Hamburg. Online-Plattform „Family Unplugged“ will Anlaufstelle für Probleme im Alltag sein. Mitinitiatorin ist Lisa Ortgies.

Freitagmorgen, 7.30 Uhr. Das Kind spuckt die Frühstücksflocken in hohem Bogen auf den Tisch zurück, die Augen glänzen fiebrig. Der Termin mit dem Chef ist für neun Uhr angesetzt. Schweißausbruch, Panik, Weltuntergangsstimmung. Kommt den meisten Müttern und Vätern vage bekannt vor. Nur die wenigsten reden offen darüber. An dieser Stelle setzen die Hamburger Moderatorin Lisa Ortgies und ihre drei Mitstreiter (die Journalistinnen Susanne Garsoffky und Julia Schmidt-Jortzig sowie der Musikjournalist Stephan Faber) mit ihrer Plattform „Family Unplugged“ an.

Anders gesagt: Dort, wo zum Thema Familie gern geschwiegen wird, weil es kompliziert, nervtötend und unsexy ist (meistens alles drei zugleich), schaut „Family Unplugged“ genauer hin. Und fragt: Was muss hier getan werden? Statt von Zahlen und Statistiken zu faseln, wie es Politiker gern tun, sollen auf „Family Unplugged“ konkrete Probleme benannt werden. Nach dem Motto: Offen über Dinge zu reden ist oft schon ein Schritt in Richtung Lösung.

Schlechtes Gewissen der Familien entlasten

Über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird gefühlt rund um die Uhr diskutiert. Nur haben diese Debatten oft wenig mit dem ganz konkreten Alltag zu tun, der das Familienleben in Deutschland manchmal zu einem Hindernislauf macht, Totalschäden inklusive. „Die Schere ging immer weiter auseinander zwischen dem, worüber in den Medien und auf Podien diskutiert wurde und dem, was uns ständig im Alltag begegnete,“ sagt Lisa Ortgies. „In der Öffentlichkeit werden gern gutaussehende Topmanagerinnen gehypt, die am besten noch drei oder mehr Kinder und natürlich gar keine Probleme haben. Das löst bei vielen Frauen eher einen Minderwertigkeitskomplex aus: ‚Ich hab nur zwei Kinder, sehe scheiße aus und schaffe selbst meinen Teilzeitjob nicht.‘“

„Familiy Unplugged“ ist Mitte Dezember vergangenen Jahres gestartet. In den ersten acht Wochen wurde die Seite rund 18.000 Mal aufgerufen. Ideale Unterstützerin ist die „Tagesthemen“-Moderatorin Caren Miosga, Hilfe kommt auch vom Familienministerium.

Zielgruppe sind all jene, für die Familie in irgendeiner Form ein Thema ist, vom Teenager-Vater bis zur alleinerziehenden Mutter. „Wir wollen in erster Linie Mut machen und das schlechte Gewissen der Familien entlasten“, sagt Ortgies. Mütter und Väter sollen bei „Family Unplugged“ Kraft für den Alltag tanken. Im zweiten Schritt wird dann genauer hingeschaut: Wie machen es andere Familien? Mit welchen Strategien meistern sie den Alltag? Ganz wichtig dabei: „Wir wollen nicht werten, sondern einfach zuhören“, sagt Ortgies. „Bei uns darf sich jeder auch auskotzen. Aber wir möchten nicht das Jammertal sein. Wir wollen auch zeigen, was es für ein Glück bedeutet, eine Familie zu haben.“

Keine „Schöne Wohnen“-Oasen, sondern Alltag

„Family Unplugged“ präsentiert den Nutzern ein buntes Wimmelbild von Familiendeutschland: Da ist das lesbische Pärchen mit Baby, die Familie mit Migrationshintergrund, die typische Kleinfamilie mit Altbauwohnung im Szeneviertel. In rund 15-minütigen Filmen werden die Familien in ihrem Zuhause porträtiert. Keine „Schöner Wohnen“-Oasen, stattdessen fliegen die ollen Turnschuhe im Flur herum. Die Botschaft: Niemand ist perfekt, jedes Familienmodell hat seine Berechtigung und ist es wert, erzählt zu werden. Menschen sollen zu Wort kommen, über die die Politik immer nur in Prozentzahlen und Schlagwörtern redet. Viele Familien hätten das Gefühl, dass sich niemand für ihren Alltag und für ihre Probleme interessiere, so Ortgies.

Ein Gefühl, dass sie und ihre Verbündeten aus eigener Erfahrung kennen. „Wir und viele Menschen in unserem Bekanntenkreis haben die Vereinbarkeit zeitweise gegen die Wand gefahren. Darüber spricht nur niemand.“ Sie selbst tut es dagegen: „Mit der Erschöpfung, die sich eingestellt hatte – da gab es Momente, in denen ich mich gefragt habe, ob das noch das Leben ist, dass ich leben möchte.“ Sie hätte sich damals gewünscht, erzählt Ortgies, dass es eine Anlaufstelle in der Art von „Familiy Unplugged“ gegeben hätte. Ein Ort im Netz, an dem man feststellt, dass man mit seinen Sorgen und Ängsten nicht allein ist.

Probleme im Job werden von Müttern als persönliches Scheitern empfunden

Lisa Ortgies, Mutter zweier Kinder und langjährige Moderatorin des WDR-Magazins „frau TV“, gehört definitiv nicht zu jenen Frauen, die stillschweigend hinnehmen, wenn ihnen (und anderen) das Leben schwerer als nötig gemacht wird. Wenn alle über den Ausbau von Krippenplätzen und die Umwandlung dieses Landes in eine familienfreundliche Republik reden, hakt Ortgies nach. Wie sieht es denn mit der Qualität der Kindergärten aus? Was tut der Staat für die Frauen, die beruflich für ihre Kinder kürzertreten? Und wenn alles ach-so-toll ist – warum gehen dem Arbeitsmarkt trotzdem so viele gut ausgebildete Frauen verloren?

„Aus dem Job aussteigen zu müssen oder weniger zu arbeiten wird von vielen Frauen als persönliches Versagen empfunden. Und umgekehrt: Wenn die Kinder Schulprobleme haben oder die Frauen auf einen Burnout zusteuern, dann wird das ebenfalls als persönliches Scheitern verbucht“, sagt Ortgies. Das soll so nicht sein. Wenn es läuft wie geplant, wird aus „Family Unplugged“ ein großes Netzwerk entstehen. Die Stimme vieler Familien, die künftig dringend gehört werden muss.