Hamburg. 16,2 Milliarden Euro sollen Hamburg und Schleswig-Holstein bewilligen, um die marode Bank zu erhalten. Heute entscheidet Bürgerschaft.

Es war ein Auftakt mit Pauken und Trompeten – und Gitarren. Als die HSH Nordbank am 16. Juni 2003 noch in der damaligen Color-Line-Arena ihre Gründung feierte, präsentierte sie ihren 4500 erlauchten Gästen zwischen zwei Reden mal eben einen Stargast: Bon Jovi. Was die US-Rocker, die sonst vor 100.000 Fans in Fußball­stadien spielen, für den Betriebsausflug nach Hamburg an Gage aufgerufen hatten, wurde nie bekannt. War ja auch egal, irgendwie. Die Stimmung war prächtig, Hamburgs Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) sprach von „Stolz“ und einem „mächtigen Schritt“ für Hamburg und Schleswig-Holstein, die ihre beiden Landesbanken zur HSH fusioniert hatten.

Nun, er sollte recht behalten. Wenn die Hamburgische Bürgerschaft an diesem Mittwoch den Anfang vom Ende der HSH Nordbank beschließt – und kommende Woche auch der schleswig-holsteinische Landtag –, dann sind beide Länder dem größten Finanzdebakel ihrer Geschichte in der Tat einen mächtigen Schritt näher gekommen. Kreditermächtigungen über unglaub­liche 16,2 Milliarden Euro müssen die Parlamente bewilligen, um die HSH zunächst bis 2018 über Wasser halten zu können. Das ist knapp das 1,5-Fache eines Hamburger Jahresetats, der liegt bei rund zwölf Milliarden Euro.

Wie viel davon letztlich als „Kosten“ in den Haushalten ankommt, ist noch offen, aber als Untergrenze gelten fünf Milliarden Euro – pro Bundesland. Anders ausgedrückt: Ohne das HSH-Desaster hätte Hamburg die Olympischen Spiele ausrichten und dabei sogar auf die finanzielle Hilfe des Bunds nahezu verzichten können.

Verständigung für Frühjahr 2016 erwartet

Die endgültige Verständigung der HSH-Eigentümer mit der EU-Kommission steht zwar noch aus und wird erst für das Frühjahr 2016 erwartet. Aber über das, was spätestens 24 Monate später – also 2018 – zu geschehen hat, herrscht nach der vorläufigen Einigung vom Oktober bereits Klarheit.

Szenario eins: Der von einem Teil der Altlasten befreite „Kern“ der HSH stabilisiert sich dauerhaft, wird dadurch attraktiver und kann dann im Ganzen oder in Teilen verkauft werden – wobei der Name HSH Nordbank auf Geheiß der EU zu verschwinden hat. Allenfalls einen Anteil von maximal 25 Prozent dürfen die Länder demnach noch für eine Übergangszeit von vier Jahren halten. Auf diesem optimistischen Zukunftsbild ruhen die Hoffnungen der Landesregierungen.

Szenario zwei: Die Bank erweist sich auch nach diesem letzten verzweifelten Rettungsversuch als nicht lebensfähig. Dann muss sie ihr Geschäft von 2018 an einstellen und wird abgewickelt. So oder so: In gut zwei Jahren ist finito.

Es wäre das Ende eines nicht nur für Hamburg beispiellosen Finanz- und Wirtschaftskrimis. Nach ihrer Gründung stieg die HSH rasant und mit freundlicher Ermunterung der Politik zum Global Player und größten Schiffsfinanzier der Welt auf. Möglich war das auch und vor allem, weil sie dank der „Gewährträgerhaftung“ der Länder bis 2005 billiger an Geld kam als die Konkurrenz und dieses Geld fleißig und unter Vernachlässigung der Risiken rund um den Globus herausreichte. Mit dem Crash der US-Bank Lehman und der Finanzkrise platzte diese Blase 2008 innerhalb von Wochen.

Vorstandschef Hans Berger wurde von Dirk Jens Nonnenmacher abgelöst, Hamburg und Schleswig-Holstein stemmten ein 13-Milliarden-Rettungspaket, Skandale und Räuberpistolen, die in kein Drehbuch passen, wechselten sich im Monatsrhythmus ab, Nonnenmacher wurde von Paul Lerbinger abgelöst, der wiederum von Constantin von Oesterreich – nur eines blieb gleich: die prekäre Lage der Bank. Mitte 2015, als sich die Schifffahrt immer noch nicht erholt hatte, stand der „größte Schiffsfinanzierer der Welt“ wieder vor seinen Eigentümern: „Wir schaffen es nicht.“ Gemeinsam mit den EU-Wettbewerbshütern tüftelten Hamburg und Kiel eine Lösung aus, eine allerletzte Chance.

Kreditermächtigungen über 6,2 Milliarden Euro

Und die sieht nun so aus: Weil die HSH vor allem unter den bis 2008 getätigten Geschäften ächzt, darf sie Papiere mit einem Buchwert von 8,2 Milliarden Euro abstoßen – das ist knapp die Hälfte ihrer „Non performing loans“, also der Kreditforderungen, die nicht oder kaum noch bedient werden. Dabei handelt es sich vor allem um Schiffs­finanzierungen. Bis zu 6,2 Milliarden Euro davon übernehmen Hamburg und Schleswig-Holstein, die dafür eigens die „hsh portfoliomanagement AöR“ mit Sitz in Kiel gründen. Bei dieser Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) handelt es sich offiziell um eine „Landesabwicklungsanstalt“, das sagt eigentlich alles. In Schritt eins sollen die Parlamente die Gründung dieser Anstalt absegnen und ihr Kreditermächtigungen über 6,2 Milliarden Euro bewilligen, denn sie kauft die Papiere auf Pump.

In Schritt zwei sollen sie der bereits bestehenden HSH Finanzfonds AöR die Aufnahme von Krediten bis zu zehn Milliarden Euro genehmigen. Dieser „Finfo“, wie er in Regierungskreisen genannt wird, wurde 2009 als Reaktion auf die weltweite Finanzkrise gegründet, um der HSH drei Milliarden Euro Kapital sowie eine Garantie über zehn Milliarden Euro zu gewähren. Die drei Milliarden sind dank der immens hohen Gebühren, die die HSH für die Garantie zahlen muss (bislang 2,6 Milliarden), so gut wie abgetragen. Aber die Garantie, die 2012 auf sieben Milliarden reduziert und später wieder erhöht wurde, wird nun schrittweise fällig, und dafür muss sich der „Finfo“ verschulden – und am Ende stehen dafür die Länder gerade.

Dass sie diese mit der EU ausgehandelten „Eckpunkte“, die erst seit Mitte Oktober bekannt sind, nach ex­trem kurzer Beratungszeit schon an diesem Mittwoch beschließen sollen, bereitet den Abgeordneten aller Parteien mächtig Sorgen. „Mit diesen Krediten erhöht sich das Risiko für die Länder noch“, glaubt Michael Kruse (FDP). Ihn beunruhige die kurze Beratungszeit, dass die Parlamentarier noch gar nicht wüssten, welche Papiere sie da im Namen der Steuerzahler ankaufen, zu welchem Preis und wer sie eigentlich managt.

Und auch manchem Abgeordneten der rot-grünen Regierung dürfte mulmig werden, wenn er für 16,2 Milliarden Euro die Hand hebt. Markus Schreiber (SPD) sprach vor einigen Wochen in der Bürgerschaft von einer „schrecklichen“ Entscheidung, vor der die Abgeordneten stünden. Es gehe nur darum, „die am wenigsten schreckliche“ Entscheidung zu treffen.

Niedriger Kaufpreis, großer Garantiefall

Das, was nun beschlossen werden soll, enthält noch etliche Variablen. So muss erst noch gutachterlich ermittelt werden, wie viel Hamburg und Schleswig-Holstein für die Schrottpapiere der HSH tatsächlich zahlen – sicher nicht den Buchwert von 6,2 Milliarden, sondern einen Marktwert, der vielleicht bei zwei Milliarden liegen könnte. Das hätte aber zur Folge, dass die HSH umgehend 4,2 Milliarden Verlust dem „Finfo“ als Garantiegeber in Rechnung stellen würde. Es gilt also: Je niedriger der Kaufpreis, desto größer der Garantiefall – und umgekehrt.

Kopfschmerzen bereitet den Abgeordneten auch diese Frage: Warum bekommt die neue Anstalt einen Kreditrahmen über 6,2 Milliarden, wenn sie vermutlich „nur“ zwei oder drei Milliarden für die Papiere bezahlen wird? Wird der Rahmen im Anschluss reduziert? Oder werden damit später weitere Milliardenlöcher beglichen, wie es Linkspartei und CDU befürchten? Befriedigende Antworten konnten die Regierungen darauf bislang nicht geben.

Auch Professor Norbert Dieckmann, Bankenexperte an der EBC-Hochschule, kann die 16,2 Milliarden nicht nachvollziehen: „Dieser Betrag erscheint mir vor dem Hintergrund der überschaubaren jährlichen Haushalte der Bundesländer im Norden sehr hoch zu sein“, sagte er dem Abendblatt. „Insofern wundert es mich, dass die Drucksachen der Landesregierungen keine Schätzungen über die geplante Inanspruchnahme dieser Kreditermächtigungen enthalten.“

Die HSH Nordbank selbst sieht sich dagegen „auf einem guten Weg“. Die um Altlasten bereinigte Kernbank habe in den ersten neun Monaten 2015 ihren Gewinn auf 326 Millionen Euro gesteigert und sei lebensfähig, betonte Vorstandschef Constantin von Oesterreich: „Nach dem im ersten Halbjahr 2016 erwarteten finalen Abschluss des EU-Verfahrens werden wir die mittelfristige Privatisierung der HSH Nordbank gemeinsam mit unseren Eigen­tümern vorantreiben.“

Das klingt so harmlos, bedeutet aber nichts anderes als: Wir arbeiten fleißig an unserem Ende. Und selbst wenn es gelingt – Anlass für eine große Party wird es kaum geben. Bon Jovi wird nicht auftreten. Aber vielleicht spielt einer Mozarts Requiem.