüberwindbar, hieß es am Mittwoch. Ein Grund dafür dürften die seit Beginn dieses Jahres deutlich gesunkenen Flüchtlingszahlen sein.

Offiziellen Angaben zufolge ist die Zahl der Flüchtlinge, die Hamburg zugewiesen wurden, im Juni erneut gesunken. Insgesamt wurden der Hansestadt auf Grundlage des Königsteiner Schlüssels 448 Flüchtlinge zugewiesen. Für 378 Flüchtlinge davon habe man eine Unterbringung zur Verfügung stellen müssen, hieß es. Die anderen seien woanders, beispielsweise bei Familien, untergekommen.

Im Bereich der Erstaufnahme gibt es Überkapazitäten

Damit setzte sich im Juni der Rückgang der Flüchtlingszahlen fort. Im April waren Hamburg 567 Flüchtlinge zugewiesen worden, im Mai 545. Im November vergangenen Jahres hatte ihre Zahl bei mehr als 4000 gelegen. Insgesamt wurden Hamburg in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 6879 Flüchtlinge zugewiesen.

Mitte Juni hatte der Senat seine bisherige Flüchtlingsprognose von rund 40.000 in diesem Jahr auf 14.500 korrigiert. Zuvor hatte sich der rot-grüne Senat trotz bereits sinkender Flüchtlingszahlen dagegen gesträubt, die Prognose anzupassen. Zur Begründung hieß es, es sei noch nicht absehbar, ob nicht doch wieder mehr Menschen den Weg nach Europa wagen würden – angesichts der geschlossenen Balkanroute etwa über das Mittelmeer.

Aufgrund des anhaltenden Rückgangs der Flüchtlingszahlen sind inzwischen erhebliche Überkapazitäten im Bereich der Erstaufnahme entstanden. An den 38 Standorten der Erstaufnahme seien Ende Juni knapp 12.000 Personen untergebracht worden, heißt es in der Mitteilung des Hamburger Flüchtlingskoordinators. Im Mai war die Zahl der belegbaren Plätze mit rund 20.000 beziffert worden.