Hamburg. Auf dem Kiez wird „Simpel“ gedreht, eine Produktion von Studio Hamburg: Frederick Lau und David Kross als außergewöhnliches Brüderpaar.

Es klingt so einfach, ist es aber nicht. Studio Hamburg, sonst eher auf Fernsehproduktionen spezialisiert, versucht mal wieder das ganz große Kino. Zurzeit laufen in der Hansestadt die Dreharbeiten zur Tragikomödie „Simpel“. Regisseur Markus Goller inszeniert darin David Kross („Der Vorleser“) und Frederick Lau („Victoria“) als ungleiches Brüderpaar. Vor wenigen Tagen machte der Tross auf St. Pauli Station. Gedreht wurde in der Bar Moulin Rouge auf der Reeperbahn.

Die Bar ist klein, plüschig und in rotes Licht getaucht. Zwei Discokugeln drehen sich unter der Decke. Auf der kleinen Bühne sind Wände und Decke verspiegelt. Die sonst zum Pole-Dance benutzte Stange ist in diesem Moment allerdings verwaist, denn alle Augen richten sich auf Simpel, den David Kross spielt.

So hat man ihn noch nicht gesehen. Er trägt ein bauchfreies Paillettentop, lange künstliche Wimpern und ist heftig geschminkt. Lachend und schäkernd spielt er Verstecken mit gut gelaunten und, passend zur Umgebung, ziemlich leicht bekleideten Frauen. Ab und zu kommt ihm dabei sein Plüschtier Hasehase abhanden. Ein Problem. Denn das Langohr ist für ihn mindestens so wichtig wie die Schmusedecke für Linus von den Peanuts.

„Wir haben in dieser Geschichte das Kinopotenzial gesehen“

Streng genommen ist „Simpel“ eine Literaturverfilmung. Sie geht auf den gleichnamigen Jugendroman der Französin Marie-Aude Murail zurück, der 2004 erschienen ist. Bei unseren Nachbarn avancierte das Buch zu einem Bestseller. „Wir haben in dieser Geschichte das Kinopotenzial gesehen“, sagt Michael Lehmann, Chef der Studio-Hamburg-Tochter Letterbox, die den Film produziert.

Für die Filmfassung wurde die Handlung von Paris nach Hamburg verlegt, aus dem Schüler Ben wurde ein Werftarbeiter. „Im Buch steht Simpel im Mittelpunkt. Bei uns ist aber Ben die Rolle mit der größten Fallhöhe, deshalb haben wir sie stark ausgebaut.“ Bisher dreht Letterbox etwa einen Kinofilm pro Jahr, Lehmann würde das Pensum gern verdoppeln. „Kinofilme haben eine etwas andere Perspektive als die für das Fernsehen.“

Die heute im Mittelpunkt stehende Szene beginnt an einer Bushaltestelle. Dort lässt Ben (Frederick Lau) seinen Bruder zurück und schärft ihm ein, sich ja nicht von der Stelle zu rühren, bis er wieder bei ihm ist. Simpel und Ben verstehen sich gut miteinander, trotz aller Unterschiede. Simpel ist geistig auf dem Stand eines kleinen Kindes, sein Bruder kümmert sich fürsorglich um ihn, insbesondere seit die Mutter gestorben ist.

Es gesellt sich die Prostituierte Chantal (Annette Frier) dazu. Simpel weckt den Beschützerinstinkt in ihr, deswegen nimmt sie ihn mit zur Arbeit. Dort kümmern sie und ihre Kolleginnen sich liebevoll um ihn; auch er findet schnell Gefallen an den leicht bekleideten Frauen. Besonders natürlich an Chantal, speziell an ihrem Busen, über den sie ihm erklärt: „Der war nicht ganz billig.“ Weil die Stimmung so gut ist, haben Chantal und ihre Kolleginnen Simpel mit ihren „Arbeitsmaterialien“ aufgehübscht.

Frederick Lau über Zusammenspiel mit David Kross

Dann ist Mittagspause am Set, es wird still und leer in der Bar – bis auf eine müde junge Frau aus der Crew, die sich auf einer Sitzbank einrollt und schläft. Hasehase chillt verlassen in einem leeren Sektkühler und ist plötzlich gar nicht mehr so wichtig. Frederick Lau kommt herein. Er hat eine blutige Wunde auf die Stirn geschminkt bekommen, weil er laut Drehbuch eine Meinungsverschiedenheit mit einem Türsteher hatte, bei der Worte allein nicht ausreichten.

Über seine Rolle sagt er: „Wir sind auf der Suche nach unserem Vater, um die Vormundschaft zu regeln, damit Simpel und ich nicht auseinandergerissen werden. Auf dieser Reise merkt man bald, dass nicht nur Simpel nicht ohne mich kann, sondern auch umgekehrt.“

Lau spielt zum ersten Mal mit David Kross zusammen, sie kannten sich bisher nur von Branchentreffen: „Wir mussten uns erst einmal auf­einander einspielen, schließlich soll man uns glauben, dass wir Brüder sind. Mittlerweile klappt es aber fantastisch. Einen Tag vor Drehbeginn hat es bei mir klick gemacht. Es ist wichtig, dass man einander auch berühren kann.“

Kino wird für Studio Hamburg immer wichtiger

Kross entspannt sich derweil in seinem Wohnmobil um die Ecke gegenüber vom Goldenen Handschuh am Hamburger Berg. „Simpel“, steht an der Tür. Er trägt kleine Prothesen hinter den Ohren, damit die ordentlich abstehen. Außerdem hat man ihm eine Zahnschiene verpasst, damit er undeutlicher spricht.

„Ich musste die Rolle erst einmal finden. Welche Körperhaltung hat Simpel, wie spricht und guckt er? Das hat sehr viel Spaß gemacht, fordert aber auch sehr viel Durchhaltevermögen. Freddy bringt sehr viel Herz und Beschützerinstinkt mit in seine Rolle.“ Kross konnte auf eigene familiäre Erfahrungen zurückgreifen, denn er ist mit zwei Brüdern und einer Schwester aufgewachsen. „Ich habe für die Rolle viel aus dieser Erfahrung gezogen. Mein großer Bruder ist vier Jahre älter als ich. Er war sehr gelassen mit mir, ich durfte auch immer mit zu seinen Freunden gehen, er hat mich mit in seine Welt hineingelassen. Das ist nicht selbstverständlich, es ist aber toll, so aufzuwachsen.“

Michael Lehmann scheint nach zwei Dritteln der Drehzeit zufrieden zu sein und gibt sich optimistisch: „Zum Bergfest haben wir einen zehnminütigen Zusammenschnitt der bisher gedrehten Szenen gemacht. Da sah man schon, wie warmherzig der Ton des Films wird. Es wird keine Slapstick-Komödie, der Film hat ein starkes dramatisches Fundament.“ Kino wird wichtiger für Studio Hamburg. Noch in diesem Jahr sollen auch die Dreharbeiten für „Die Pfefferkörner“ beginnen. „Wir wollen diese TV-Marke kinotauglich machen“, sagt Lehmann. Die älteste deutsche Kinderermittlerserie wird seit 1999 gesendet.

Die Dreharbeiten zu „Simpel“ laufen noch bis zum 19. April. Bis dahin werden Szenen an der Elbe und auf dem Dom eingefangen. Ein Datum für den Kinostart gibt es bisher nicht.