Eidelstedt. Monate nachdem das Kind in der S-Bahn verprügelt wurde, gab die Polizei ein Foto zur Fahndung frei. Gewerkschaft will Gesetzesänderung.
„Nicht nur die Tat, auch das Agieren der Strafverfolgungsbehörden macht fassungslos.“ Harte Worte von Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, zu dem Fall des kleinen Mädchens, das laut Zeugen in einer S-Bahn von seiner Großmutter misshandelt und gedemütigt wurde.
Fast sieben Monate dauerte es, bis ein Foto der Frau genutzt wurde, um ihre Identität durch eine Öffentlichkeitsfahndung zu ermitteln. „Hier hat man einen Fall, der einmal mehr der Gesellschaft vor Augen führt, dass der Täterschutz mittlerweile in unserem Rechtssystem deutlich mehr Gewicht hat als der Schutz des Opfers“, sagt Lenders.
So ist die Gesetzeslage
Als letztes Mittel wird in Hamburg öffentlich nach Tatverdächtigen gefahndet. Der Gesetzestext, der in der Strafprozessordnung durch Paragraf 131b die Öffentlichkeitsfahndung regelt, hinterlässt den Eindruck, dass das nicht nötig wäre. „Die Veröffentlichung von Abbildungen eines Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig ist, ist auch zulässig, wenn die Aufklärung einer Straftat, insbesondere die Feststellung der Identität eines unbekannten Täters auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre“, so heißt es wörtlich.
„Hier gibt es eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs, an die wir uns halten“, sagt Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Und die besage, dass alle anderen Ansätze aussichtslos sein müssen.
Staatsanwaltschaft begründet Verzögerungen
Im konkreten Fall hätte es Verzögerungen gegeben. So habe die Bahn zunächst Aufnahmen aus einer falschen Überwachungskamera geschickt. Auch wäre erst im März der Staatsanwaltschaft bekannt geworden, dass das Kind mit der Faust geschlagen wurde.
Das verwundert Polizist Lenders. „Wenn nicht bekannt gewesen wäre, dass dem Kind Gewalt angetan worden ist, hätte es ja gar nicht das Ermittlungsverfahren gegeben. Ist die Rechtslage tatsächlich so, wie die Staatsanwaltschaft sie auslegt, und lässt sie auch keine Sachentscheidung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zu, dann muss schnell das Gesetz geändert werden. Praktisch ist das Schicksal eines Kindes gegen die Persönlichkeitsrechte der Tatverdächtigen in den Hintergrund getreten.“
In die gleiche Richtung argumentiert Dennis Gladiator von der CDU: „Sieben Monate hat es gedauert, bis Hamburgs Justiz bereit war, die von der Tat vorhandenen Fotos der Frau für die Öffentlichkeitsfahndung zu verwenden. Aus Sicht der CDU ist es vollkommen unverständlich und fahrlässig, dass die Justiz zum wiederholten Mal das Persönlichkeitsrecht eines Täters oder einer Täterin höher wertet als das Schutzrecht des Opfers.“
Familie galt als unauffällig
Auch Daniel Oetzel (FDP) unterstützt die Sichtweise. „Es ist absolut nicht nachvollziehbar, dass erst so spät die öffentliche Fahndung herausgegeben wurde. Es ist kaum vorstellbar, welchen Misshandlungen das Mädchen zu Hause ausgesetzt war, wenn solche Übergriffe schon in der Öffentlichkeit passieren. In solchen Fällen muss das Kindeswohl an erster Stelle stehen.“
Das Bezirksamt Eimsbüttel prüft jetzt, ob es zwischen dem Tattag im Oktober 2015 und heute weitere Misshandlungen gegeben hat. Nach Informationen des Abendblatts hat das Mädchen seit seiner Geburt als Pflegekind bei der Oma gelebt. Weitere Heranwachsende leben nicht als Pflegekinder bei ihr.
Warum die Frau, 55, die Pflege übernommen hat, ist unklar. Möglicherweise soll auch die Mutter des Kindes in der Wohnung leben. Wie das Abendblatt erfuhr, hat das Jugendamt die Familie mehrfach aufgesucht. Dabei soll auch über Unterstützung der Familie und die Erziehung des Kindes gesprochen worden sein. Diese Besuche sollen nichts mit gravierenden Vorfällen in der Familie zu tun gehabt haben. Offenbar galt diese eher als unauffällig.